Freiheit statt Angst 2011: "Die Bewegung hat sich verstetigt"

Mehrere tausend Bürger protestierten in Berlin gegen die Vorratsdatenspeicherung und andere Überwachungsvorhaben. Die Sicherung der Privatsphäre sei unverzichtbar für die Demokratie, betonten Redner.

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Friede, Freude, Eierkuchen: Auch Nina Hagen gab auf der Abschlusskundgebung der Demonstration "Freiheit statt Angst" am Samstag in Berlin ein klares Statement gegen die Überwacher ab: " Dieser Zug nimmt keine Control-Freaks mit", sang Nina Hagen, nachdem sie am Spätnachmittag mit pinken Gummistiefeln und Gitarre bewaffnet die Bühne am Alexanderplatz erklommen hatte. Mit dem Song "We shall overcome" erinnerte die "Queen of Punk" an Martin Luther Kings Auftritt in der Marienkirche wenige hundert Meter weg vom Veranstaltungsort in den 1960ern. "Tief in meinem Herzen glaube ich daran, dass wir die undemokratischen Verhältnisse überwinden werden", hauchte die Musikerin ins Mikrofon. "Wir werden zur Gerechtigkeit und Freiheit zurückkommen."

Freiheit statt Angst - Stoppt den Überwachungswahn (15 Bilder)

Freiheit statt Angst 2011

Auch im Jahr 2011 auf die Straße getragen: Freiheit statt Angst - Stoppt den Überwachungswahn (Bild: Stefan Krempl / heise online)

Auf der Demonstration und Kundgebung "Freiheit statt Angst – Stoppt den Überwachungswahn" gab es aber auch andere Töne. Patrick Breyer vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung: "Es kann schlimme Folgen haben, wenn man ungerechtfertigt in Verdacht gerät", warnte der Jurist auf der Veranstaltung, die bereits zum fünften Mal stattfand. Diese Risiko sei bei Telekommunikationsdaten besonders hoch, "da sie nicht zu einem Menschen, sondern nur zu einem Anschluss führen". Bürger müssten sich auch anonym gegen Missstände einsetzen können, wandte sich Breyer gegen einen Identifizierungszwang im Internet. "Wir wollen uns weder von Betrügern noch von Terroristen unsere Freiheit kaputt machen lassen", proklamierte der Aktivist. Es dürfe nicht allen "die wichtige Unbefangenheit" weggenommen werden, "nur weil Einzelne sie missbrauchen".

Generell schade eine verdachtsunabhängige Protokollierung von Nutzerspuren vielen, während sie die Aufklärungsquote nicht wesentlich ändere, meinte der Rechtsexperte. Es sei daher wichtiger, "bessere Ermittlungsmöglichkeiten im Verdachtsfall zu schaffen". Breyer warb zugleich für die Unterzeichnung der aktuellen Online-Petition gegen die Vorratsdatenspeicherung. "Wir brauchen bis nächsten Mittwoch noch 25.000 Unterschriften."

"Wir müssen unsere Bürgerrechte aktiv verteidigen", appellierte Markus Beckedahl von der Netzlobby "Digitale Gesellschaft" an die mehreren tausend Versammelten. Die Politik dürfe den Surfern nicht vorschreiben, wie sie das Internet nutzen sollten. Datenschutz bezeichnete der Netzpolitik-Blogger als "für unsere Demokratie unverzichtbar". Nötig sei auch eine gesetzliche Verankerung der Netzneutralität, "sonst wäre das Internet ein schlechterer Fernseher". Nutzern dürfe auch nicht das Internet abgeklemmt werden wegen Urheberrechtsverstößen. Das vorläufige Aus für Websperren mache ein wenig Hoffnung, dass der ein oder andere Politiker doch kapiert habe, dass Filtern und Überwachen "sinnlose Maßnahmen gegen die Interessen" der Wähler seien.

Für den Datenschutzverein FoeBuD kritisierte padeluun den "Pawlowschen Reflex" einiger Volksvertreter, bei jeder Gelegenheit nach der Vorratsdatenspeicherung zu rufen. Dabei schaffe es keine gute Ermittlungsbasis, wenn man die gesamte Bevölkerung überwache und riesige Datenhalden anhäufe. Auch er wertete es aber als positiv, dass den Aktivisten vor zwanzig Jahren noch "kein Schwein beim Datenschutz zugehört hat", während entsprechende Fragen heute zumindest immer wieder Thema im Bundestag seien. Die Demonstration setzte padeluun zufolge erneut ein deutliches Zeichen, "dass wir nicht weniger Überwachung wollen", sondern deren Abbau.

Matthias Monroy aus der Redaktion "Bürgerrechte & Polizei/CILIP" rief zum "grenzüberschreitenden Widerstand" gegen die Einschränkung von Freiheitsrechten auf. Hierzulande habe die "große Koalition der Inneren Sicherheit" schon lange vor dem 11. September 2001 Sicherheitsgesetze produziert, kleine und große Lauschangriffe durchgeführt, verdeckte Ermittlungen legalisiert und die Polizeibehörden und Geheimdienste ausgebaut. Die nach den Anschlägen in den USA einsetzende Terrorismusbekämpfung habe dann bewirkt, dass "der Motor der Sicherheitsgesetzgebung" nicht zum Stillstand gekommen sei. Sie habe etwa den Aufstieg der Biometrie als neue Identifikationstechnologie erlaubt oder zu "ausufernden polizeilichen Datenhalden" geführt, die zusehends international getauscht würden. Es sei an der Zeit, dass "wir uns mit datenschutzrechtlichen Brotkrümeln nicht mehr abspeisen lassen".

"Wenn sie so weitermachen, werden sie die Stasi noch überholen", nahm sich Jugendpfarrer Lothar König aus Jena Vertreter von Sicherheitsbehörden vor. Gegen den Geistlichen ermitteln sächsische Strafverfolger im Rahmen der Proteste gegen einen Neonazi-Aufmarsch im Februar in Dresden und der damit verknüpften massenhafte Abfrage von Mobilfunkdaten. "Wer diffamieren, isolieren und kriminalisieren will, braucht Informationen über uns", verwies König auf die Arbeitsprinzipien von Geheimdiensten. "Sie wollen alles und jedes wissen." Zugleich werde "gelogen bis hoch zum Generalstaatsanwalt, was das Zeug hält".

Abgesehen von einem kleinen Zwischenfall verlief die Kundgebung reibungslos: Viele Teilnehmer konnten sich einen lauten Knall nach dem Auftritt der Friedensbotschafterin Hagen zunächst nicht erklären. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass die Polizei mit einem Sprengstoffkommando angerückt war, um eine verdächtige, keinem Inhaber zuzuordnende Reisetasche am Stand der Junge Liberalen (Julis) kurzerhand unschädlich zu machen. Die Veranstalter nahmen es mit Humor: "Einen besonderen Dank richteten die Veranstalter an die Berliner Polizei, die eindrucksvoll unter Beweis stellte, wie eine Tasche voller Plastiktüten gesprengt wurde, ohne dass es dabei zu Schäden an Personen
und Sachen kam. Besonderen Beifall erhielt hierbei der rollende Polizei-Roboter, der die Sprengung ordnungsgemäß durchführte. Kritik äußerte hingegen eine schwäbische Wutbürgerin am Roboter: 'Der hät jo koi Namensschildle.'"

Das hinter der Protestversammlung stehende breite Organisationsbündnis bezeichnete die Veranstaltung, die nach "niederschmetternden" Tests auch gegen das "Mammutprojekt" des "digitalen Gerippes" der elektronischen Gesundheitskarte mobil machte und Datensammel-Kraken wie Facebook nicht ungeschoren ließ, im Nachgang als Erfolg. Mit über 5000 Teilnehmern seien die eigenen Erwartungen "deutlich übertroffen" worden, die Bewegung "habe sich verstetigt". Die Berliner Demo, die in Vorjahren auch schon mehrere zehntausend Mitstreiter anzog, und Begleitveranstaltungen in Wien, Dresden und Luxemburg machten den Auftakt für eine europäische Aktionswoche "Freedom not Fear". Sie soll am nächsten Wochenende mit einem weiteren Protestzug, einem Barcamp und Treffen mit EU-Politikern in Brüssel enden. (jk)