BKA: "Erhebliches Ermittlungsdefizit" durch fehlende Datenspeicherung

Das Bundeskriminalamt sieht den Bedarf der Polizei mit der derzeitigen Providerpraxis der drei- bis siebentätigen Aufbewahrung von Verbindungsdaten einem Bericht zufolge "nicht annähernd" gedeckt. CDU/CSU werten das als "Hilferuf an die Politik", während Bürgerrechtler die Angaben des BKA als "völlig irrelevant" bezeichneten.

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Das Bundeskriminalamt (BKA) sieht den Bedarf der Strafverfolger mit der derzeitigen Providerpraxis der drei- bis siebentätigen Aufbewahrung von Verbindungsdaten "nicht annähernd" gedeckt. Die Polizeibehörde macht sich daher in einem für das Bundesinnenministerium verfassten Papier über die "Auswirkungen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur sogenannten Vorratsdatenspeicherung" erneut für eine umfassende Protokollierung der Nutzerspuren im Internet stark, wie die Welt am Sonntag berichtet. Demnach konnten Straftaten bei 49 Anschlüssen nicht, bei 133 "unvollständig" und bei 211 Zugangspunkten "wesentlich erschwert oder erst zu einem späteren Zeitpunkt" aufgeklärt werden".

Insgesamt sollen die BKA-Ermittler zwischen dem 2. März und dem 16. Juni Telekommunikationsfirmen bei 701 verdächtigen Verbindungen um Auskunft gefragt haben. In 385 Fällen soll es sich dabei um Kinderpornographie sowie Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung gehandelt haben. Bei 147 Anschlüssen habe nun "die fehlende Vorratsdatenspeicherung ein erhebliches Ermittlungsdefizit dargestellt", meint das BKA. Auch bei den restlichen 554 Anschlüssen hätten die Provider häufig passen müssen wegen fehlender Datenbestände, nämlich in rund 76 Prozent der Anfragen. Konkret betroffen gewesen seien 374 Internetzugänge sowie 48 Festnetz- und Mobilfunkanschlüsse. Im September hatte BKA-Präsident Jörg Ziercke bereits erklärt, dass 60 Prozent der Internet-Ermittlungen ins Leere gingen. In bis zu 85 Prozent der Fälle könne der Computer, der für eine Straftat benutzt werde, keinem bestimmten Nutzer mehr zugeordnet werden.

Politiker der CDU/CSU-Bundestagsfraktion pochen anhand der Zahlen wieder auf eine rasche Neuregelung der von Karlsruhe zunächst gekippten Verpflichtung zur Vorratsdatenspeicherung. Unionsvize Wolfgang Bosbach (CDU) wertete den BKA-Report als "Hilferuf an die Politik" und klagte, dass sich das Internet immer mehr zum "strafverfolgungsfreien Raum" entwickele. Der Innenexperte der Union, Hans-Peter Uhl von der CSU, warf Sabine Leutheusser-Schnarrenberger aufgrund ihrer "zögerlichen" Haltung gar "schuldhaftes Unterlassen" vor. Falls die FDP-Politikerin nicht rasch einen Gesetzesvorstoß mache, sei sie persönlich für "eklatante Sicherheitslücken" beim Schutz vor schwerster Kriminalität verantwortlich.

Die Union will den Koalitionspartner laut Spiegel mit einer "öffentlichen Kampagne" bei einer Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung unter Druck setzen. Teil des PR-Feldzugs soll es sein, BKA-Experten möglichst spektakuläre Fälle über "blinde Flecken" bei der Verbrechensbekämpfung schildern zu lassen. Leutheusser-Schnarrenberger will dagegen zunächst die laufende Evaluierung der EU-Vorgaben zur Vorratsdatenspeicherung durch die EU-Kommission abwarten und wird in ihrem Kurs von der Telekommunikationsbranche unterstützt.

Patrick Breyer vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung bezeichnete die Vorlage des BKA gegenüber heise online als "völlig irrelevant", da der Vergleich etwa zum Vorjahr fehle. Laut Kriminalstatistik blieben mit einer Protokollierung von Nutzerspuren ebenso viele Straftaten unaufgeklärt wie ohne, nämlich jeweils rund 45 Prozent. Angesichts der jährlich hierzulande rund 6 Millionen registrierten kriminellen Vergehen habe die Polizeibehörde mit 701 Fällen zudem nur "eine winzige und verzerrte Stichprobe" untersucht. Dies lege die Vermutung nahe, dass die aufgezeichneten Zahlen gezielt durch Anfragen "frisiert" worden sei, von denen von vornherein feststand, dass sie nicht zu beantworten seien. Schließlich würden laut der polizeilichen Jahresstatistik 80 Prozent der Internetdelikte auch ohne Vorratsdatenspeicherung aufgeklärt. Insgesamt lebten die Bundesbürger sicherer als die Einwohner von Staaten mit Verpflichtungen zur verdachtsunabhängigen Aufbewahrung von Telekommunikationsdaten.

Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) plädiert unterdessen dafür, die Interessen von Pressevertretern bei der anstehenden Novellierung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung umfassend zu berücksichtigen. Die Kommission habe jetzt die Chance, die Pressefreiheit und den Schutz der europäischen Bürger vor Terror und Kriminalität miteinander in Einklang zu bringen, betonte der DJV-Bundesvorsitzende Michael Konken. Kontakte zwischen Journalisten und Informanten dürften nicht länger von der Maßnahme berührt werden. (jk)