Vorratsdatenspeicherung gewinnt die belgischen Big Brother Awards

Gestern Abend fand in Gent die Verleihung der belgischen Big Brother Awards statt. Die Big Brother Awards gibt es ja bekanntlich auch bei uns in Deutschland. Für alle Uneingeweihten: Mit diesem Negativpreis prämieren weltweit Datenschutzorganisationen die schlimmsten Fälle privater und staatlicher Überwachung, kurz gesagt die größten Datenkraken des Jahres. In Belgien wurde nun der (un)glückliche Gewinner von der flämischen Liga für Menschenrechte geehrt.

Auf der Webseite konnte bis zum 17. November für die Kandidaten gestimmt werden. Arne Vandenbogaerde von der Liga erklärte uns, dass Luc Beirens, der belgischen Federal Computer Crime Unit (FCCU), der Einladung zur Preisverleihung gefolgt sei. Er verteidigte an diesem Abend die Notwendigkeit der Vorratsdatenspeicherung und nahm den Preis entgegen.

Die Vorratsdatenspeicherung gewinnt den belgischen Überwachungs-Oscar

Am 23. April 2009 wurde zwar in Belgien ein Gesetzesentwurf vorgelegt, die europäische Richtlinie 2006/24/CE ist aber bis heute nicht in belgisches Recht umgesetzt worden. Deutschland war da etwas schneller. Hier wurde das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung im März 2010 durch das Bundesverfassungsgericht bereits wieder aufgehoben und für verfassungswidrig erklärt.

Die EU-Richtlinie soll zur Aufklärung schwerer Verbrechen dienen und verpflichtet die Anbieter von Kommunikationsdiensten zur verdachtsunabhängigen Speicherung (sechs bis 24 Monate lang) von Telekommunikationsdaten eines jeden Bürgers. Luc Beirens der FCCU verteidigte in der Diskussion nach der Preisverleihung die Vorratsdatenspeicherung nach bester BKA-Manier. Er wies auf Einzelfälle hin, die durch Einsicht in Kommunikationsdaten gelöst werden konnten und betonte seine Pflicht, für die Sicherheit der Bürger zu sorgen. Die Speicherung von Daten auf Vorrat durch einen demokratischen Staat ist seiner Meinung nach halb so schlimm wie die Speicherung unserer Daten von Facebook oder Google, über die man so gut wie keine Kontrolle hat. Länder wie Italien und Polen würden durch die EU-Richtlinie außerdem dazu gezwungen, ihre Speicherfristen zu verkürzen.

Die Richtlinie wird zurzeit europaweit diskutiert und soll nun von der Europäischen Kommission, unter anderem aufgrund der fehlgeschlagenen Harmonisierung, geprüft und überarbeitet werden. In Brüssel wird am 3. Dezember hierzu eine Konferenz organisiert.

Für den Big Brother Award Belgien waren weiterhin nominiert:

Kameraüberwachung in Knokke-Heist

Der langjährige Bürgermeister von Knokke-Heist, Graaf Leopold Lippens, ist hier der eigentliche Kandidat. Er wurde von der Liga für Menschenrechte für die Installation unverhältnismäßig vieler Kameras nominiert. Ab 2005 wurde in dem kleinen und nicht gerade armen Badeort die Zahl der Kameras drastisch erhöht. Da hier die Kriminalitätsrate sehr gering ist, hieß es anfangs, dass gegen Hundehaufen vorgegangen werden müsse. Für Arne Vandenbogaerde zeigt die vermehrte Videoüberwachung deutlich, wie die Politik nur die Symptome sozialer Probleme bekämpft. Er betonte außerdem, dass die Installation von 20 Kameras ca. 500.000 Euro kostet und eine solche Summe in Sinnvolleres investiert werden könnte, um Gewalt und Kriminalität zu bekämpfen.

(Weiterlesen : Glatzner, Florian Die staatliche Videoüberwachung des öffentlichen Raumes als Instrument der Kriminalitätsbekämpfung – Spielräume und Grenzen Magisterarbeit, Münster 2006; PDF-Datei; 379 kB)

Die MoBIB-Fahrkarte der STIB/MIVB

Die neuen elektronischen Fahrkarten des Brüsseler Verkehrsunternehmens STIB/MIVB sind mit RFID-Chips ausgestattet. Die Arbeitsgruppe zur Informationssicherheit der Universität in Louvain-la-Neuve hat erst kürzlich bewiesen, dass auf dem Chip kaum gesicherte persönliche Informationen problemlos ausgelesen werden können. Dies kann auch unbemerkt vom Nutzer passieren, denn je nach Ausführung schwankt die Reichweite der Funk-Chips zwischen wenigen Zentimetern und mehr als einem Kilometer. Zudem warnen Datenschützer vor dem Problem des gläsernen Konsumenten, wenn Produkte mit diesen eindeutig identifizierbaren Chips versehen werden. Auf den Brüsseler Fahrkarten werden Vorname(n), Name, Postleitzahl, Geburtsdatum sowie die letzten Fahrtstrecken gespeichert. Es reisen täglich ca. 460.000 Fahrgäste mit der elektronischen Karte durch Brüssel.

(Weiterlesen : Positionspapier des FoeBuD zu RFID.)

Der Berufsverband für Kredite (UPC-BVK)

Diese Vereinigung von Banken, Versicherungen und Kreditversicherern hat eine sogenannte Schuldenzentrale eingerichtet. Es handelt sich hierbei um eine Datenbank, in der unter anderem auch unbezahlte Rechnungen (Energie, Miete, Telekom etc.) gespeichert werden. Die UPC-BVK möchte auf diese Weise Kreditgebern die Möglichkeit geben, möglichst viele Informationen über die finanzielle Situation ihrer Kunden und zukünftigen Kreditnehmern einzuholen. Fehler in der Datenbank sind aufgrund des komplexen Systems leicht möglich. Auf ihr basierende Entscheidungen zur Kreditvergabe können für Kunden natürlich gravierende Folgen haben.

Die Arbeitsgruppe der Stadt Antwerpen zur Aufdeckung von Scheinehen

Seit 2006 stehen Scheinhochzeiten in Belgien unter Strafe. Der Artikel 146bis des Bürgerlichen Gesetzbuches besagt zudem, dass eine Ehe ungültig ist, wenn sich aus den Umständen schließen lässt, dass mindestens einer der Partner das Bund nicht mit dem Ziel einer Lebensgemeinschaft eingeht, sondern in erster Linie um das Aufenthaltsrecht zu erhalten. Alle geplanten Eheschließungen, bei denen einer der Partner kein unbegrenztes Aufenthaltsrecht hat, werden automatisch überprüft. Während der Ermittlungen werden Informationen bei der Ausländerbehörde eingeholt und die betroffenen Paare befragt – unter anderem auch über ihr Sexualleben. Nach Aussagen der Liga für Menschenrechte soll die Befragung in Antwerpen besonders diskriminierend und erniedrigend sein, prozentual werden hier mehr Ehen abgelehnt als anderswo in Belgien. Auch in Deutschland sind Fragerunden sind nicht unüblich. Fragebögen sehen bei uns zum Beispiel so aus, Scheinehen als solche stehen aber nicht unter Strafe.

Passenger Name Records (PNR)

Im Passagiernamensregister (Passenger Name Records -PNR) werden alle Daten rund um eine Flugreise gespeichert, wie z.B. Vor- und Zunamen, E-Mail-Adressen, Flugzeiten, Nationalität, Pass-, Telefon-, Konten- und Kreditkartennummern. Kritisiert wurde vor allem, dass die USA diese Daten zu Profiling-Zwecken nutzen möchte und die Übermittlung und Speicherung der Fluggastdaten nicht im Einklang mit europäischen Datenschutznormen ist.

>Seit 2007 besteht zur Übermittlung der PNR ein vorläufig angewandtes Regelwerk zwischen der Europäischen Union und den USA. Die Europäische Kommission ist seither bemüht, ein neues Abkommen auszuarbeiten. Am 11. November verabschiedete das EU-Parlament eine Resolution, in der die Parlamentarier die Kommission auffordern, den Unterschied zwischen einer « Risikoeinschätzung » und der „Erstellung von Personenprofilen“ zu erklären. Zudem solle die Notwendigkeit der „Verarbeitung von Fluggastdatensätzen“ bewiesen werden.

(Weiterlesen: Interview mit Edward Hasbrouck in der Zeit: In dieser Datenbank steht, wer mit wem schläft.)

Vielen Dank an Arne Vandenbogaerde für seine Zeit & Antworten.

(Crossposting von vasistas?)

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2 Ergänzungen

  1. Naja, bald haben wir sie ja auch wieder. Selbst der „höchste Datenschützer“ erfindet ja schon Euphemismen (Quick Freeze Plus), damit es bald soweit ist. Die lassen nicht locker:

    Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Hans-Peter Uhl, erhöhte nun in der „Financial Times Deutschland“ den Druck auf den Koalitionspartner: „Wer sich jetzt noch gegen die Vorratsdatenspeicherung wehrt, hat die Bedrohungslage nicht verstanden.“

    aus http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,729739,00.html

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.