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Innenminister übernimmt BKA-Propaganda für Vorratsdatenspeicherung ohne nachzufragen (11.11.2010) Drucken E-Mail

Bundesinnenminister de Maizière, der im Oktober mit Zahlen des Bundeskriminalamts eine "Schutzlücke" durch das Ende der Vorratsdatenspeicherung nachweisen wollte[1], muss auf Nachfrage nun einräumen, nicht zu wissen, ob das Bundeskriminalamt die öffentlich beklagte Zahl erfolgloser Verbindungsdatenabfragen durch erkennbar aussichtslose Ersuchen in die Höhe getrieben hat. Auch inwieweit erfolglose Ermittlungen auf Verzögerungen seitens des Bundeskriminalamts bei der Anforderung von Verbindungsdaten beruhten, ist dem Ministerium nicht bekannt. Der Minister kann nicht einmal sagen, ob Verbindungsdatenabfragen des Bundeskriminalamts zu Zeiten der Vorratsdatenspeicherung häufiger beantwortet wurden als nach ihrem Ende. Auf insgesamt 10 Nachfragen[2] der Bürgerrechtler zu den Zahlen des Bundeskriminalamts lässt der Minister einzig mitteilen, dass Antworten darauf "dem Bundesministerium des Innern in der angeforderten Form nicht vorliegen".[3]

Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger teilt unterdessen mit, sie teile die Einschätzung des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung, dass die EU-Kommission - wenn sie überhaupt an dem Prinzip der Vorratsdatenspeicherung festhalten will - künftig wenigstens den nationalen Gesetzgebern die Entscheidung überlassen müsse, ob sie von dieser Möglichkeit Gebrauch machen wollten oder nicht. Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung fordert gemeinsam mit über 100 weiteren europäischen Organisationen ein Ende des 2006 beschlossenen europaweiten Zwangs zur Registrierung jeder Telefon-, E-Mail- und Internetverbindung.[4] "Ich stehe mit der EU-Kommission in ständigem Kontakt und werde bei den anstehenden Gesprächen Ihre Argumente selbstverständlich berücksichtigen", sichert die Bundesjustizministerin nun in einem Schreiben zu.

Am Dienstag entschied der Europäische Gerichtshof in Luxemburg, Einschränkungen des in der EU-Grundrechtecharta garantierten Schutzes persönlicher Daten müssten sich "auf das absolut Notwendige beschränken". Eine EU-Vorgabe zur Veröffentlichung sämtlicher Bezieher von Agrarleistungen erklärte der Gerichtshof für "ungültig", weil die EU mit dieser flächendeckenden Vorgabe "die durch die Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit vorgegebenen Grenzen überschritten" habe.[5]

"2008 hat bereits der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ein Gesetz zur Abnahme der Fingerabdrücke jedes Verdächtigen als unverhältnismäßig verworfen", kommentiert der Jurist Patrick Breyer vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung. "Auch der EU-weite Zwang zur unterschiedslosen Erfassung aller unserer telefonischen Kontakte, Handystandorte und Internetverbindungen ist nicht 'absolut notwendig', wie die Praxis der allermeisten Staaten weltweit zeigt, sondern verletzt das in der EU-Grundrechtecharta garantierte Recht auf Schutz unserer Privatsphäre. Die EU muss jetzt endlich das unverhältnismäßige Prinzip der verdachtslosen Totalerfassung sämtlicher Telekommunikationsverbindungen aufgeben, bevor der Europäische Gerichtshof auch die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für ungültig erklärt." Sechs EU-Staaten verweigern bis heute die Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung; in zwei weiteren Staaten (Deutschland und Rumänien) haben die Verfassungsgerichte die nationalen Umsetzungsgesetze wegen Verletzung der Grundrechte aufgehoben.

Vergangene Woche hat sich auch Kanada von der umstrittenen EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung distanziert. Die kanadische Regierung will stattdessen eine "Aufbewahrungsanordnung" einführen. Telekommunikationsanbieter sollen verpflichtet werden, bei Erhalt einer solchen Aufbewahrungsanordnung "vorhandene Daten über eine bestimmte Verbindung oder einen bestimmten Nutzer aufzubewahren und nicht zu löschen, wenn die Polizei dies im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens für erforderlich hält." "Dies ist keine Vorratsdatenspeicherung", betont das kanadische Justizministerium.[6] In Europa fordert ein breiter Zusammenschluss aus Bürgerrechts-, Datenschutz- und Menschenrechtsorganisationen ebenso wie Telefonseelsorge- und Notrufvereine, Berufsverbände etwa von Journalisten, Juristen und Ärzten, Gewerkschaften wie ver.di, Verbraucherzentralen und Wirtschaftsverbänden von der EU-Kommission, ebenfalls ein gezieltes Verfahren zu wählen, wie es sich in vielen Staaten weltweit bewährt hat und in dem internationalen Übereinkommen über Computerkriminalität festgelegt ist.

Bundesinnenminister de Maizière verschließt sich dem Verfahren gezielter Aufbewahrungsanordnungen bislang mit der Begründung: "Wo nichts mehr gespeichert ist, kann auch nichts eingefroren werden."[7] Michael Ebeling vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung hält dem entgegen: "Wo nichts mehr gespeichert ist, kann auch nichts missbraucht werden. Datenhalden ermöglichen erst Datenmissbrauch wie bei der Deutschen Telekom und kriminellen Datenhandel wie bei T-Mobile. Nur nicht gespeicherte Daten sind sichere Daten. Dass die Speicherung nur der Daten von Verdächtigen eine gezielte Verfolgung von Straftaten ermöglicht, zeigt die Praxis vieler Staaten weltweit - oder will der Bundesinnenminister ernsthaft behaupten, dass in Staaten wie Österreich, Schweden oder Kanada keine wirksame Strafverfolgung gewährleistet sei?"

 
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