SH: Vorratsdatenspeicherung für 0,01% höhere Aufklärungsquote?

Patrick Breyer berichtet auf Daten-speicherung.de über Zahlen der schleswig-holsteinischen Landesregierung, wonach die „Vorratsdatenspeicherung für 0,01% höhere Aufklärungsquote“ verantwortlich ist. Und fragt sich, ob diese Zahlen einen solchen Grundrechtseingriff rechtfertigen.

Die schleswig-holsteinische Landesregierung nennt auf Anfrage gerade 8 Fälle der Ver­brei­tung kin­der­por­no­gra­phi­scher Schrif­ten, in denen Strafverfolger 2010 mangels Vorratsdatenspeicherung nicht weiter gekommen seien. Gemessen an den 221.510 im Land geführten Ermittlungsverfahren handelt es sich um einen Anteil von unter 0,01%. Der Abgeordnete Dr. Kai Dolgner (SPD) hat die Antwort der Landesregierung auf seine Anfrage zusammen mit seinen Schlussfolgerungen veröffentlicht.

Patrick Breyer hat dazu eine Stellungnahme mit konkreten Fragen geschrieben:

Soweit in ganzen 8 von 221.510 Ermittlungsverfahren IP-​Adressen nicht mehr als Bestands­da­ten bei den Pro­vi­dern vor­rä­tig wa​ren, ist der Schluss der Landesregierung falsch, diese Verdachtsfälle hätten „des­halb nicht auf­ge­klärt“ wer­den können. Vielmehr hätten die Verfahren auch mit IP-Zuordnung aller Wahrscheinlichkeit nach eingestellt werden müssen, weil ernsthaften Straftaten oft die Nutzung eines internationalen Anonymisierungsdienstes, eines Internet-Cafes oder eines offenen Internetzugangs (WLAN) zugrunde liegt. Aus einer Untersuchung des Max-Planck-Instituts im Auftrag des Bundesjustizministeriums ist bekannt, dass 72% der Ermittlungsverfahren mit erfolgreicher Verbindungsdatenabfrage gleichwohl eingestellt wurden.

Die Zahl von 8 Verfahren lässt auch weitere Fragen offen:

– Wie lange hätte gespeichert werden müssen, um die Anfragen zu beantworten? Bei lange zurück liegenden Taten nützt selbst eine sechsmonatige Vorratsdatenspeicherung nicht.

– Wie viele Auskunftersuchen konnten zu Zeiten der Vorratsdatenspeicherung nicht beantwortet werden? Wenn 2009 ebenfalls 8 Anfragen wegen solcher Verfahren erfolglos blieben, hätte sich durch das Ende der Vorratsdatenspeicherung nichts geändert.

Umgekehrt würde eine IP-Vorratsdatenspeicherung die Strafverfolgung im Internet in weitaus mehr als 8 Fällen vereiteln. Schon die Einführung der letzten Internet-Vorratsdatenspeicherung im Jahr 2009 führte dazu, dass 46,4% aller Internetnutzer Anonymisierungsdienste nutzten oder nutzen wollten und 24,6% öffentliche Internet-Cafés. Im Ergebnis war trotz sechsmonatiger IP-Vorratsdatenspeicherung bundesweit nur ein geringerer Teil der registrierten Internetdelikte (75,7%) aufzuklären als noch im Vorjahr 2008 ohne IP-Vorratsdatenspeicherung (79,8%)! Eine IP-Vorratsdatenspeicherung fördert Vermeidungsverhalten, welches die Verhinderung und Verfolgung selbst schwerer Straftaten erschwert. Denn Vermeidungsmaßnahmen können zugleich verdachtsabhängige Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen vereiteln, wie sie ohne Vorratsdatenspeicherung noch möglich sind. Dadurch entfaltet eine Vorratsdatenspeicherung auf Gefahrenabwehr und Strafverfolgung kontraproduktive Wirkungen und verkehrt den erhofften Nutzen der Maßnahme in sein Gegenteil.

Es kann insgesamt keine Rede davon sein, dass eine IP-Vorratsdatenspeicherung „einigermaßen nachweisbar den Fahndungserfolg erhöhen könnte“. Vielmehr stimme ich Ihnen zu, dass bislang der Nachweis aussteht, dass mit einer IP-Vorratsdatenspeicherung insgesamt (also unter Berücksichtigung aller erwünschten und kontraproduktiven Effekte) eine höhere Aufklärungsquote zu erreichen sei als ohne IP-Vorratsdatenspeicherung. Welche Anforderungen eine aussagekräftige Evaluierung genügen müsste, um Aufschluss über diese Frage zu geben, haben wir (auf englisch) auf den Seiten 11 ff. des folgenden Dokuments erläutert.

Ich stimme Ihnen auch zu, dass eine außerhalb der elektronischen Kommunikationsnetze undenkbare Totalprotokollierung menschlicher Information und Kommunikation im Internet solange nicht zu rechtfertigen ist, wie mittels TK begangene Straftaten auch ohne eine solche Totalerfassung deutlich häufiger aufgeklärt werden als außerhalb der Netze begangene Straftaten. Das Internet darf kein Fahndungsnetz werden. Es muss in erster Linie der freien Entfaltung der Persönlichkeit sowie der freien Information und Meinungsäußerung dienen.

Es würde mich daher freuen, wenn Sie jede anlasslose Vorratsspeicherung von Internet-Verbindungsdaten strikt ablehnen würden. Die Freiheit und Sicherheit von 51 Mio. Internetnutzern in Deutschland darf nicht verhandelbar sein. Einen „Kompromiss“ zulasten der Gesamtheit der Internetnutzer Deutschlands vorzuschlagen, ist weder sachlich sinnvoll noch politisch klug. Eine IP-Vorratsdatenspeicherung würde weit mehr Schaden anrichten als nutzen. Weitere Informationen finden Sie in unserem Brief „Intelligente Strategien für ein sicheres Netz – IP-Vorratsdatenspeicherung stoppen!“:

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33 Ergänzungen

  1. Und fragt sich, ob diese Zahlen einen solchen Grundrechtseingriff rechtfertigen.

    „Solange such nur ein solche abscheuliches Verbrechen damit verhindert werden kann, ist das für mich Gerechtfertigt.“

    1. „Denkt bitte endlich mal jemand an die Kinder!“
      Als ob sich bisher jemand aus der CDU/CSU von Statistiken oder Zahlen hätte überzeugen lassen…

    2. Vor allem, weil die Verbreitung von Kinderpornographie auch fiktive Zeichnungen oder Texte erfassen kann. Diese Kinder, die nur in den Köpfen anderer Leute existieren, sind wirklich zu bemitleiden.

      1. Ich kämpfe für die Menschenrechte der virtuellen Kinder – da hab ich wenigstens was zu tun und machen keinen Blödsinn.

    3. Solange nicht gesichert ist, das kein Kind mehr im Straßenverkehr stirbt, fordere ich ein totales und umfassendes Autoverbot….

    4. Klingt für mich wie die Begründung für Hexenverbrennungen.

      Irgendwas wird’s schon nützen

      Auf der Basis könnte man ganz gut die Kastration aller Männer fordern. Wenn’s nur einem Kind hilft…

      1. Ich meine das überhaupt nicht. Die “ “ sollen ein (Gedächtnis)-Zitat kennzeichnen, welches in der Form, ich glaube von irgendeinem Landes Innenminister bei der Netzsperrendiskussion gekommen ist. Stammleser hat das schon richtig erkannt. Ich wollte damit zum Ausdruck bringen, welche Antwort im Zweifelsfall auf solche Statistiken kommt (Unabhängig von der Richtigkeit der Zahlen).

    5. Ist ja (beinahe) witzig, Maadin, Julius Streicher hat den gleichen Quark auf verjudete Rassenschänder ausgekübelt. Wie die Zeit (manchmal nicht) vergeht…

  2. 8 KiPo-Fälle im Jahr 2010, wo die Vorratsdatenspeicherung nur 2 Monate in Kraft war. Die 10.128 Internet-Taten beinhalten auch Betrügereien im Internet (Online-Käufe usw.). Und 221.510 Straftaten insgesamt, von denen die meisten überhaupt keinen Bezug zum Internet haben – also für die Vorratsdatenspeicherung irrelevant sind.
    Da wird wieder die Statistik nach eigenem Bedarf schöngerechnet und damit Stimmung gemacht.
    Lest die Quellen! Hinterfragt die Aussagen und glaubt nicht alles, was euch vorgesetzt wird!
    Schon die Kleine Anfrage war so formuliert, dass das Ergebnis im Sinn der Anfragenden ausfallen musste!

    1. @Gast: Die Aufdeckung von „Betrügereien im Internet“ waren aber wegen eines Einwandes des Bundesverfassungsgericht mit den Daten der Vorratsdatenspeicherung zu dem Zeitpunkt nicht möglich.

  3. Ist eine derart kleine Quote überhaupt statistisch erfassbar?
    Hab leider momentan keine Zeit selber zu rechnen.

    1. @Alvar: Ich finde Deine Angaben grob Irreführen.

      In der Politik und der Polizei wird ständig gemäkelt, das nur die Vorratsdatenspeicherung die Auklärung im Internet ermöglicht. Dabei werden explizit auf ebay und sonstige Betrugsfälle genannt.

      Das BVerfG hat die Auskunft zu Vorratsdatenaber ausdrücklich auf schwere Straftaten limitiert, daher auch die Anfrage nach solchen.

      Wenn nun von der Politik und der Polizei eingebracht wird, dass nur so Internetstraftaten verfolgt werden können, in Wahrheit aber nur 8 Fälle nach den Anforderungen des BVerfG betroffen waren, sind es eben 0, 0…irgendwas an prozentualer Mehr“verfolgbarkeit“ …denn ob sie aufgeklärt würden oder dem überhaupt eine Straftat zu Grunde liegt steht auf eionem anderen Blatt.

      1. Zitat
        Das BVerfG hat die Auskunft zu Vorratsdatenaber ausdrücklich auf schwere Straftaten limitiert, daher auch die Anfrage nach solchen.
        ***
        Aha.
        Und warum gibt es dann eigentlich laufend Verfahren wegen angeblicher Urheberrechtsverletzungen in unzähligen Fällen? Versteh ich bis heute nicht. Wenn keine Vorratsdaten gespeichert werden, wie da eigentlich die Anwaltskanzleien an Stammdaten von Nutzern über die IP-Adressen kommen, die gar nicht gespeichert werden dürfen nach aktueller Rechtslage.

      2. Weil die Verkehrsdaten zur Rechnungstellung von den Providern zumindest bis zum Ausstellen der nächsten Rechnung gespeichert werden – oft genug, wenn der User dem nicht widerspricht, auch immerhin 90 Tage.
        Die P2P-Honeypot-Firmen, die hier fleißig die IPs von Leechern sammeln, geben diese quasi stante pede an die Abmahnkanzleien, die sie wiederum so schnell wie möglich zur Feststellung der Personendaten an Amtsgericht XYZ weitergeben, obendrein ein Gesuch zur Anzeigenerstattung. Das findet meist innerhalb weniger Tage statt, weshalb die Daten, welcher Kunde mit welcher IP-Adresse wann im Netz eingewählt war, üblicherweise noch vorliegen.
        Insbesondere geht es aber bei der VDS ja auch um Mail-Logs etc., die bisher in Verbindung mit einer vollständigen IP-Adresse zu speichern nicht nur nicht geboten, sondern m.W. sogar verboten ist, solange die IP-Adressen nicht anonymisiert werden.

  4. Ich finde es ja doch ein wenig merkwürdig, wie bei staatlichen Aussagen über die Wirksamkeit von Onlinesperren, Klarnamenspflicht etc regelmäßig (nicht zu Unrecht, finde ich) kritisiert wird, wie realitätsfern die Politiker überwiegend sind – plötzlich aber eine Studie von den selben Politikern ernstgenommen werden sollte…

    „Bessere Aufklärung“ kann man nur raten – einerseits, weil es die Daten nicht gibt, zweitens weil die überwigende Zahl der Ermittlungsbehörden keine Ahnung hat, solche zu nutzen.
    Wir können in besondereren Einzelfällen Telefone überwachen. Warum nicht auch in genau solchen besonderen Fällen Zugriff auf die Internetdaten genehmigen? Internettelefonie und E-Mail, und niemand bekommt etwas mit. Der Oslo-Kranke hat es richtig gemacht ;-)

    1. Oh man. Glaubst Du wirklich den Scheiß, den Du schreibst? „Die da oben sind doch eh alle gleich…“ Die Leute, die sich über die Wirksamkeit von Onlinesperren, Klarnamenspflicht etc regelmäßig auslassen, sind unter Umständen nicht die gleichen, die solche Anfragen stellen. Ein wenig Informiertheit ist Bürgerpflicht…

  5. Gibt es überhaupt eine klare, eindeutige und allgemein anerkannte Definition für „Internet-Taten“?

    Ansonsten: Ich denke, wir sollte die Statistik als Argumentations-Grundlage weglassen. Es ist besser, die Statistik-Argumente der Befürworter der VDS zu zerlegen, statt sich selbst an diesem Mist die Finger zu verbrennen. Denn letzteres fällt uns allen auf die Füße und zum Schluss fangen wir noch an, uns untereinander zu kloppen. Und das bringt uns im Kampf gegen diese ganzen Panik-Gesetze mal gar nix.

  6. a href=“http://blog.beck.de/2011/02/01/kriminalstatistik-als-argument-gegen-vorratsdatenspeicherung-ein-glatter-fehlschlag“ title=“Hier“ ist noch ein lesenswerter Artikel über die Voratsdatenspeicherung und polizeiliche Statistik.

  7. Herr Breyer schreibt in seiner „Stellungnahme“, dass „ernsthaften Straftaten oft die Nutzung eines internationalen Anonymisierungsdienstes, eines Internet-Cafes oder eines offenen Internetzugangs (WLAN) zugrunde liegt“.

    Im Weiteren meint Herr Breyer, dass „schon die Einführung der letzten Internet-Vorratsdatenspeicherung im Jahr 2009“ dazu führte, „dass 46,4% aller Internetnutzer Anonymisierungsdienste nutzten oder nutzen wollten und 24,6% öffentliche Internet-Cafés.“

    Eine Kausalität ist nicht zu leugnen, doch so weit wie Herr Breyer geht zu behaupten, 46,4% und weitere 24,6% Internetnutzer wichen auf Anonymisierungsdienste und öffentliche Internet-Cafés aus, um „ernsthafte Straftaten“ im Internet begehen zu können, denn das bleibt die Schlussfolgerung aus dieser Argumentation, würde ich nicht gehen.

    Und was Sie, Herr Beckedahl, als Stellungnahme bezeichnen, bleibt bei genauerer Betrachtung die Aneinanderreihung von ausgedachten Zahlen die dann auch noch ohne Würdigung ihrer Herkunft und Bestimmung miteinander verglichen werden. Im Ergebnis ist das keine Stellungnahme, sondern blanker Unsinn.

    Womöglich haben Sie sich deshalb im eigenen Beitrag zum Thema selber nicht positioniert. Aber dass Sie einen solchen Unsinn in der Sache unkommentiert veröffentlichen, darf ein Hinweis darauf sein, dass auch Sie selber nicht mehr Ahnung besitzen.

  8. 0,01%???
    Wie hat man das den gemessen? Das fällt ja schon in die Kategorie Meßtoleranz oder Meßfehler.
    Ich möchte nicht wegen eines Meßfehlers vorratsdatengespeichert werden!!!

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.