Zum Stand der Vorratsdatenspeicherung in Berlin und Brüssel

Christian Rath hatte gestern in der taz eine gute Zusammenfassung der Debatte um die Vorratsdatenspeicherung. Ich nehme das mal als Anlass, noch ein paar Infos mehr in die Runde zu werfen:

Streit in Brüssel

In Brüssel läuft derzeit die Evaluierung der EU-Richtlinie, und die zuständige Innenkommissarin Cecilia Malmström hat leider kürzlich auf einer Konferenz der Kommission angekündigt, die umstrittene Massenüberwachung nicht abzuschaffen. Dabei stieß sie auf ziemlich viel Gegenwind, weil bisher so gut wie keine Daten aus den Mitgliedsstaaten vorliegen, die nachweisen würden, dass dies wirklich „strikt notwendig und verhältnismäßig in einer demokratischen Gesellschaft“ (so der EU-Datenschutzbeauftragte Peter Hustinx) ist. Sogar der Vertreter von Microsoft, der allerdings in persönlicher Eigenschaft sprach, stellte am Ende der Konferenz fest: „Einer muss es mal sagen: Der Kaiser hat keine Kleider.“ Lesenswert ist übrigens auch die Rede von Axel Arnbak vom EDRi-Mitglied Bits of Freedom aus Amsterdam auf der Konferenz, der mit einigen Vertretern der deutschen und österreichischen Arbeitskreise Vorrat und anderen die Fahne der Überwachungsgegner hoch hielt.

Die taz fasst den Stand in der EU zusammen:

Außerdem (…) steht noch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs über die Vereinbarkeit der Vorratsdatenspeicherung mit EU-Grundrechten aus. Der irische High Court will ein entsprechendes Verfahren in Luxemburg vorlegen, wird das aber wohl erst Mitte 2011 tun, weil noch Streit um die konkrete Vorlagefrage besteht. Und auch dann dauert es noch ein, zwei Jahre bis zu einem Urteil.

Die EU-Kommission hat schon angekündigt, dass sie nicht so lange warten und säumige EU-Staaten ihrerseits in Luxemburg verklagen will. Bisher hatte sie beim EuGH immer Erfolg. Schweden, Griechenland und Österreich wurden bereits wegen fehlender Umsetzung der Richtlinie veruerteilt

Bei Bits of Freedom ist ein ausführlicher Bericht von der Konferenz, im aktuellen EDRi-Gram gibt es eine Kurzfassung.

Streit in Berlin

Daneben tobt der Streit in der Bundesregierung zwischen FDP und Union, wie auch in der gestrigen Bundestagsdebatte herauszuhören war. Die FDP fordert weiterhin ein „Quick Freeze“, also das Protokollieren der Daten erst ab einem konkreten Verdachtsmoment. Die taz dazu:

Leutheusser-Schnarrenberger geht (…) in die Offensive und will demnächst einen eigenen Vorschlag für das so genannte Quick-Freeze-Verfahren vorlegen, erklärte jetzt das Ministerium auf Anfrage der taz. Dabei werden Daten, die aus technischen oder buchhalterischen Gründen noch vorhanden sind, im Verdachtsfall schnell gesichert, bis ein Richter die Auswertung genehmigt.

Die Union mitsamt BKA und den Innenministerien der Länder ist dagegen und will wieder die flächendeckende Überwachung der Telekommunikation. Die Grünen, die mit ihrem Antrag zur Abschaffung der Speicherung auf EU-Ebene die Debatte angezettelt hatten, sind ebenso wie die Linken für die Abschaffung. Aus der Bundestagsdebatte berichtete Stefan Krempl für heise.

Interessant war, dass sich die SPD am Ende enthalten hat. Das mag rein taktische Gründe haben – man will ja der Regierung nicht als Opposition noch Unterstützung geben – aber das Umfallen der SPD in der großen Koalition mit der Union hat 2005 immerhin erst zur Einführung der Vorratsdatenspeicherung in der EU geführt, weil die vom Deutschen Martin Schulz geführte sozialdemokratische Fraktion im Europaparlament der Maßnahme zugestimmt hat.

Die FDP hat den Antrag der Grünen gestern übrigens abgelehnt, mit der Begründung, dass er nicht nötig sei, weil man ja eh schon lange gegen die Speicherung sei. Koalitionszwänge gibt es also weiterhin, JMStV hin oder her…

Nächste Schritte

Der Evaluierungsbericht der EU-Kommission soll im März oder April vorgelegt werden. Via EDRi und AK Vorrat wird derzeit über einen „Schattenbericht“ nachgedacht, der möglichst vorher fertig werden soll. Hier ist noch Hilfe nötig. Meldet euch am besten beim AK Vorrat oder direkt bei EDRi.

Ich werde gemeinsam mit einigen Leuten (darunter auch Axel Arnbak von BOF sowie Patrick Breyer vom AK Vorrat) auf dem 27C3 einen Vortrag über den aktuellen Stand der Vorratsdatenspeicherung auf EU-Ebene halten. Wir werden hier nochmal genauer in die Details gehen und dann – hoffentlich mit genügend Publikumsbeteiligung – darüber nachdenken, wie man am effektivsten auf EU-Ebene in den nächsten Monaten Druck gegen die Massenüberwachung aufbauen kann. Ich habe dazu auch schon einen Workshopraum für das Follow-Up beantragt, weiss aber noch nicht, ob das klappt. Da die Ticket-Policy beim Kongress dieses Jahr sehr strikt ist, wird es vermutlich auch noch Treffen in der C-Base dazu geben.

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19 Ergänzungen

  1. Wieso hat sich die SPD enthalten? Die war doch nach Abwahl wieder gegen die VDS.

    @Ralf Bendrath

    Taktische Grüne überall. ;)

    -> Interessant war, dass sich die SPD am Ende enthalten hat. Das mag rein taktische Grüne haben

    1. @ Tharben: Danke für den Hinweis, hab den Tippfehler korrigiert.

      Dass die SPD nun komplett gegen die VDS wäre, ist mir neu. Wiefelspütz und andere haben immer wieder vehement dafür plädiert. Die SPD-Linken und Internetversteher mögen das anders sehen. Ich vermute, hier läuft im Hintergrund der schmerzhafte und langwierige Prozess der Neu-Positionierung der ehemaligen Volkspartei. Ende offen.

  2. dann sollten sie auch den amtseid von „dem volke dienen“ ändern in „ich unterwerfe mich jederzeit und an jedem ort der parteidisziplin“

    dann sind wir wenigstens das hohle schmierentheater los.

    aber das wird noch lustig, wenn bis auf die blödzeitungsleser so langsam einen plan bekommen wie es „in dissem unsrn londe“ läuft. gestern haben sie den spd-abgeordenten aus dem stammlokal geworfen mit prügelandrohung…..

  3. Kann mir mal jemand sagen was bitte schön die immer wieder geäußerten „schweren und schwersten Straftaten“ die nur mit der VDS aufgeklärt werden können sind vgl. http://www.heise.de/newsticker/meldung/Bundestag-lehnt-Antrag-gegen-Vorratsdatenspeicherung-ab-1155055.html
    Wenn sich Politiker mal dazu äußern hört man von an sie absichtlich verschickte Kunstvaginas oder es der der Enkeltrick angeführt…nur dürfte das nicht unter die schweren und schwersten Straftaten fallen für die man die VDS braucht.
    Zudem stellt sich die Frage was die Herren Generalstaatsanwälte in der Zeit gemacht haben als es noch keine VDS gab vgl. http://www.heise.de/newsticker/foren/S-Mal-eine-einfache-Frage/forum-190990/msg-19587971/read/

    bombjack

  4. @9

    Danke

    aus dem PDF:

    […]Dies ist vor allem bedeutsam, da der Hauptanteil (69,52 %) der hier erfassten Fälle aus dem Deliktsbereich der Kinderpornografie stammt und gerade in diesen Fällen ein
    unverzügliches Unterbinden des fortgesetzten Missbrauchs höchste Priorität hat.
    […]

    Sind anscheinend so um die 850 Anschlüsse die betroffen sind….geht man nun davon aus, dass wie das Zitat suggeriert jeder Anschluss ein Fall mit fortgesetztem Missbrauch ist hätte man 850 Fälle….

    Nun mal der Auszug aus der PKS 2009

    Schlüssel: 131600 Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern zur Herstellung und Verbreitung pornographischer Schriften § 176a
    Abs. 3 StGB

    Sucht man diesen Schlüssel in der PKS 2009 http://www.bka.de/pks/pks2009/download/pks-jb_2009_6-steller.pdf gibt es lediglich 87 aufgeklärte Fälle dazu kommt noch dass sich der § 176a Abs. 3 StGB auf den §176 StgB bezieht d.h. wenn von einem Kind Posing-Aufnahmen gemacht werden fließt dies als Fall genauso in die Statistik ein, als der „Blow-Job“ von einer 6-Jährigen gegenüber einem Erwachsenen (derb ausgedrückt).

    Zudem frage ich mich was so eine wertende Aussage „unverzügliches Unterbinden des fortgesetzten Missbrauchs“ was aus den Daten gar nicht abgeleitet werden kann in so einer Erhebung überhaupt zu suchen hat….

    Außerdem wenn folgendes lese:
    […]619 der
    insgesamt 850 negativen Fälle (rd. 73 %) im dem Bereich Strafverfolgung stellen derzeit
    Straftaten der Verbreitung, des Erwerbs oder Besitzes von kinder- und jugendpornographischen
    Schriften (§§ 184b I-III, 184c III StGB) dar.
    […]

    frage ich mich
    a) was Verbreitung, Erwerb und Besitz dieser Schriften wiederum mit der Produktion zu tun haben?
    b) warum da Kinder- und Jungendpornographie in einen Topf geworfen wird?
    c) und wenn ich mir den Fehlschlag der „Operation Himmel“ ansehe, ob den Grundlagen für diese Zahlen so ohne weiteres trauen darf bzw. da nicht Stimmung in eine best. Richtung gemacht wird….

    Noch besser wird es bei den Fällen

    a.) BKA – Gefahrenabwehr (siehe Anlage 1, Fälle 1 bis 4, S. 1-10)

    Fall 1: die Person ist in Haft…..was sagt diese beim Verhör aus?

    Fall 2: Bot Netz….
    Ist laut Bundesverfassungsgericht nicht von der VDS gedeckt….

    Fall 3 konnte ohne VDS aufgeklärt werden…

    b.) Länder und BPOL – Gefahrenabwehr (siehe Anlage 2, Fälle 1 bis 3, S. 1-5)

    Fall 1: Da reicht erhöhte Wachsamkeit bei den betroffenen Institutionen und nach dem Kontakt über „studiVZ hätte man den Täter in eine Falle locken können.

    c.) BKA – Strafverfolgung (siehe Anlage 1, Fälle 5 bis 18, S. 11-39)

    Fall 5: Die CIA-Agenten haben in Dubai jede Menge Spuren hinterlassen….

    Fall 6: Internet-Caffee, Hotspot oder gekapertes W-Lan oder anders gefragt ist ein Unterstützer einer terroristischen Vereinigung so blöd mit seiner IP zum posten?

    Fall 7: Warum geht die Mutter nicht zur Polizei, wenn sie sich so sicher ist?

    Fall 8: Aktenzeichen xy unglöst…der Typ dürfte bei Freunden untergekommen sein…

    Fall 9: Ist laut Bundesverfassungsgericht nicht von der VDS gedeckt….

    usw.

    Warum habe ich nur das Gefühl, dass dies eine Beweihräucherung des BKA für die VDS ist?

    Hey, wenn man jedem Bundesbürger seine DNA abnimmt und das speichert, ihm einen GPS-Sender in den Arsch implantiert und in seiner Wohnung Kameras installiert, zudem noch dafür sorgt dass die lieben Strafverfolger verdachtsunabhängige Hausdurchsuchungen machen können, kann man bestimmt ncoh viel mehr Fälle aufklären….so kommt mir dieser von BKA verfasste Bericht vor…..und ich glaube da gilt der Spruch: „Traue keiner Statistik, die Du nicht selber gefälscht hast“ um so mehr….

    bombjack

  5. ich bin kein hetzer, hasse gewalt etc, aber eins muss klar sein:

    so einfach wie seinerzeit zensursula mediengeil das stoppschild in die kameras hielt und die ganze parlamentarische welt hat beifall geklatscht wird es diesmal nicht abgehen.

    das werde die in der verblödungskuppel in berlin schon gemerkt haben, obwohl sie ja wenig merken.

    wenn ich diesen fdp-schnösel, der noch nie in seinem leben gearbeitet hat, im bundestag über den mindestlohn proleten höre, fällt mir nichts mehr ein. sogar mein opa schüttelt nur noch den kopf, und der kann im gegensatz zu herrn dr. uhl (csu) wenigstens den pc anmachen und mit seinen enkelchen „schkeipen“

  6. Kleine Ergänzung….

    Diese Erhebung läuft laut PDF vom 02.03. bis 17.09.2010 d.h 7 Monate…..und in der Zeit wurden 1157 Anschlüsse d.h. Fälle nachgefragt, davon wurden 850 negativ von ISP beschieden.

    Ferner ließt man dass 479 nicht aufgeklärt werden konnten….

    Rundet man das mal auf 500 Fälle auf und nimmt mal 6 Monate an, erhält man 1000 Fälle die nicht aufgeklärt werden können…und wegen 1000 Fällen soll man die Verkehrs-Daten von 80000000 Bundesbürgern auf Vorrat speichern?

    bombjack

  7. @bombjack

    das reicht für die herren um ziercke allemal. nur, es ist niemand da, der diesen bullshit stoppt. man höre nur die kommentare in der letzten zeit „wir brauchen…“ „wir fordern….

    wie geht der running gag nochmal?

    verfassungsbruch in 2 worten? „CDU fordert….“ oder so ähnlich.

  8. Aus dem verlinkten taz-Artikel:

    Wenn die Daten nicht nützlich wären, würden Strafverfolgungsbehörden nicht menschliche und finanzielle Ressourven [sic] investieren, um soviele Anfragen zu stellen“, schlussfolgerte Malmström.

    Nee, is klar – es ist ja überhaupt noch nie vorgekommen, dass irgendwelche Behörden „menschliche und finanzielle Ressourcen“ für fragwürdige oder sinnlose Aktivitäten vergeudet hätten.

    Die EU schafft also die Möglichkeit der Datenabfrage, und alleine die Tatsache, dass diese dann rege genutzt wird, soll im Nachhinein als Begründung für ihre Notwendigkeit herhalten?

    Das ist ja mal wieder ein außerordentlich logischer Ansatz – so wie man es von unseren Politikern in letzter Zeit schon gewohnt ist.

    1. @pham: Es steht ausser Frage, dass die Daten nützlich sein können. Die Frage ist aber, ob man 1. ohne die Daten nicht auch zum Ziel gekommen wäre und 2. ob das Verfahren verhältnismässig ist.

      Wie schon gesagt wurde, wäre so einiges machbar und nützlich, siehe Nr. 10, aber die Nebenwirkungen…

  9. Man sollte Malmström derart heftig und häufig ins Gesicht schlagen (das meine ich natürlich metaphorisch), bis sie heulend von ihrem Vorhaben abläßt.

  10. Nur mal so eine ganz dumme Zwischenfrage. Mir ist kürzlich irgendwie erst klar geworden, daß die deutsche Datenschutzgesetzgebung hinsichtlich der Anonymisierung von IP Adressen in normalen Nutzungslogs (also im Regelfall das Nullen des letzten IP-Oktetts) bei konsequenter Anwendung die Vorratsdatenspeicherung über die Einwahl-IP nutzlos machen würde, solange der Nutzer nicht explizit in die Speicherung der IP zum Beispiel im Rahmen des Hinterlassens eines Kommentars wie diesem einwilligt.

    Irgendwie macht das so noch weniger Sinn als vorher schon. Irre ich mich, oder müßte dann der Datenschutzbeauftragte für die Einhaltung der Richtlinien sorgen, die dafür Sorge tragen sollen, daß die Einwahl IPs keine Vergleichsdaten in den Serverlogs haben…?

    Habe ich da irgendwas nicht verstanden?

    Danke für eine eventuell notwendige Aufklärung.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.