Fahndung nach Autobrandstiftern: Alle mit Handy verdächtig

Die Polizei fordert zur Bekämpfung der Autobrandstiftungen den Zugriff auf Mobilfunkdaten. Richter halten das für unverhältnismäßig, es treffe zu viele Unbeteiligte.

Eins von vielen: Seit Januar 2009 brannten in Hamburg rund 370 Autos. Bild: dpa

HAMBURG taz | Zur Bekämpfung von Autobränden in Hamburg begehrt die Polizei neue umfassende Befugnisse. Sie möchte den Zugriff zu Handy-Verbindungsdaten, die in Kombination mit erstellten Täterprofilen die Fahndung nach den Brandstiftern erleichtern soll.

Das ist zumindest die Quintessenz einer Fachtagung zur "Telekommunikations-Datenauswertung" in Hamburg, an der auch der neue Innensenator Michael Neumann (SPD) teilgenommen hat. Ob das Landeskriminalamt (LKA) konkret an einem solchen Konzept arbeitet, ist auch nach einer Senats-Anfrage der Linkspartei nicht klar.

Meldungen über brennende Autos sind beinahe zur Alltagsmeldung geworden. 370 PKW sind seit dem 1. Januar 2009 bis Mitte April dieses Jahres in Hamburg laut Polizei abgefackelt worden. Die Tatorte liegen in allen Stadtteilen, betroffen sind beinahe alle Fabrikate.

Wer ein Handy hat, ist im Prinzip ein gläserner Mensch: Über ihn können Bewegungs- und Kontaktprofile hergestellt werden.

1.400 Mobilfunkstandorte der vier größten Mobilfunkanbieter gibt es nach Angaben der Bundesnetzagentur in Hamburg. Die Zahl der Funkzellen ist weitaus höher.

Allein 2.000 Funkzellen betreibt die Telekom an 670 Standorten. Mitbewerber O2 verweigert eine Auskunft - und verweist auf das Geschäftsgeheimnis.

Mobilfunkverbindungsdaten werden automatisch bei jedem Eintritt in den Radius einer Funkzelle erhoben, sofern das Handy eingeschaltet ist. Gespeichert werden sie - je nach Anbieter - zwischen sieben und bis zu 90 Tagen.

Der Radius von Funkzellen beträgt in Ballungszentren in der Regel nur einige hundert Meter.

Schnittstellen der Funkstellen gibt es gerade in Ballungsgebieten: Dort überlappen sich Funkzellen, so dass ein Handy in mehrere Zelle eingeloggt sein kann. Über die Schnittstellen sind dann detaillierte Standortbestimmungen möglich.

Erst in der Nacht zum Mittwoch brannten wieder acht Autos rund um den Wohlerspark. In der Nacht zu Donnerstag sind zwei Anhänger der Polizeipferdestaffel in Osdorf angezündet worden, wenig später brannten in einem Kilometer Entfernung weitere zwei Autos.

Die im April 2010 von Polizeipräsident Werner Jantosch eingesetzte Sonderkommission "Florian" - bis zu 200 Beamte liegen teilweise nachts in Zivil auf der Lauer - zeigt keine Wirkung, hat sich sogar den Spitznamen "Soko sinnlos" eingehandelt. Denn die Aufklärungsquote liegt bei nahezu null, weil das Gros der Taten als Vandalismus und die Zündler als Einmaltäter eingestuft werden.

LKA-Chef Reinhard Chedor hat nun den Auftrag bekommen, die "Fortentwicklung" eines präventiven gefahrenabwehrenden Konzeptes zur Bekämpfung von Kfz-Brandstiftungen auszuarbeiten, in dem auch "unkonventionelle Mittel" eingesetzt werden können.

Die Premiere der begehrten Handy-Rasterfahndung war indes schon am Ostersonntag 2008: Von einer Autobahnbrücke bei Oldenburg in Niedersachen wirft ein Drogenabhängiger gegen 20 Uhr einen Holzklotz auf die Windschutzscheibe eines Autos. Die Beifahrerin wird getroffen und ist sofort tot.

Da es scheinbar zunächst keine Augenzeugen gibt, greift die "Soko Brücke" schon am nächsten Morgen aufgrund des Erfolgsdrucks zu einem technisch raffinierten Mittel. Sie beantragt den Zugriff zu allen Verbindungsdaten des für die Umgebung zuständigen Handy-Sendemastes und bekommt von einer Familienrichterin, die an diesem Tag zufällig Eildienst hatte, die Genehmigung.

Im Radius von rund 1,5 Kilometern geraten 10.000 Menschen in die Fahndung, einige werden später sogar zu Beschuldigten. Jedes Gespräch, das in der Region zwischen 17 und 22 Uhr geführt worden war, ist erfasst, über 12.000 Anrufe sind aufgelistet worden. Die Telefondaten des mutmaßlichen Täters ermittelt die Polizei aber erst, als dieser sich auf einer Polizeiwache stellt.

Eine Aktion wie diese wird selbst bei einem Kapitalverbrechen von Experten als verfassungsrechtlich bedenklich eingestuft. Dennoch wollen auch die Hamburger Fahnder der "Soko Florian" gern zu diesem Mittel greifen, wenngleich die Innenbehörde Pläne für eine Handy-Rasterfahndung bestreitet.

Der Grund: Die Ermittlungsrichter in Hamburg haben solche Maßnahmen bislang immer als "unverhältnismäßig" abgewiesen. Ein Eingriff in das Fernmeldegeheimnis sei nur dann verhältnismäßig, sagt Gerichtssprecher Conrad Müller-Horn, "wenn er nicht ins Blaue hinein erfolgt", sondern konkrete Anhaltspunkte dafür sprechen, dass die Datenerhebung zur Ermittlung des Täters führe, da er sein Handy bei der Tat dabei hatte.

Der Vizechef des Bundes deutscher Kriminalbeamter, Andre Schulz wirft daher der Hamburger Justiz - insbesondere den Gerichten - nach der Hamburger Handydaten-Tagung unverhohlen vor, "mitverantwortlich an der Nichtaufklärung der hiesigen Brandserie" zu sein. "Der Staat wird weiterhin von den Chaoten vorgeführt", sagt Schulz. "Was nützen die besten Gesetze dieser Welt, wenn man die rechtlichen Möglichkeiten nicht ausnutzt."

Das sehen führende Staatsrechtler anders. So sagt die Bielefelder Polizeirechts-Koryphäe Christopf Gusy zwar, dass sichVerbindungsdatenerhebungen in einer "rechtlichen Grauzone" befinden und nicht genau juristisch definiert seien, doch treffe ein Ermittlungsschritt wie dieser zu viele unbeteiligte Personen. Darum ist laut Gusy "die Handy-Datenerhebung unrechtmäßig".

Die Linkspartei gibt sich damit zufrieden, dass der SPD-Senat zurzeit offiziell von der Handy-Rasterfahndung Abstand nimmt: "Das Telekommunikationsgeheimnis ist ein von der Verfassung verbrieftes Recht", sagt die innenpolitische Sprecherin Christiane Schneider. Auch wenn es sich bei den Kfz-Brandstiftungen um Straftaten handeln würde, "sind Polizei und Staatsanwaltschaft an Recht und Gesetz gebunden".

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