Wer hätte gedacht, dass die Hintertür für ein neues Vorratsdaten-Gesetz gerade von seinen Gegnern aufgestoßen wird? Und das zu einer Zeit, in der ihre Position so stark scheint wie seit Jahren nicht: Das Verfassungsgericht hat die deutsche Sammlung von Telekommunikationsdaten für verfassungswidrig erklärt. Die Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist eine ausgewiesene Speichergegnerin, und Innenminister Thomas de Maizière beendet womöglich bald sein Amt und wechselt ins Finanzressort.
Es ist auch wirklich kein Zeichen für die politische Stärke de Maizières, dass Anfang des Monats im Spiegel stand, er plane eine „öffentliche Kampagne“, um die FDP-Justizministerin zur Vorlage eines neuen Vorratsdaten-Gesetz
ten-Gesetzes zu bewegen. Seither klingen jedenfalls all die Expertisen und Forderungen in diese Richtung seltsam abgesprochen: Zuerst ließ das Bundeskriminalamt (BKA) ein Papier durchsickern, das anhand besonders spektakulärer Fälle „Schutzlücken“ durch den Verlust der Vorratsdaten belegen sollte. Ein paar Tage später warnte der CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach, ohne Vorratsdaten hätten Terrorverdächtige leichtes Spiel. Und schließlich forderten die Unions-Innenminister der Länder noch brav, Leutheusser-Schnarrenberger müsse ihre Warteposition aufgeben. Endlich einmal. Bitte! Schließlich müsse man doch die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung umsetzen.Schockfroster statt AngstDie Justizministerin aber scheint daran nicht zu denken, blockt die Drängeleien mit ein paar Statistiken ab und verweist ansonsten ebenso genüsslich wie empört auf die im Spiegel dokumentierte Inszenierung des Kabinettskollegen. Außerdem wolle ja die EU selbst ihre Richtlinie noch einmal überarbeiten. Vor allem aber liege schon eine Alternative auf dem Tisch, die sowohl vom Bundesdatenschutzbeauftragten als auch der Internetwirtschaft unterstützt werde: das so genannte Schockfrost-, das Quick-Freeze-Verfahren, das in den USA regelmäßig eingesetzt werde.Anders als bei der Vorratsdatenspeicherung werden bei diesem Verfahren nicht die Kommunikationsdaten aller Bürger über einen längeren Zeitraum gespeichert. Stattdessen können Polizisten und Geheimdienstler die Telefon- und Internetunternehmen bei Aufkommen eines Verdachts anweisen, die Daten eines Kunden länger aufzuheben als gewöhnlich. Verbindungsdaten werden heute schon für wenige Tage gespeichert – entweder aus technischen Gründen, oder um die Rechnung zu stellen. Ob die Ermittler die „eingefrorenen“ Daten allerdings einsehen dürfen, muss ein Richter entscheiden. Erhalten die Unternehmen innerhalb einer bestimmten Frist keinen richterlichen Beschluss, löschen sie alles wieder.„Das Quick-Freeze-Verfahren hat den Vorteil, dass dabei nur Verdächtige erfasst werden. Es entstehen keine riesigen Datensammlungen“, sagt Werner Hülsmann vom AK Vorrat, den organisierten Speichergegnern. Damit wäre in der Tat eines der verfassungsrechtlich schwerwiegendsten Probleme gemildert: Politische Aktivisten etwa müssten nicht mehr damit rechnen, dass der Staat grundsätzlich alle ihre Verbindungen aufzeichnet und Behörden bis tief in die Vergangenheit hinein darauf Zugriff haben. Dieses „diffus bedrohliche Gefühl des Beobachtetseins“ könne „eine unbefangene Wahrnehmung der Grundrechte in vielen Bereichen beeinträchtigen“, hatte das Verfassungsgericht moniert.Im Quick-Freeze-Verfahren hingegen würde schon allein der bürokratische Aufwand die Zahl der Zugriffe durch die Behörden begrenzen. Entsprechend ablehnend äußert sich auch das BKA. Wenn der Polizei nur wenige Tage blieben, um einen Verdachtsfall an die Provider zu melden, decke das den Bedarf „nicht annähernd“.Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar kann diese Haltung allerdings nicht nachvollziehen: „Es ist unangemessen und voreilig, wenn das BKA Alternativen von vornherein ausschließt. Ich vermisse hier eine sachliche Auseinandersetzung!“, sagte er zum Freitag. Jedoch erklärt auch Schaar, dass Quick Freeze nicht alle Fragen löse. Schließlich könne man nur Daten einfrieren, die auch bei den Unternehmen vorlägen. Nach dem Urteil des Verfassungsgerichts sind die aber zurzeit zu überhaupt keiner Speicherung verpflichtet.Schaar schlägt deshalb vor, den Providern vorzuschreiben, die Daten ihrer Kunden zumindest bis zum Ablauf einer gesetzlichen Mindestspeicherfrist vorzuhalten. Er könne sich einen Zeitraum von wenigen Tagen vorstellen: „Ob dieses Quick-Freeze-Plus-Verfahren im Ermittlungsalltag praktikabel ist, sollte meines Erachtens erprobt werden.“Neuer Name, gleicher InhaltSo durchdacht das Angebot an die Sicherheitspolitiker klingen mag: Es könnte sich schnell als Rückschlag für die Sache der Speichergegner erweisen. Mindestens zwei Gründe sprechen dafür, dass es nicht bei einer Speicherfrist von wenigen Tagen bleiben wird – und Quick Freeze auf diese Weise die Vorratsdatenspeicherung unter anderem Namen wieder einführt.Zunächst einmal ist da immer noch die EU-Richtlinie, die eine Mindestspeicherfrist von sechs Monaten vorschreibt. Sollte es den Speichergegnern nicht gelingen, sie selbst zu Fall zu bringen, wird auch eine FDP-Justizministerin nicht dauerhaft eine kürzere Frist durchsetzen können. Zwar stehen die Chancen gar nicht mal schlecht, dass der Europäische Gerichtshof bei einer Klage die Richtlinie verwirft. Dass die schwarz-gelbe Regierung aber von sich aus einen europarechtlichen Konflikt in dieser Frage riskiert, ist nicht zu erwarten.Der zweite Grund liegt in der Logik des politischen Kompromisses. Denn ob nun in den nächsten Wochen ein neuer Innenminister ins Amt kommt oder nicht, der Ministeriumsapparat wird den Quick-Freeze-Vorschlag als Einfallstor nutzen, um in jedem Fall eine gesetzlich festgelegte Mindestspeicherfrist zu fordern. Und was die angeht, lohnt ein erneuter Blick in das Vorratsdaten-Urteil des Verfassungsgerichts. Darin steht etwas, das im Jubel über den Triumph der Bürgerrechte von den Medien bisher wenig beachtet wurde: Eine sechsmonatige anlasslose Speicherung zur Verwendung für die Strafverfolgung und durch die Nachrichtendienste ist mit dem Grundgesetz „nicht schlechthin unvereinbar“.