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Vorratsdatenspeicherung Brüssel will Deutschland zur Netz-Überwachung zwingen

Ein paar Einschränkungen wären gut, aber insgesamt ist das Datenspeichern auf Vorrat in Ordnung - so lautet das Fazit eines EU-Prüfberichts. Mehr noch: Die Brüsseler Kommission hält die Vollerfassung von Handy- und Internetverbindungen für unverzichtbar. Den Unionsparteien wird das gefallen.
EU-Kommissarin Malmström: Die liberale Politikerin torpediert liberale Wunschvorstellungen

EU-Kommissarin Malmström: Die liberale Politikerin torpediert liberale Wunschvorstellungen

Foto: GEORGES GOBET/ AFP

Brüssel/Berlin - Ein Sieg für FDP-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist der Bericht nicht, der da aus Brüssel kommt. Die Vorratsdatenspeicherung, so das Fazit, soll bleiben, wenn auch mit Änderungen. "Wir brauchen einen verhältnismäßigen, einheitlichen Ansatz für die gesamte EU", sagt EU-Kommissarin Cecilia Malmström.

Sie hatte die EU-Richtlinie zur umstrittenen, in Deutschland vom Bundesverfassungsgericht vorläufig kassierten Vorratsdatenspeicherung auf den Prüfstand stellen lassen. Nun liegt das Ergebnis vor - und der Streit geht weiter.

Denn klar ist: Die EU-Kommission hält die Speicherung weder für unsinnig noch für einen unzulässigen Eingriff in die Bürgerrechte. Im Gegenteil: Das Papier stützt die Argumente all jener in Bundestag und Bundesregierung, die sich die Protokollierung sämtlicher Telefon- und Internetverbindungsdaten möglichst schnell zurückwünschen.

Leutheusser-Schnarrenberger hatte sich aus Brüssel anderes erhofft. Dass sie nach dem Verfassungsgerichtsurteil mit einer gesetzlichen Neuregelung erst einmal wartete, begründete sie stets mit dem laufenden EU-Verfahren. Und die FDP-Politikerin durfte tatsächlich auf Unterstützung aus Brüssel hoffen: Immerhin verantwortet mit Cecilia Malmström eine Liberale das zuständige Innenressort. Doch die ersehnte Hilfestellung blieb aus, wie der nun vorgelegte Bericht zeigt.

Die Kommission droht Deutschland

Anders als nach dem Urteil aus Karlsruhe, wo auch Leutheusser-Schnarrenberger - damals noch in der Opposition - als Klägerin gegen die Vorratsdatenspeicherung auftrat, hält Brüssel nicht nur an der umstrittenen Datenerfassung fest. Die EU-Kommission drängt Deutschland sogar dazu, mit dem Datensammeln so schnell wie möglich wieder zu beginnen. Andernfalls droht Brüssel mit einem Verfahren wegen Verletzung des EU-Vertrags.

Die erste der Empfehlungen in Abschnitt acht des Evaluationsberichts lautet: "Die EU sollte Vorratsdatenspeicherung als Sicherheitsmaßnahme unterstützen und regulieren." Den Kritikern der Richtlinie wird zwar viel Platz eingeräumt - aber nicht primär aus Gründen des Datenschutzes und der Bürgerrechte. Vielmehr kritisieren die Autoren des Prüfberichts, dass die Umlage der Kosten, die Providern und Mobilfunkanbietern durch die Speicherpflicht entstehen, nicht europaweit gleichlautend geregelt sei: "Den Betreibern sollten die entstehenden Kosten einheitlich erstattet werden."

Zudem solle die Anzahl der Kategorien von Daten, die gespeichert werden, reduziert werden - ohne, dass dieser Punkt genauer ausgeführt würde. Es ist jedenfalls nicht anzunehmen, die Erfassung von Mobilfunktdaten eingeschränkt werden soll, mit denen sich Bewegungsprofile jedes Handy-Nutzers erstellen lassen. Andernorts im Bericht wird nämlich darauf verwiesen, dass die Strafverfolger überall in der EU vor allem die Mobilfunkdaten häufig nachfragen.

100 Anträge in Zypern, eine Million in Polen

Die Schlussfolgerung des Berichts: Die Kommission werde eine Revision der gegenwärtigen Vorratsdatenspeicherungsstruktur vorschlagen. Den Einfluss der Speicherung so vieler personenbezogener Daten über jeden Bürger auf "das Verhalten" will die Kommission weiter untersuchen lassen. Das Bundesverfassungsgericht hatte diesen Aspekt, die potentiellen gesellschaftlichen Folgen eines permanenten Gefühls der Überwachung, in seiner Urteilsbegründung explizit zum Thema gemacht.

Am grundsätzlich positiven Fazit des EU-Berichts ändert dies nichts: Die monatelange Auswertung habe gezeigt, "dass die Speicherung ein wertvolles Instrument für die Justizsysteme und Strafverfolgungsbehörden in der EU ist", heißt es schon in der Einleitung.

Immerhin plane die Kommission nun Ergänzungen, etwa bei der Datensicherheit. Das interne Kommissionspapier erwähnt auch kritische Positionen etwa des europäischen Datenschutzbeauftragten und verschiedene erfolgreiche Klagen gegen die Speicherpflicht - auch jene in Karlsruhe. Andererseits zeige die Erfahrung vieler Mitgliedstaaten, dass die Protokollierung in einigen Fällen "unverzichtbar für die Verhinderung und Bekämpfung von Verbrechen ist".

Was der Begriff "unverzichtbar" bedeutet, bleibt allerdings schwammig. So gibt es zwischen den einzelnen EU-Staaten enorme Unterschiede, wie die mitgelieferten Statistiken belegen: In Zypern etwa stellten die Behörden innerhalb eines Jahres gerade mal hundert Anträge, um Zugriff auf gespeicherte Daten zu bekommen. In Polen hingegen waren es eine Million. Solche Diskrepanzen sind wohl mit ein Grund, warum der Bericht mehr Einheitlichkeit anmahnt. Dies gilt sowohl für die Zwecke, zu welchen die Daten genutzt werden dürfen, als auch für die Arten von Verbrechen, zu deren Verfolgung der Datenzugriff gestattet wird. Denn eigentlich, das betont auch Brüssel, sollen die Daten nur für die Bekämpfung besonders schwerwiegender Straftaten eingesetzt werden.

Innenminister Friedrich dürfte der Bericht gefallen

Der Umgang mit den erfassten Daten solle generell stärker reglementiert werden, so der Prüfbericht, "einschließlich der Verhinderung von Data Mining" - also komplexen Auswertungen über größere Datensätze hinweg.

Alle derartigen, potentiell einschränkenden Vorschläge werden in einer knappen Liste am Ende des Texts in wachsweiche Formulierungen gefasst. Da ist zum Beispiel von einer "Harmonisierung und möglicherweise Verkürzung der Zeiträume" die Rede, für die Daten gespeichert werden sollen. Eine explizite Forderung nach Einschränkung der Speicherdauer ist das nicht.

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) wird das Fazit des Brüsseler Berichts jedenfalls gefallen. Er hatte schon bei seiner Amtsübernahme erklärt, er halte wie seine Vorgänger eine Speicherung über sechs Monate für angemessen. Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger und Friedrich stehen sich in dieser Frage unversöhnlich gegenüber. Alle Innenpolitiker der Union fordern ein neues, verfassungskonformes Speichergesetz, im Konzert mit den Chefs der deutschen Sicherheitsbehörden und den Polizeigewerkschaften. Ohne Speicherung keine effektive Strafverfolgung, das ist stets ihr Argument.

Zuletzt warfen sie der Justizministerin fast im Wochentakt vor, "Schutzlücken" zu produzieren. Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann bezeichnete Leutheusser-Schnarrenberger gar als "Sicherheitsrisiko".