EU-Kommission verteidigt Festhalten an der Vorratsdatenspeicherung

Innenkommissarin Cecilia Malmström hat den Evaluierungsbericht über die umkämpfte EU-Richtlinie zur Protokollierung von Nutzerspuren offiziell vorgestellt. Bürgerrechtler und Abgeordnete fordern die Aufhebung der Direktive.

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EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström hat die Ergebnisse der Evaluation zur heftig umkämpften EU-Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung, die bereits vorab im Internet zu finden waren, jetzt auch offiziell vorgestellt. Der Bewertungsbericht (PDF-Datei) habe nicht nur bestätigt, wie wichtig die verdachtsunabhängige Protokollierung von Nutzerspuren für die Justiz und die Strafverfolgung sei, sondern auch "gravierende Mängel" aufgezeigt, erklärte die Schwedin am heutigen Montag in Brüssel. "Wir brauchen einen verhältnismäßigeren, einheitlicheren Ansatz für die gesamte EU", betonte die Liberale. "Deswegen ist es meine Absicht, die Richtlinie zu überprüfen und klar zu regeln, wer auf die Daten zugreifen darf, zu welchem Zweck und welche Verfahren dabei zu beachten sind."

Bei einer Pressekonferenz verwies Malmström darauf, dass es voraussichtlich mehrere Jahre dauern werde, bis der Prozess der Änderung der Brüsseler Vorgaben zur stärkeren Harmonisierung des Gemeinschaftsrechts und zum besseren Datenschutz abgeschlossen sei. Bis dahin müsse dem geltenden Recht Folge geleistet werden, zumal die Mitgliedsstaaten selbst an erster Stelle die Direktive gewollt hätten, nicht die Kommission. Zur Durchsetzung der Umsetzung dieser Bestimmungen in deutsches Recht gibt es der Kommissarin zufolge aber noch keinen Zeitplan. Man befinde sich derzeit in Gesprächen mit den Behörden in Deutschland.

Bürgerrechtler, Datenschützer, Internetnutzer und EU-Parlamentarier fordern angesichts der Resultate die Aufhebung der Richtlinie. Es handle sich dabei um die "tiefgreifendste und unbeliebteste Überwachungsmaßnahme in der Geschichte der EU", meint etwa der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung. Angesichts der aufgedeckten vielen "Fehler und Risiken" vermeidet Malmström nach Ansicht der Bürgerrechtler "die einzig richtige Konsequenz, nämlich die Abkehr von einer flächendeckenden Erfassung" aller Standort- und Verbindungsdaten. Der Bericht sei ein "politisches Dokument und nicht das Ergebnis einer unabhängigen und wissenschaftlichen Standards genügenden Wirksamkeitsanalyse, die den Namen Evaluierung verdient hätte", moniert der Arbeitskreis. Die angeführten Statistiken und Einzelfälle belegten die Notwendigkeit einer Kompletterfassung der Nutzerspuren nicht. Die EU müsse zur Kenntnis nehmen, dass eine Vorratsdatenspeicherung weder die Aufklärungsquote erhöhe, noch die Zahl der begangenen Straftaten reduziere.

Die Vereinigung hat gemeinsam mit anderen, in der "European Digital Rights"-Initiative zusammengeschlossenen Bürgerrechtsorganisationen eine eigene, knapp 30-seitige Bilanz (PDF-Datei) der Richtlinie veröffentlicht. Darin führen die zivilgesellschaftlichen Gruppierungen aus, dass eine ungezielte und flächendeckende Vorratsdatenspeicherung von Bewegungen und Internetkennungen schädliche Auswirkungen auf vielfältige Bereiche der Gesellschaft wie Kontakte zu Beratungsstellen, Ärzten, Rechtsanwälten, Betriebsräten, Psychologen oder Journalisten habe. Ferner würden Datenpannen und -missbrauch begünstigt. Eine anlasslose Aufzeichnung aller Verkehrsdaten sei "ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Grundrechte aller Bürger auf Achtung ihrer Privatsphäre, der Vertraulichkeit ihrer Telekommunikation und auf freie Meinungsäußerung". Nationale Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung hätten höchstgerichtlicher Überprüfung bereits mehrfach nicht standgehalten.

Der Arbeitskreis rechnet damit, dass voraussichtlich 2012 auch der Europäische Gerichtshof die Brüsseler Vorgaben wegen Verletzung der EU-Grundrechtecharta aufheben wird. Deutschland sei bis dahin eine Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung "verboten". Es sei widersprüchlich, dass die Kommission die Bundesregierung zur Umsetzung einer Richtlinie verlange, "die sie selbst nicht unverändert beibehalten möchte", kritisiert Patrick Breyer von der Vereinigung jüngste Ankündigungen Malmströms. Ein neues Umsetzungsgesetz bliebe auch dann bestehen, wenn die verfehlte Direktive längst aufgehoben sei.

Auch in der Politik mehren sich die Stimmen, die einen Schlussstrich unter das Brüsseler Experiment verlangen. "Die anlasslose Vorratsdatenspeicherung ist nicht verhältnismäßig", folgert etwa der Innenexperte der Grünen im EU-Parlament, Jan Philipp Albrecht, aus dem Bericht. Ein ausreichender Beleg für die Notwendigkeit der Maßnahme für die Verhinderung und Aufklärung von terroristischen oder schwerem organisiertem Verbrechen fehle gänzlich. Damit sei die Beschattung des Telekommunikationsverhaltens aller rund 500 Millionen EU-Bürger nicht zu rechtfertigen. Die Kommission müsse daher umgehend die Aufhebung der Richtlinie in Angriff nehmen.

Der gleiche Appell kommt von Albrechts Kollegen im Bundestag, Konstantin von Notz. Statt solider Zahlen weist der wissenschaftlich unhaltbare Report aus Brüssel ihm zufolge "nur Lücken und Anekdoten" auf. Es werde aber zumindest klar, dass die Vorgaben einen "unhaltbaren Wildwuchs an Speicherungen und Datenzugriffen auf Verkehrsdaten" in den Mitgliedsstaaten ausgelöst hätten. Der FDP-Netzpolitiker Jimmy Schulz konstatierte, dass die Vorratsdatenspeicherung "mehr Schaden als Nutzen bringt". Es sei bedauerlich, dass die Kommission die einzige grundrechtskonforme Lösung im Form einer anlassbezogenen Speicherung von Daten gemäß dem "Quick Freeze"-Verfahren zurückweise. Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) rief die Bundesregierung auf, keine übereilte Wiedereinführung der Datenvollerfassung auf den Weg zu bringen. Der Prüfbericht zeige, dass die Richtlinie nicht als Grundlage für entsprechende nationale Gesetze geeignet sei. Der Innenexperte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Hans-Peter Uhl, ermahnte Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) dagegen, "die nach wie vor gültige Richtlinie umzusetzen". (jk)