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Vorratsdaten Union und FDP in der Speicherfalle

Die Justizministerin und eine Handvoll Netzpolitiker gegen die Union und die Innenminister der Länder: Der politische Streit um die Speicherung von Vorratsdaten ist festgefahren, eine wichtige Entscheidung aus Brüssel lässt noch Monate auf sich warten. Nun wird der Ton schärfer.
Leutheusser-Schnarrenberger mit Gegnern der Vorratsdatenspeicherung: Nur sieben Tage?

Leutheusser-Schnarrenberger mit Gegnern der Vorratsdatenspeicherung: Nur sieben Tage?

Foto: Tobias Kleinschmidt/ dpa

Hamburg - Eine Woche, drei Monate oder ein halbes Jahr? Union und FDP streiten sich erbittert, wie lange Provider die Telefon- und Internet-Verbindungsdaten ihrer Kunden aufbewahren müssen, damit Ermittler darauf in bestimmten Fällen zugreifen können. Bei kaum einem anderen Thema sind die Fronten derart verhärtet - und nun geht der Dauerstreit in eine entscheidende Phase.

Eigentlich soll im Herbst eine Einigung her. Das hat zumindest die Bundeskanzlerin Angela Merkel den Innenministern der Länder in Aussicht gestellt. Die "Süddeutsche Zeitung" hatte im Juli unter Berufung auf informierte Kreise der Union berichtet, es gebe womöglich einen Deal zwischen Merkel und FDP-Chef Philipp Rösler. Demnach sollen die angekündigte Steuersenkung und umstrittenen innenpolitische Projekte - die Verlängerung der Anti-Terror-Gesetze und die Vorratsdatenspeicherung - gegeneinander ausgespielt worden sein.

Im Justizministerium weiß man nichts von einem solchen Deal und weist die Idee eines politischen Kuhhandels zurück. Seitdem das Bundesverfassungsgericht die Speicherung von Kommunikationsdaten im März 2010 gestoppt hat, stemmt sich Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) gegen ein neues Gesetz zur anlasslosen Speicherung von Kommunikationsdaten. Erst am Wochenende bekräftigte sie ihre Position wieder beim Netzpolitischen Kongress der Jungliberalen in Bayern.

Durchhalten bis zur EU-Richtlinie

Der Kompromissvorschlag der Justizministern: Sieben Tage lang sollen die Provider alles speichern. Haben Ermittler einen Anfangsverdacht, können sie im Einzelfall eine Verlängerung veranlassen. Zugriff auf die Daten erhalten sie aber erst, wenn ein Richter sein Okay gibt. Die Union will über den entsprechenden Gesetzentwurf vom Juni, der das sogenannte Quick-Freeze-Verfahren enthält, nicht einmal diskutieren. Höchstens eine Halbierung der Speicherdauer auf drei Monate soll intern in Erwägung gezogen werden.

Mittlerweile vergeht kaum eine Woche, in dem nicht ein Abgeordneter von CDU oder CSU eine "Mindestspeicherfrist" von sechs Monaten fordert. Nur ein Beispiel, der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach am Montag in der Zeitung "Das Parlament" : "Zur Zeit können wir jedes Jahr Tausende von Straftaten nicht aufklären, weil es außer den elektronischen Spuren keine Ermittlungsansätze gibt." Kritiker bezweifeln diese Aussage, nach ihrer Ansicht ist eine erfolgreiche Strafverfolgung mit genügend Personaleinsatz dennoch möglich.

Ebenso drängen die SPD (mit einzelnen Ausnahmen), die Innenminister der Länder (völlig unabhängig von der jeweiligen Regierungskoalition), Sicherheitsbehörden, Polizeivertreter und nicht zuletzt die von Raubkopien betroffene Unterhaltungsbranche auf ein neues Speichergesetz. Es geht nicht bloß um Wünsche: Die Europäische Union hat die Vorratsdatenspeicherung in einer Richtlinie festgeschrieben - Deutschland setzt sie nicht um.

Jederzeit könnte die EU-Kommission deswegen ein Bußgeld erheben - auch wenn damit ernsthaft zurzeit niemand rechnet. Denn EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström hat eine Überprüfung der Richtlinie angekündigt, in den Mitgliedstaaten wird die Datenspeicherung höchst unterschiedlich gehandhabt. Umfang, Speicherfristen und Zugriffsrechte weichen voneinander ab.

Preis für die Freiheit

Angekündigt wurde die Neufassung der EU-Richtlinie für den Dezember, im Justizministerium geht man eher von einem Termin im Februar aus. Ein halbes Jahr müsste Sabine Leutheusser-Schnarrenberger dem politischen Druck also noch standhalten. Was genau Brüssel den Mitgliedstaaten dann vorschreibt und wie es danach weitergeht, ist noch völlig unklar. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Speicherung gibt es nicht nur in Deutschland - und in Schweden wurde ein entsprechendes Gesetz von der Opposition hinausgezögert , die EU-Bußgelder einem Verlust von Freiheit vorzogen.

So ein Bekenntnis wünscht sich auch ein unermüdlicher Zusammenschluss von Datenschützern und Bürgerrechtsaktivisten in Deutschland. Der Arbeitskreis gegen Vorratsdatenspeicherung (AK Vorrat) sammelt wieder einmal Unterschriften, diesmal für eine Online-Petition . "Wir fordern explizit, dass sich Parlament und Regierung für ein Aufheben der ganzen EU-Richtlinie beziehungsweise eine Änderung hin zu einem EU-weiten Verbot von Vorratsdatenspeicherungen einsetzen", sagt Initiator Kai-Uwe Steffens. Bis zum 6. Oktober müssen mindestens 50.000 Unterschriften zusammenkommen, dann kann Steffens das Anliegen einem Ausschuss des Bundestags vortragen - so soll das sperrige Thema etwas mehr öffentliche Aufmerksamkeit erfahren.

Die Justizministerin kann jede Unterstützung gebrauchen. "Für sie ist die Vorratsdatenspeicherung ein ganz zentrales Thema", sagt ihr Sprecher, wohlwissend, dass große Teile der Bevölkerung schon mit dem Begriff nichts anfangen können - und etliche Abgeordnete genervt abwinken. Leutheusser-Schnarrenberger war maßgeblich an der Verfassungsklage gegen das ursprüngliche, von SPD und Union verabschiedete Gesetz beteiligt. Ein weitreichender Kompromiss wäre ihre persönliche Niederlage. Das weiß auch die Union.

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