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Künast zu Internetpolitik "Wir wissen noch nicht alles"

Mit einem Fachkongress wollen die Grünen sich in Sachen Internet in Schwung bringen. Fraktionsvorsitzende Renate Künast erklärt im Interview, was ihre Partei im Netz erreichen, wie sie das Urheberrecht reformieren will - und was aus der Technikskepsis der Grünen geworden ist.
Renate Künast: "Mit der Kultur-Flatrate könnte jeder einen Beitrag leisten"

Renate Künast: "Mit der Kultur-Flatrate könnte jeder einen Beitrag leisten"

Foto: Stephanie Pilick/ dpa

SPIEGEL ONLINE: Frau Künast, wie schwierig ist es, ihre Partei davon zu überzeugen, dass sie sich fürs Internet interessieren soll?

Künast: Das ist gar nicht schwierig. Die Partei hat sich dafür immer interessiert, es gab ein paar Leute, die da ganz intensiv dran waren und sind. Ich nenne mal Malte Spitz aus dem Bundesvorstand, und mit Konstantin von Notz gibt es jetzt jemanden, der sich in der Fraktion darauf konzentriert. Bei der letzten Bundestagswahl haben wir gesehen, dass wir Internetthemen nicht systematisch genug bearbeitet haben.

SPIEGEL ONLINE: Die Grünen standen ja digitaler Technik viele Jahre lang eher feindselig gegenüber.

Künast: Auf welchem Planeten leben Sie denn?

SPIEGEL ONLINE: Hans-Christian Ströbele sagte vor ein paar Jahren, er habe Leute, die das Internet für ihn bedienen, Matthias Güldner, Fraktionsvorsitzender der Grünen in der Bremischen Bürgerschaft, meinte vergangenes Jahr, wer gegen Netzsperren sei, habe sich wohl "das Hirn herausgetwittert" - und schon als der Bundestag 1987 mit vernetzten Rechnern ausgestattet werden sollte, waren die Grünen die einzigen, die das abgelehnt haben.

Künast: Wir haben uns in den Anfängen kritisch damit auseinandergesetzt, welche Auswirkungen die Digitalisierung auf Arbeitsplätze hat. Aber das ist eine Botschaft aus einer vergangenen Zeit. Heute nutzen wir alle diese Technik, vom Laptop bis zum iPad, und wir beschäftigen uns intensiv mit den gesellschaftlichen Folgen der Digitalisierung.

SPIEGEL ONLINE: Die Piratenpartei hat bei der vergangenen Bundestagswahl zwei Prozent geholt, die Grünen liegen in Umfragen deutlich über 20 Prozent im Moment - brauchen sie denn diese paar Wählerstimmen?

Künast: Wir machen Politik fürs Ganze, deswegen fragen wir, wie das Internet unsere Gesellschaft verändert, deshalb ist das Motto unseres netzpolitischen Kongresses  "Gesellschaft digital gestalten". Private Beziehungen, soziale Kontakte verändern sich durch das Internet. Wir wissen, dass Menschen sich themenbezogen informieren und organisieren, und dass die schöne neue Demonstrationskultur, das Engagement der Bürgerinnen und Bürger, sich verändern durch das Internet. Heute hat das Internet schon eine Meinung, wenn die Edelfedern in den Zeitungen und Magazinen noch nicht einmal ihre Bleistifte gespitzt haben, um den Kommentar für den nächsten Tag zu schreiben.

SPIEGEL ONLINE: Bislang sind ihre designierten Internetfachleute, Malte Spitz und Konstantin von Notz, in der Öffentlichkeit eher unbekannt. Wird das Netz jetzt ein Thema für die Parteispitze?

Künast: Das sind zwei, die sich darauf schwerpunktmäßig konzentrieren, aber auch ich treibe es voran. Bei der letzten Bundestagswahl haben wir gesagt, jetzt werden wir uns die digitale Gestaltung dieser Gesellschaft von A bis Z ansehen und das Thema systematisieren. Deshalb machen wir gerade jetzt unseren netzpolitischen Kongress. Das Netz ist ja auch ein Querschnittsthema. Bei der Frage nach Datenschutz und Grundgesetz beispielsweise kann man sich fragen: Wie transportiert man denn den alten Datenschutz im Grundgesetz ins 21. Jahrhundert mit seinen neuen Techniken? Wie ist es mit Geschäftsmodellen im Internet? Wie gehen wir mit dem Urheberrecht um? Mit Online-Kriminalität und Privatsphäre?

SPIEGEL ONLINE: Was ist denn der konkrete Vorschlag der Grünen in Sachen Urheberrecht?

Künast: Unser Arbeitsstichwort ist die Kultur-Flatrate. Es gibt ja Menschen, die von der Produktion leben, die dem Urheberrecht unterliegt, Artikel, Musik und anderes. Man muss also auf den erleichterten Zugang durch technische Veränderungen Rücksicht nehmen, aber auch den Interessenausgleich mit den Urhebern im Auge haben.

SPIEGEL ONLINE: Der Vorschlag wäre also, dass jeder Bürger eine Summe X pro Monat bezahlt und sich dann aus dem Netz ziehen kann, was immer er oder sie will, ohne Angst vor Sanktionen?

Künast: Wenn Sie früher einen Artikel in einer Zeitschrift oder einem Buch hatten, sind Sie dafür entlohnt worden, wenn sie das beruflich machen. Für Fotos oder Musik gilt das gleiche. Das bekommen Sie im Internet nicht mehr so einfach hin. Mit der Kultur-Flatrate könnte jeder einen Beitrag leisten, die Interessen der Urheber zu berücksichtigen.

SPIEGEL ONLINE: Das Geld müsste ja dann verteilt werden, man müsste erfassen, wer wie viel zu bekommen hat. Würde man damit nicht ein bürokratisches Monstrum erschaffen?

Künast: Machen Sie einen besseren Vorschlag! Ich weiß noch nicht, wie die endgültige Lösung für ein neues Urheberrecht aussehen wird, aber wenn Sie einen besseren Vorschlag haben, sind wir gerne bereit, den zu diskutieren. Wir stellen die Kultur-Flatrate zur Diskussion und wissen wohl, dass daran noch gearbeitet werden muss. Aber wir führen die Debatte mit Künstlern und Nutzern. Zum Beispiel auf unserem Kongress.

SPIEGEL ONLINE: Innenminister Thomas de Maizière will ein Gesetz zur Kontrolle von Geodatendiensten, aufgehängt an Google Street View, Hamburgs grüner Justizsenator Steffen will das auch. Sind sie sich da einig mit der Union?

Künast: Es muss jetzt unabhängig von Google Street View für solche Dienstleistungen eine Regelung geben. Wir alle müssen den Umgang mit persönlichen Daten neu diskutieren. Und damit meine ich jetzt nicht die Hausfassade, die können sie sich ja überall ansehen. Sondern die Frage: Was liegt hinter der Fassade, was lässt sich da an Daten vernetzten? Wo setzt man da eine Grenze?

SPIEGEL ONLINE: Die Union will ein neues Gesetz, um die Vorratsdatenspeicherung trotz des Verfassungsgerichtsurteils wieder einzuführen. Sollten die Grünen an der nächsten Regierung beteiligt sein, wird so ein Gesetz dann in jedem Fall wieder gekippt?

Künast: Ich glaube nicht, dass die Union überhaupt in der Lage sein wird, ein verfassungsrechtlich einwandfreies Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung vorzulegen. Im Zweifelsfall gehen wir wieder nach Karlsruhe, oder ändern es, wenn wir wieder auf Bundesebene regieren. Ohne Anlass meine Daten zu speichern, das ist nicht akzeptabel.

SPIEGEL ONLINE: Muss Netzneutralität in Deutschland gesetzlich geregelt werden? Dass Provider beim Durchleiten keine Unterschiede zwischen Daten machen dürfen, je nach Art oder Herkunft?

Künast: Grundsätzlich muss das natürlich geregelt werden. Wir wollen, dass sich im Netz alle gleichschnell mit ihren Daten und Informationen bewegen können. Wir wollen Gleichberechtigung und keine Privilegien, und wir wollen Transparenz und Bürgerbeteiligung stärken. Spannend ist auch die Debatte um Open Government, also, den ganzen Politikbereich offener darzustellen. Damit wollen wir uns befassen und noch nicht auf diese Detailebene wechseln.

SPIEGEL ONLINE: Inwiefern?

Künast: Es ist richtig, nicht bei sämtlichen Dingen nach "Ja oder Nein, nach Schwarz oder Weiß" zu fragen. Wir machen eine offene Diskussion und identifizieren dann Fragen und Probleme. Das ist kein Kongress, der im Detail Gesetzesvorschläge erarbeiten soll. Es gibt Dinge, die man gesetzlich regeln muss, aber wir sind bereit, uns der Debatte zu öffnen und zu sagen: "Wir wissen noch nicht alles."

SPIEGEL ONLINE: Sie bewerben sich jetzt um das Amt der regierenden Bürgermeisterin von Berlin. Gerade jetzt machen sie einen Kongress über das bundespolitische, womöglich maßgeblich international zu diskutierende Thema Internet - wie passt das zusammen?

Künast: Weil das Internet vor Berlin nicht Halt macht. In der globalisierten und vernetzten Welt sind wir Berliner und gleichzeitig Weltbürger. Also können und müssen wir auch vielfältig denken.

Das Interview führte Christian Stöcker
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