Ziercke greift AK Vorrat an

BKA-Präsident Jörg Ziercke, Rena Tangens vom FoeBuD, der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar und der Abgeordnete Konstantin von Notz (Grüne) diskutierten auf einer netzpolitischen Veranstaltung vor einigen Tagen das Thema Vorratsdatenspeicherung (Video).

Ziercke greift AK Vorrat an

Ziercke kritisierte in seinem Eingangsstatement die Argumentation des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung, die dieser „wie eine Monstranz“ vor sich hertrage, nämlich dass weder das Inkrafttreten der Vorratsdatenspeicherung 2008 noch ihr Außerkrafttreten im März 2010 irgend einen erkennbaren Einfluss auf die Quote der aufgeklärten oder die Zahl der begangenen Straftaten hatte.

Ziercke bestritt diese Tatsache nicht, bezeichnete das Argument aber dennoch als „Fake“ und „absurd“. Von den 6 Mio. registrierten Straftaten jährlich, auf welche sich die Aufklärungsquote beziehe, machten schwere Straftaten nur einen kleinen Bruchteil aus. Ein zusätzlich aufgeklärter Mordfall könne die Aufklärungsquote dadurch nicht messbar steigern. Bei der Betrachtung dürften deshalb nur „sozialschädliche Straftaten“ berücksichtigt werden (ab Minute 21 des Videos).

Ziercke übersah, dass der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung längst eine Analyse bezogen nur auf schwere Straftaten vorgelegt hat. Die Polizei registrierte danach in der Zeit der Vorratsdatenspeicherung mehr schwere Straftaten (2009: 16.814) als zuvor (2007: 15.790), die zudem seltener aufgeklärt wurden (2009: 83,5%) als noch vor Beginn der anlasslosen Kommunikationsprotokollierung (2007: 84,4%).

Kriminologische Argumente

Zierke bezog sich zudem auf Kritik des Kriminologen Prof. Dr. Müller vom Februar 2011. Dieser habe „deutliche Worte“ geschrieben zu dem, was der AK Vorrat „seit Jahren betreibt, nämlich dem Menschen Sand in die Augen zu streuen, wenn es um Statistik geht“. Das sei „ein Skandal“.

Ziercke erwähnte nicht, dass der AK Vorrat die Anmerkungen von Prof. Dr. Müller längst dankbar aufgegriffen und seine Untersuchung überarbeitet hat. Prof. Dr. Müller hat inzwischen klargestellt, dass die monierten Fehler dadurch behoben worden sind. Zwar sei die Kriminalstatistik wegen ihres Erhebungsmodus generell nicht geeignet, für oder gegen die Effektivität einer Vorratsdatenspeicherung Argumente zu liefern. Dieses Problem besteht aber ebenso bei den Zahlen, auf welche sich Ziercke beruft, wonach nach dem Ende der Vorratsdatenspeicherung 80% der Datenabfragen des BKA erfolglos blieben (zur Kritik an dieser Zahl siehe hier und hier). Inzwischen ist mir bestätigt worden, dass das BKA seine Beamte im Zusammenhang mit seiner Erhebung angewiesen habe, Auskünfte selbst dann anzufordern, wenn von vornherein feststehe, dass sie nicht erteilt werden könnten.

In meinen Augen ist eine Vorratsdatenspeicherung, die unterschiedslos das Privatleben jedes Bürgers belastet, aber keinerlei statistisch signifikante Auswirkung auf unser Kriminalitätsrisiko hat, vollkommen unverhältnismäßig. Sicherlich sind mögliche geringfügige Effekte einer Vorratsdatenspeicherung auf die Aufklärung einzelner Straftaten nicht statistisch relevant. Gerade dies spricht aber in besonderem Maße gegen ihre Verhältnismäßigkeit.

Später berief sich Ziercke interessanterweise selbst auf die Aufklärungsquote, als es in seine Argumentation zu passen schien: Im Bereich der Computerkriminalität belaufe sich die Aufklärungsquote nur noch auf 30%, beklagte er. Auch wenn dies ungefähr richtig ist, sagt diese Zahl nichts darüber aus, ob die Vorratsdatenspeicherung irgend einen Einfluss darauf hatte. Tatsächlich hatte weder das Inkrafttreten der Vorratsdatenspeicherung 2008 noch ihr Außerkrafttreten im März 2010 irgend einen erkennbaren Einfluss auf die Quote der aufgeklärten Computerstraftaten (42,3% 2007, 40,3% 2008, 37,5% 2009, 35,8% 2010).

Peter Schaar: IP-Adressen „höchst sensibel“

Im weiteren Verlauf der Diskussion erteilte der Bundesdatenschutzbeauftragte dem Mythos, die Identität von Internetnutzern (IP-Adressen) sei nicht sonderlich schutzwürdig, eine klare Absage. Die entsprechende Aussage des Bundesverfassungsgerichts zu IP-Adressen stehe unter Prämissen, die der Realität „immer weniger entsprechen“. Das Gericht sei davon ausgegangen, dass die Abrufe von Internetseiten nicht registriert werden. Nur in diesem Fall sei die IP-Adresse „verhältnismäßig unsensibel“. Die Praxis sei aber die, „dass die IP-Adresse gespeichert wird“. Selbst wenn man nicht angemeldet sei, speichere Google beispielsweise 9 Monate lang, mit welcher IP-Adresse welche Suchanfragen vorgenommen werden. Beide Datenbestände wüchsen zusammen. Vor diesem Hintergrund seien IP-Zuordnungen „höchst sensibel“ (ab Minute 51 des Videos).

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1 Kommentar »


  1. Aufgelesen und kommentiert 2011-09-23 — 23. September 2011 @ 23.54 Uhr

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