"Scharfe Sicherheitsgesetze würden die Leute entfremden" – Seite 1

ZEIT ONLINE : Herr Brenna, nach den Terroranschlägen von Norwegen kamen deutsche Politiker nahezu sofort mit der Forderung, härtere Überwachungsgesetze einzuführen. Wie hat die norwegische Politik reagiert?

Anders Brenna: Bis jetzt bin ich beeindruckt von unseren Politikern. Es gibt bislang noch keinerlei Hinweise darauf, dass Sicherheitsgesetze verschärft werden sollen. Ich glaube unserem Premierminister, wenn er sagt, dass Demokratie und Freiheit geschützt und ausgebaut werden müssen und es zu keinen Einschränkungen kommen darf.

ZEIT ONLINE: Halten Sie die Forderungen in Deutschland für heuchlerisch?

Brenna: Wir haben hier in Norwegen bei dem Anschlag gesehen, dass eintritt, was wir immer gesagt haben – die Vorratsdatenspeicherung funktioniert nicht. Sie ist zwar in Norwegen noch nicht implementiert, aber es gibt nichts in diesem Gesetz, das diesen Terroristen hätte stoppen können. Tatsächlich hat er ja explizit darauf geachtet, alles zu vermeiden, was ihn hätte auffliegen lassen können. Und das werden auch andere Terroristen tun.

ZEIT ONLINE: Gab es von anderen norwegischen Politikern bereits Forderungen, Überwachungs– und Sicherheitsmaßnahmen zu verstärken?

Brenna: Es gibt keine neuen Vorschläge. Der Justizminister und die Chefin des Geheimdienstes PST hatten Anfang des Jahres darüber gesprochen, neue Gesetze einzuführen, mit denen es möglich sein soll, "Solo–Terroristen" besser auszukundschaften. Noch gibt es dazu keine Details. Im Grunde geht es um die Erlaubnis, Leute aufgrund von Vermutungen näher zu durchleuchten, weil moderne Terroristen eben versuchen würden, Überwachungsmaßnahmen zu umgehen.

 Grundproblem ist das Vertrauen

ZEIT ONLINE: Wie würden sie die Überwachungsmöglichkeiten von Polizei und Geheimdiensten im Vergleich zu anderen europäischen Staaten bewerten?

Brenna: Ich würde die Sicherheitsgesetze in Norwegen nicht als strikt bezeichnen, doch ich glaube, sie sind weitgehend richtig. Die Polizei hat natürlich Beschränkungen darin, was sie machen darf, aber sie besitzt alle grundlegenden Rechte, um gegen verdächtige Terroristen und andere Kriminelle zu ermitteln. Die norwegische Polizei hätte gar nicht die Ressourcen für einen Sicherheitsstaat und ich glaube auch, dass das kontraproduktiv wäre.

Das Problem, das wir mit der Vorratsdatenspeicherung haben, ist ja die Tatsache, dass sie die Perspektive ändert: Da werden nun auch Daten von Unschuldigen erfasst.

Die meisten Norweger vertrauen der Polizei – 87 Prozent der Bevölkerung laut einer Studie, die vor einem halben Jahr durchgeführt wurde. Die Polizei arbeitet für uns und ist auf unserer Seite. Wenn es zu einer Verschärfung von Sicherheitsgesetzen kommt, würde das viele Leute entfremden, die jetzt jederzeit mit der Polizei zusammenarbeiten, wenn das notwendig ist.

ZEIT ONLINE: Norwegen ist eine sehr transparente Gesellschaft, beispielsweise kann jeder in die Steuerlisten schauen, um zu sehen, was sein Nachbar im letzten Jahr verdient hat. Ist Überwachung in einem solchen Klima ohnehin einfacher?

Brenna: Die meisten Norweger könnten sich gar nicht vorstellen, dass die Polizei oder andere staatliche Behörden ihre Macht missbrauchen könnten. Die Norweger halten nur das Beste von denjenigen, die für das Thema Sicherheit zuständig sind.

ZEIT ONLINE : Sie selbst sind Leiter der "Stopp DLD"–Initiative. Damit sind Sie zunächst gescheitert. Warum?

Brenna: Es gab ein Abstimmungsergebnis von 89 zu 80 gegen die Initiative im Parlament. Das war ein sehr knappes Rennen, wir waren einem Sieg sogar näher, als wir anfänglich geglaubt hatten.

Der politische Teil der Schlacht ist nun zwar verloren, aber die nächste Runde wird sich in den Gerichten abspielen. Wir haben eine realistische Chance, die Vorratsdatenspeicherung dort zu stoppen.

Vorratsdaten aus Angst vor Ärger mit der EU

ZEIT ONLINE: Fürchtet die norwegische Politik, Probleme mit der EU zu bekommen, wenn sie die Direktive nicht implementiert?

Brenna: Die Vorratsdatenspeicherung wäre nie durch das Parlament gekommen, wenn sie nicht eine Vorgabe der EU wäre. Kein Norweger würde ein solches Gesetz vorschlagen und diejenigen, die für es gestimmt haben, machten das nur, weil sie keinen Kampf mit der EU riskieren wollten.

ZEIT ONLINE: Glauben Sie, dass sich Norwegen nach den Anschlägen verändern wird? Wird es weniger liberal werden?

Brenna: Wir erleben derzeit eine Phase großen Schmerzes – und wir sind wütend. Das ist in der Tat eine gefährliche Situation. Aber wir haben keine Angst. Ich glaube nicht, dass unsere Politiker diesen Terroristen gewinnen lassen, indem sie unsere liberale Gesellschaft durch unnötige und paranoide Sicherheitsgesetze schwächen.