Kontroverse Debatte im Bundestag über die Vorratsdatenspeicherung

Während die CDU/CSU es mit dem Regierungsentwurf zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung nicht bewenden lassen will, lehnten Oppositionspolitiker das Vorhaben als potenziell verfassungswidrig ab.

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Zu einem Schlagabtausch zwischen Vertretern der großen Koalition und der Oppositionsparteien kam es am heutigen Freitag im Bundestag bei der 1. Lesung des heftig umstrittenen Regierungsentwurfs zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen. Politiker der Linken und der Grünen warfen der Bundesregierung vor, gerade mit der geplanten Umsetzung der umstrittenen EU-Vorgaben zur Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten den Bereich des Rechtsstaates verlassen zu haben. Der Rechtsexperte der CDU/CSU-Fraktion, Jürgen Gehb, machte dagegen deutlich, dass der Entwurf den "Notwendigkeiten" wohl noch hinterher hinke.

Der parlamentarische Staatssekretär im federführenden Bundesjustizministerium. Alfred Hartenbach, stieg mit der Versicherung in die halbstündige Debatte ein, dass die Regierung eine "eingehende und sorgfältige" Überarbeitung des strittigen Entwurfs zu heimlichen Überwachungsmaßnahmen vorgelegt habe. Der Anlass-Katalog für das Abhören von Telefonaten und E-Mails sei auf "schwere Straftaten" ausgerichtet worden, für spezielle Berufsgeheimnisträger wie Abgeordnete oder Geistliche seien "abhörfreie Zonen" und für Betroffene erweiterte Benachrichtigungspflichten vorgesehen. Die geplante sechsmonatige Vorratsdatenspeicherung verteidigte er als erforderlich, damit die Anfragen der Sicherheitsbehörden nach Verbindungs- und Standortdaten angesichts der wachsenden Verbreitung von Pauschaltarifen und damit wegfallenden Speicherpflichten nicht ins Leere laufen würden. Seinem Empfinden nach hat der Entwurf seitens der Opposition und der Länder bisher wenig Kritik erfahren.

Dies änderte sich rasch. Ulla Jelpke von der Linken warf der Regierung vor, die TK-Überwachung auf die Spitze treiben zu wollen. Mit der Vorratsdatenspeicherung käme es zu "noch mehr Beobachtung und Schnüffelei in einem Ausmaß, das kaum eine Kontrolle zulässt". Aus den festgehaltenen Informationen über sämtliche elektronische Kommunikation könnten Sicherheitsbehörden ausführliche Profile persönlicher Kontakte erstellen, was zu einem "Grundrechtseingriff mit maximaler Streubreite" führe. Der "verfassungswidrige Entwurf" ist für sie ein Beispiel dafür, "wie krankhaft und misstrauisch eine Allmacht-strebende Regierung ist".

Der Grüne Hans-Christian Ströbele sprach von einem "Paradigmenwechsel, den wir nicht mitmachen". Die von den Speicherpflichten betroffenen 80 Millionen Bundesbürger seien keine potenziellen Gefährder oder Straftäter, sodass nicht ohne Verdacht in ihr Telekommunikationsgeheimnis eingegriffen werden dürfe. Den Grünen zufolge müsse der bislang ständig erweiterte Straftatenkatalog für Abhörmaßnahmen durch eine grundsätzliche Festlegung auf "allerschwerste" Vergehen ersetzt und der Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung sowie aller Berufsgeheimnisträger verbessert werden. Der Liberale Jörg van Essen forderte hier ebenfalls Korrekturen und monierte, dass die Regierung trotz eines einstimmigen Beschlusses des Bundestags gegen die Vorratsdatenspeicherung nun sogar über die Brüsseler Richtlinie hinausgehe.

Laut Gehb werde es "mit der Vorlage nicht sein Bewenden haben". Es sei darüber nachzudenken, dass man auch bei der Internetüberwachung nachfasse, wenn sich Kriminelle verstärkt dieses Mediums bedienten und die Polizei "hinterher hechelt". Der CDU-Politiker stützte so indirekt Rufe nach einer Aufnahme einer Befugnis für heimliche Online-Durchsuchungen in den Entwurf, wie sie etwa im Bundesrat laut geworden waren. Die Einwände gegen die Vorratsdatenspeicherung sind für ihn "von einer signifikanten Faktenabstinenz gekennzeichnet". Die Rede von einem Generalverdacht oder der Aufgabe der Unschuldsvermutung hätte in diesem Bereich nichts zu suchen, da ermittelnde Beamte jedem Verdacht nachgehen müssten und eine Untersuchungshaft ja auch möglich sei.

Die Bundesregierung befürwortet inzwischen weitere Verschärfungen. In einer Gegenäußerung (am Ende der PDF-Datei) zur Stellungnahme des Bundesrates erachtet sie etwa das Anliegen der Länder "für bedenkenswert", dass Diensteanbieter Auskunft über den Inhaber einer dynamischen IP-Adresse auch zur einfacheren zivilrechtlichen Verfolgung etwa von Urheberrechtsverletzungen in Tauschbörsen erteilen dürfen. "Selbst zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten wie Falschparken will die Bundesregierung die Nutzung der Vorratsdaten zulassen", fürchtet daher der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung. "Dies bestätigt unsere Warnung, dass alle Dämme brechen, sobald unser Kommunikationsverhalten erst einmal erfasst und protokolliert ist", führt Patrick Breyer von dem Verbund zivilgesellschaftlicher Organisationen aus. "Wegen der Dateninkontinenz des Gesetzgebers ist der einzig effektive Schutz vor der staatlichen Überwachungslust, schon die verfassungswidrige Anhäufung der sensiblen Daten zu unterbinden."

Prüfen will die Bundesregierung den Vorschlag der Länder, eine Verkehrsdatenerhebung in Form einer Funkzellenabfrage auch zur Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Beschuldigten zu ermöglichen. Sie verspricht zudem eine Überarbeitung der Telekommunikations-Überwachungsanordnung (TKÜV). Auch die geforderte Ausweitung des Straftatenkatalogs will die Regierung teilweise in Betracht ziehen sowie Überwachungsanordnungen eventuell ausdehnen.

Der Branchenverband Bitkom wies darauf hin, dass Augenmaß gewahrt werden müsse. "Das Gesetz darf nicht strenger ausfallen als die entsprechende EU-Richtlinie", erinnerte der Präsident der Lobbyvereinigung, August-Wilhelm Scheer, die Abgeordneten an ihre Vorgaben. Er pocht etwa auf eine angemessene Übergangsfrist für Netzbetreiber und Internet-Anbieter. Das Gesetz dürfe frühestens Anfang 2009 in Kraft treten. Der Verband wiederholte zudem genauso wie die TK-Branchenvereinigung VATM die Forderung nach einer angemessenen Entschädigung der Unternehmen für die Hilfssheriffdienste.

Für Rosemarie Will, Bundesvorsitzende der Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union, bleibt der Entwurf hinter den Ansprüchen des federführenden Bundesjustizministeriums zurück. Er steuere der Fehlentwicklung, dass die Zahl der überwachten Telefonate hierzulande ständig ansteige und die richterliche Prüfung zu wünschen übrig lasse, nicht entgegen. Mit der verdachtsunabhängigen Erfassung elektronischer Kommunikationen auf Vorrat würden zentrale Prinzipien des Datenschutzes außer Kraft gesetzt. (Stefan Krempl) / (vbr)