SPD-Musterantrag zum Thema Vorratsdatenspeicherung

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Das Thema Vorratsdatenspeicherung (VDS) taucht vermutlich seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das die damalige VDS als nichtig erklärte, jede Woche in der Presselandschaft auf. Die SPD hat seit 2009 keine Position zu diesem Thema. Ist sie dafür? Ist sie dagegen? Mitglieder aus dem Gesprächskreis „Netzpolitik und Digitale Gesellschaft“ beim SPD-Parteivorstand haben nun einen Musterantrag zu dem Thema erstellt.

UPDATE: Ich empfehle ausdrücklich das Videointerview von derschulze mit Alvar Freude. Mit zwei Stunden zwar nicht sonderlich kurz, aber besonders die erste Stunde ist sehr sehens- bzw. hörenswert. Die wichtigsten Fragen zu dem Antrag und den Geschehnissen werden beantwortet. Insbesondere wird auch erklärt, warum dieser Antrag eben nicht für die klassische Vorratsdatenspeicherung plädiert, sondern den de-facto Status quo von 2005 wiederherstellt (IP-Adressen), diesen aber juristisch deutlich (!) absichert. Ebenso sei noch einmal betont, dass die intensiven Mittel der „klassischen“ Vorratsdatenspeicherung (Ortungsdaten und E-Mail) eindeutig und unmissverständlich abgelehnt werden. Es sei auch noch einmal auf die Enforcement-Richtlinie hingewiesen (wird auch im Interview erwähnt): Die Abmahnungen bzgl. Urheberrechtsverletzung sind hauptsächlich darauf und nicht auf die VDS zu beziehen! Außerdem wird noch einmal der Unterschied zwischen VDS und einer TKÜ („Dresden“) erklärt.
Hier das Video-Interview mit Alvar Freude

UPDATE II: Viele Fragen werden ebenfalls in den Beiträgen von Alvar Freude (heise.de) und Jan Mönikes (moenikes.de) beantwortet!

Es gibt netzpolitische Themen, die relativ einfach abzuarbeiten sind. Netzsperren sind – und das ist vermutlich jedem klar – völliger Unsinn. Vorratsdatenspeicherung scheint ebenso simpel lösbar, vor allem für viele „Netzaktivisten“. Doch leider ist das Thema deutlich komplexer und so schwebte die VDS seit Bestehen des Gesprächskreises „Netzpolitik und Digitale Gesellschaft“ irgendwie immer im Raum. Seit fast 1,5 Jahren ging es also darum, eine Position zu erarbeiten, die eine breite Mehrheit in der Partei findet, die Freiheitsrechte des Einzelnen achtet und schützt, sowie die europäische Richtline nicht außer Acht lässt. „Warum steht da nicht einfach, dass ihr die Vorratsdatenspeicherung abschaffen wollt?“, werden vielleicht der ein oder andere fragen. Tja, und da merkt man, dass es so einfach leider nicht ist. Die europäische Richtlinie, die zur Harmoninsierung der Instrumente und zur Angleichung des Binnenmarkts dient (also eine Art „wirtschaftliche“ Richtlinie) ist, muss dringend überarbeitet werden, das ist klar. Ebenso ist aber auch klar, dass es in Europa Länder gibt, die durch die entsprechende Richtlinie sogar beschränkt wurden (bspw. Bulgarien und Ungarn). Europäisch gesehen, kommt also eine Abschaffung der Richtlinie nicht in Frage.

In der Diskussion über die Vorratsdatenspeicherung gibt es häufig nur die Befürworter und die Gegner. Doch was ist eigentlich genau die „Vorratsdatenspeicherung“? Die SPD ist die einzige Partei, die zwischen den einzelnen Maßnahmen differenziert:

  • Ortungsdaten (Funkzellen bei Mobiltelefonen) dürfen keinesfalls gespeichert werden. Dadurch werden Bewegungsprofile über Monate möglich. Wir lehnen diese ausdrücklich ab (hier sei auch nochmals auf das sehr gute Beispiel auf ZEIT Online verwiesen).
  • E-Mail-Kommunikation zu speichern ist technisch unsinnig, nur auf nationale (oder europäische) Anbieter beschränkt und ein starker Eingriff in das Briefgeheimnis. Wir lehnen dies ab.
  • Um generell auf Vorratsdaten zurückgreifen zu dürfen, stellen wir sehr hohe Bedingungen auf: Richtervorbehalt, nur schwere Straftaten, Unterrichtungspflicht, Erstattung der Kosten für die VDS, Überprüfung durch den Bundesdatenschutzbeauftragten, Verwertungsverbot für Berufsgeheimnisträger. Die Daten sollen außerdem nur wenige Tage (ja, Tage!) gespeichert werden.
  • Die IP-Speicherung ist ein weniger eingriffsintensives Mittel zur Aufklärung von Straftaten und war bis vor einigen Jahren bereits Alltag, ohne dass der orwell’sche Polzeistaat ausbrach. Dies hat u. a. Alvar Freude in seinem Blog ausführlich dargestellt.
  • Wir wollen nicht durch Vortäuschung einer Ablehnung den „Wolf im Schafspelz“ (siehe Blogbeitrag von Jan Mönikes) anbieten. Wir lehnen daher Quick Freeze ab.

An diesem Antrag haben u. a. Alvar Freude, Jan Mönikes, Dennis Morhardt, Maritta Strasser und ich mitgewirkt. Er ähnelt dem Positionspapier der SPD-Bundestagsfraktion, das meiner Meinung nach in die richtige Richtung geht, aber die Vorratsdatenspeicherung in einigen Punkten nicht ausreichend einschränkt (Ortungsdaten als Beispiel). Wir haben daher die Bedingungen an eine mögliche VDS deutlich verschärft (man beachte den Satz mit der Kann-Regelung im Antrag!).

Wir würden uns freuen, wenn möglichst viele SPD-Gliederungen diesen Antrag zum Bundesparteitag im Dezember einbringen. Bei Fragen stehen wir euch natürlich gerne zur Verfügung (auch direkt bei euch vor Ort!). Wir wissen: Vorratsdatenspeicherung ist kein Gewinnerthema – egal, welche Position man dabei vertritt. Dennoch hoffen wir, dass wir das Thema im Dezember endgültig zu den Akten legen können.

UPDATE: Wichtig ist es, diesen Antrag richtig einzuordnen. Dazu haben wir folgende Übersicht erstellt (mehr Infos dazu hier):

Der Musterantrag (hier als Word-Dokument, als Open-Office-Dokument, oder als PDF-Dokument herunterladen):

M U S T E R A N T R A G   F Ü R   S P D – G L I E D E R U N G E N

Grundrechte wahren, Freiheit und Sicherheit stärken: Vorratsdatenspeicherung verfassungskonform überarbeiten und differenziert betrachten

Der Bundesparteitag möge beschliessen:

Die SPD setzt sich auf europäischer Ebene für eine grundlegende Überarbeitung der europäischen Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung ein. Ziel muss sein, eine differenzierte und verfassungskonforme Richtlinie zu erstellen und in deutsches Recht umzusetzen. Jegliche Art von Vorratsdatenspeicherung ist für die Sozialdemokratie ein erheblicher Eingriff in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger und darf daher, wenn überhaupt, nur in engen Grenzen erfolgen. Als einzige Partei betrachtet die deutsche Sozialdemokratie die Vorratsdatenspeicherung differenziert, um die die unveräußerlichen Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger zu sichern, andererseits die Kriminalitätsbekämpfung für das 21. Jahrhundert zu rüsten.

Die sozialdemokratische Europa- und Bundestagsfraktion sowie die über den Bundesrat beteiligten sozialdemokratischen Funktionsträger in den Ländern, werden daher aufgefordert:

1. Auf europäischer Ebene darauf hinzuwirken, dass die Richtlinie 2006/24/EG über die Vorratsspeicherung grundlegend überarbeitet wird: Es soll den Mitgliedsstaaten überlassen sein, ob sie Telekommunikationsanbieter zur Speicherung verpflichten (Kann-Regelung). Bei Beibehaltung einer europaweiten Verpflichtung ist die Maximalspeicherfrist von verdachtslos gespeicherten Daten auf sechs Monate, statt bisher auf zwei Jahre, festzulegen. Für sensible Daten wie beispielsweise Telefon-Verbindungsdaten sollte eine maximal auf wenige Tage beschränkte Speicherverpflichtung und hohe Zugriffshürden gelten. Bewegungsprofile durch Funkzellenauswertung dürfen generell nicht ermöglicht werden.

2. Keine gesetzliche Regelung für eine Vorratsdatenspeicherung kann die Arbeit von Ermittlungsbehörden ersetzen. Die SPD setzt sich daher dafür ein, dass Polizei und Staatsanwaltschaften ausreichend personell sowie technisch ausgestattet sind, damit Straftaten – egal wo sie stattfinden – rasch aufgeklärt werden können. Dem technischen Fortschritt sollte mit umfangreichen Weiterbildungsinitiativen für Ermittlungsbehörden Rechnung getragen werden.

3. Sich sowohl auf Bundes- als auch europäischer Ebene nur für solche Regelungen einzusetzen, die mit den Maßgaben des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vereinbar sind. Darüber hinausgehend ist für die SPD eine Zustimmung zu einer Vorratsdatenspeicherung wenn überhaupt nur möglich, wenn folgende Anforderungen berücksichtigt werden:

  1. Der Abruf und die Nutzung der Verbindungsdaten darf nur bei Verdacht auf schwerste Straftaten erfolgen. Das sind insbesondere Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit und die sexuelle Selbstbestimmung (Katalogstraftaten nach §100a StPO). Auskünfte für Ordnungswidrigkeiten sind auszuschließen.
  2. Keinesfalls darf eine verdachtslose Speicherung von Funkzellen (Cell-IDs) bei Mobiltelefonen (Telefonverbindungen und mobiles Internet) stattfinden. Gleiches gilt für die Speicherung von E-Mail-Verbindungsdaten.
  3. Die Beauskunftung von Anschlussinhabern anhand einer IP-Adresse kann als milderes und weniger eingriffsintensives Mittel zur Aufklärung von Straftaten genutzt werden. Dabei sollte ein Abruf jedoch nur innerhalb einer angemessenen Frist erfolgen können.
  4. Eine Nutzung der Daten darf ausschließlich für strafrechtliche, nicht für zivilrechtliche Auskünfte erfolgen.
  5. Jeder Abruf von Vorratsdaten muss unter Richtervorbehalt stehen.
  6. Es ist eine generelle Unterrichtungspflicht für die von einem Datenabruf Betroffenen aufzunehmen.
  7. Für Berufsgeheimnisträger und andere Geheimnisträger (wie Journalisten, Abgeordnete, Rechtsanwälte, Priester, etc.) muss ein absolutes Verwertungsverbot gelten.
  8. Die Bestimmungen zum technischen Datenschutz sind entsprechend den verfassungsgerichtlichen Vorgaben deutlich auszubauen. Dazu gehören namentlich eine getrennte Speicherung, die sichere Verschlüsselung von Daten, das Vier-Augen- Prinzip verbunden mit fortschrittlichen Verfahren zur Authentifizierung für den Zugang zu den Schlüsseln und eine revisionssichere Protokollierung von Zugriff und Löschung.
  9. Der Bundesdatenschutzbeauftragte muss die Umsetzung sowie den laufenden Betrieb jederzeit kontrollieren können. Verstöße gegen den Datenschutz oder das Verbot der Datenabfrage müssen wirksam sanktioniert werden. Neben entsprechenden Bußgeldtatbeständen ist ein gesetzliches Beweisverwertungsverbot für zu Unrechte erlangte Auskünfte einzuführen.
  10. Eine Erstattung der Kosten der Telekommunikationsanbieter zur Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung sind vorzusehen.

Begründung:
Wir möchten erreichen, dass die europäische Zusammenarbeit in der Verfolgung schwerer Straftaten erleichtert wird, Freiheitsrechte ohne Wenn und Aber gesichert und sogar gestärkt werden. Durch ihre zu weit gefassten Regelungen hat die bestehende Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung das Ziel einer europäischen Harmonisierung bestehender nationaler Regelungen verfehlt. Das Bundesverfassungsgericht hat das deutsche Gesetz zur Umsetzung daher auch in weiten Teilen beanstandet, wie auch andere Verfassungsgerichte in Europa.

Wir sind überzeugt, dass die Konzentration auf sehr viel weniger, dafür aber einheitlich festgelegte Datenarten, die Entscheidung für ein kürzere Mindestspeicherfristen und die scharfe Eingrenzung des Katalogs der Straftaten, zu deren Verfolgung auf die Daten zugegriffen werden darf, die Freiheitsrechte sichert und zugleich die Effizienz der Kriminalitätsbekämpfung über die europäischen Grenzen hinweg erhöht. Eine verhältnismäßige Begrenzung der Vorratsdatenspeicherung auf europäischer Ebene wird auch den Interessen aller Bürgerinnen und Bürger in Europa eher gerecht, die anlasslos einen Eingriff in ihr Telekommunikationsgeheimnis hinnehmen sollen.
Insbesondere folgende Punkte sind mit sozialdemokratischen Positionen in Übereinstimmung zu bringen:

Sowohl aus kriminalistischer als auch aus bürgerrechtlicher Sicht ist eine stärkere Differenzierung zwischen den verschiedenen anfallenden Daten geboten: Durch die Speicherung der Zuordnung von IP-Adressen zu Anschlussinhabern bei Internetzugangsanbietern ist keine Totalüberwachung der Bevölkerung möglich, ebenso keine rückwirkende Erstellung von exakten Nutzungsprofilen. Aber nach einer konkreten Straftat haben Ermittler zumindest eine Chance, den Anschlussinhaber des Anschlusses, von dem aus die Tat begangen wurde, zu ermitteln um von dort aus vielleicht mit anderen, konventionellen polizeilichen Mitteln zu arbeiten. Bis vor wenigen Jahren war es zudem bereits üblich, dass die Internet-Zugangsanbieter diese Zuordnung bis zu 90 Tage lang speicherten.

Die erst durch die Vorratsdatenspeicherung eingeführte Pflicht zur Speicherung von Funkzellen (Cell-IDs) bei der Nutzung von Mobiltelefonen dagegen ermöglichen ein umfassendes Bewegungsprofil. Da Mobilfunkgespräche und die mobile Internetnutzung durch Flatrates immer mehr an Bedeutung gewinnen, lässt sich durch die Aufzeichnung der Ortungsdaten ein umfassendes Bewegungsprofil erstellen. Die SPD lehnt die verdachtsunabhängige und flächendeckende Speicherung von Ortungsdaten deshalb entschieden als einen zu weit gehenden Eingriff in die Privatsphäre unverdächtiger Bürgerinnen und Bürger ab.

Die Erfassung von E-Mail-Kommunikationsdaten ist auch für technisch nicht versierte Kriminelle sehr leicht vermeidbar. Gleichzeitig stellt sie aber einen massiven Eingriff in das Kommunikationsgeheimnis unbescholtener Bürgerinnen und Bürger dar: Die Aufzeichnung von E-Mail-Kommunikationsdaten ohne konkreten Verdacht entspräche der Anordnung an die Post, Kopien sämtlichen Briefumschlägen anzufertigen. Ein solcher Eingriff wäre nur verhältnismäßig, wenn er im Rahmen einer konkreten Strafverfolgung angeordnet wird. Wir Sozialdemokraten sind überzeugt, dass eine effiziente Strafverfolgung dieses Instrument ansonsten nicht braucht, vor allem da dieses ohnehin einfach zu umgehen ist.
Die Beauskunftung von Daten ohne richterlichen Beschluss und die undifferenzierte Verpflichtung von Internet- und Telekommunikationsunternehmen, selbst wenn bei diesen aufgrund kriminalistischer Erfahrung keine relevanten Daten zu erwarten sind, ist ebenso abzulehnen, wie der Verzicht auf eine Erstattung der tatsächlichen Kosten der Verpflichteten. Nur wenn Speicherung und Beauskunftung auch einen realen Preis haben, kann vermieden werden, dass die Vorratsdatenspeicherung zu einem „billigen“ Ersatz für andere Ermittlungsmaßnahmen wird und nicht die Ausnahme bleibt.

Eine (nachgelagerte) Unterrichtungspflicht für die von einem Datenabruf Betroffenen gebietet unser Rechtsstaatsverständnis und entspricht im Übrigen den verfassungsrechtlichen Vorgaben. Nur ein Verwertungsverbot für besonders geschützte Personengruppen und in den Fällen rechtswidriger Auskunftserteilung kann, gemeinsam mit technischen Maßnahmen und Kontrollen der unabhängigen Datenschutzbehörden, Ausuferungen und Missbräuchen wirksam verhindern.