Bundestagsanalyse: Vorratsdatenspeicherung hilft Ermittlern nicht wirklich

Laut einer Untersuchung des wissenschaftlichen Dienstes des Parlaments hat die Protokollierung von Nutzerspuren in EU-Ländern die Aufklärungsquoten nicht groß verändert. Die EU-Kommission verklagt derweil Schweden erneut wegen Nichtumsetzung der Maßnahme.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 87 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.

Die FDP erhält in ihrer ablehnenden Haltung zu einer Neueinführung der Vorratsdatenspeicherung Unterstützung vom wissenschaftlichen Dienst des Bundestags. Eine Sachstandsanalyse der Parlamentsforscher, die heise online vorliegt (Az.: WD 7 ­ 3000 ­ 036/11), hat in der EU keine Hinweise dafür gefunden, dass eine verdachtsunabhängige Protokollierung von Nutzerspuren den Ermittlern nachweisbar bei ihrer Arbeit hilft. "In den meisten Ländern kam es in den Jahren 2005 bis 2010 zu keinen signifikanten Änderungen der Aufklärungsquote", heißt es in dem neunseitigen Bericht. Die Rate der Täterermittlung sei ein "wichtiger Indikator des Strafverfolgungssystems".

Die Analyse gibt zunächst einen Überblick über die Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung in den Mitgliedsstaaten. Demnach fehlt eine entsprechende nationale Regelung in Österreich und Schweden nach wie vor gänzlich. In Deutschland und Rumänien seien einschlägige Bestimmungen aufgrund von Verfassungsgerichtsurteilen wieder außer Kraft gesetzt worden. Lediglich in Lettland sei die Aufklärungsquote zwischen 2006 und 2007 erheblich angestiegen, was aber mit der Einführung eines neuen strafrechtlichen Verfahrens zusammenhänge und nicht auf die Implementierung der EU-Vorgaben zur Vorratsdatenspeicherung zurückzuführen sei.

Überwiegend liegen gemäß dem Papier Informationen zu Effekten der Protokollierung von Nutzerspuren auf die Aufklärungsquote von Straftaten in den einzelnen Mitgliedsstaaten nicht vor. Statistische Daten zu dieser Fragestellung seien bislang noch kaum erhoben worden. Dies liege wohl auch daran, dass der Zeitraum, der seit der Umsetzung in den Mitgliedsstaaten vergangen ist, für aussagekräftige Nachweise schlicht zu kurz sei. Allein aus Sicht Zyperns liege es nahe, dass die Vorratsdatenspeicherung dem Erfolg polizeilicher Ermittlungen zugute komme. Zahlen dazu hat das Land aber nicht vorgelegt. Andererseits gab etwa ein Leitungsbeamter der finnischen Polizei zu Protokoll, dass ein Effekt der Aufbewahrung von Verbindungs- und Standortdaten nicht spürbar sei. In seinem Land sank die Aufklärungsrate zuletzt leicht von 61,5 Prozent im Jahr 2009 auf 59,3 Prozent im Folgejahr.

Für den Vorsitzenden der FDP-Arbeitsgruppe Recht, Marco Buschmann, ist damit klar, dass das anlasslose Speichern von Telekommunikationsdaten nur auf Kosten der Freiheit gehe, während es die Sicherheit der Bürger nicht erhöhe. Die von ihm in Auftrag gegebene Untersuchung habe klar bestätigt, dass es keinen Beleg dafür gebe, dass die Vorratsdatenspeicherung zu einer effektiveren Strafverfolgung führe. In mehreren europäischen Staaten – einschließlich Deutschlands – seien die Aufklärungsquoten der Sicherheitsbehörden nach der Einführung einer Pflicht zur Protokollierung der Nutzerspuren sogar zurückgegangen. Eine Studie des Max-Planck-Instituts für Strafrecht in Freiburg hatte im Jahr 2008 ergeben, dass die Verfolgung von Straftaten im Untersuchungszeitraum 2003 und 2004 nur um 0,002 Prozent durch eine Vorratsspeicherung von Verbindungsdaten hätte verbessert werden können.

Die EU-Kommission hat Schweden unterdessen wegen der Nichtumsetzung der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung erneut vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) zitiert. Dreieinhalb Jahre nach Ablauf der Implementierungsfrist seien durch das Versäumnis "negative Auswirkungen für den Binnenmarkt für elektronische Kommunikation und die Ermittlungs- und Strafverfolgungstätigkeit der Polizei- und Justizbehörden in Fällen von schwerer Kriminalität zu befürchten", glaubt die Brüsseler Regierungseinrichtung. Der EuGH hatte Schweden im vergangenen Jahr wegen Nichterfüllung seiner Pflichten bereits erstmals verurteilt. Daraufhin legte die Regierung in Stockholm einen Gesetzesentwurf zur Anwendung der Vorgaben vor. Mitte März beschloss das schwedische Parlament aber, die Abstimmung darüber um ein Jahr zu verschieben.

Der EuGH soll nach dem Willen der Kommission nun ein empfindliches Strafgeld gegen den EU-Staat verhängen. Man habe dem Gerichtshof vorgeschlagen, Schweden für jeden Verzugstag von der Verkündung des erwarteten zweiten Urteils an bis zur Beendigung des Verstoßes mit einem Zwangsgeld in Höhe von 40.947 Euro und für den Zeitraum zwischen dem ersten Beschluss der Luxemburger Richter und dem zweiten mit einer pauschalen Geldbuße in Höhe von 9597 Euro pro Tag zu belegen. (jk)