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EU-Kommission weist FDP-Vorstoß zur Internet-Vorratsdatenspeicherung zurück (20.10.2011) Drucken E-Mail

 Das von Bundesjustizministerium und EU hartnäckig geheim gehaltene[1] Mahnschreiben der EU-Kommission zur Vorratsdatenspeicherung vom 16.06.2011 ist dem Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung zugespielt worden. 

EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström schreibt darin, die EU-Kommission habe schon im Januar 2011 klargestellt, „dass nach Auffassung der Kommission das Urteil des Bundesverfassungsgerichts keine Rechtfertigung dafür darstellen könne, von einer Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht abzusehen und dass der von der deutschen Justizministerin erläuterte Vorschlag eines 'Quick Freeze Plus'-Systems im Fall der Annahme nicht als hinreichende Umsetzung angesehen werden kann.“ Die Bundesregierung wird aufgefordert, sich binnen zwei Monaten dazu zu äußern. Gegebenenfalls werde anschließend eine förmliche Stellungnahme abgegeben, was den nächsten Schritt eines Vertragsverletzungsverfahrens darstellt. Dem Europäischen Gerichtshof liegen gegenwärtig 20 Vertragsverletzungsklagen gegen Deutschland vor.[2]

Die Partei- und Fraktionschefs der schwarz-gelben Koalition wollen sich am morgigen Freitag bei einem Spitzentreffen im Bundeskanzleramt in der Frage der Wiedereinführung einer Vorratsdatenspeicherung einigen.[3] Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung protestiert entschieden dagegen, dass Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger neben einer zielgerichteten Sicherung tatsächlich für Ermittlungen benötigter Verbindungsdaten (sog. „Quick Freeze“) auch eine flächendeckende Vorratsspeicherung der Internet-Verbindungsdaten vollkommen unschuldiger Bürger wieder einführen will (IP-Vorratsdatenspeicherung).[4] Dies würde weithin das Ende der Anonymität im Internet bedeuten und hätte unzumutbare Folgen für viele Menschen in Deutschland.

„Das Schreiben der EU-Kommission zeigt, dass der Vorstoß des Bundesjustizministeriums zur Teilumsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung im Internetbereich die denkbar schlechteste Lösung ist“, kritisiert Werner Hülsmann vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung. „Weder würde der Vorstoß das EU-Vertragsverletzungsverfahren stoppen, noch stünde er im Einklang mit unseren europäischen Grundrechten auf Achtung unserer Privatsphäre und auf anonymen Meinungsaustausch. Die Bundesregierung muss dem Spuk des Vertragsverletzungsverfahrens jetzt endlich ein Ende setzen, indem sie nach Artikel 114 des EU-Vertrags eine Befreiung von der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung beantragt und nötigenfalls einklagt. Eine neuerliche verdachtslose Vorratsdatenspeicherung gleich welcher Art lehnen die Bürger mit großer Mehrheit ab!“[5]

Der Vorstoß der Bundesjustizministerin zu einer Internet-Vorratsdatenspeicherung widerspricht zudem den eigenen Erkenntnissen des Ministeriums und Beschlüssen der FDP. „Zur Kriminalitätsbekämpfung sind auch ohne die pauschale und anlasslose Speicherung jeder Benutzung von [...] Internet genügend Verbindungsdaten verfügbar“, schreibt das Bundesjustizministerium auf seinem Internetportal.[6] „Die anlass- und verdachtsunabhängige Vorratsdatenspeicherung hat die FDP von Anfang an abgelehnt“, heißt es auch im Wahlprogramm der FDP aus dem Jahr 2009.[7] Der AK Vorrat fordert die FDP auf, zu ihrem Wort zu stehen, wenn die Koalitionsspitzen am Freitag die innenpolitische Agenda beraten.

Eine Statistik des Bundesamtes für Justiz vom 29.07.2011 enthüllt, dass im Jahr 2010 und damit im Wesentlichen nach der Nichtigerklärung des verfassungswidrigen Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung 85% der strafrechtlichen Anordnungen zur Erhebung von Verkehrsdaten erfolgreich waren (10.639 von 12.576 Anordnungen).[8] Speziell im Internetbereich wurden 2010 71% aller bekannten Internetdelikte aufgeklärt, deutlich mehr als von den außerhalb des Internet begangenen Straftaten (55%).[9] Dies gilt auch im – ohnehin stark rückläufigen – Bereich von Missbrauchsdarstellungen („Kinderpornografie“), deren Verbreitung, Besitz und Verschaffung 2010 sogar zu 79% erfolgreich aufgeklärt wurde. Solange Straftaten im Internet ohne Vorratsdatenspeicherung weit häufiger aufgeklärt werden als sonstige Straftaten, ist es nicht zu rechtfertigen, ausgerechnet im Internet jedes Lesen eines Zeitungsartikels und jede Meinungsäußerung nachverfolgbar machen zu wollen.

Hintergrund:

Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung geht davon aus, dass der Europäische Gerichtshof auf Vorlage des irischen High Court die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung im nächsten Jahr für grundrechtswidrig und ungültig erklärt haben wird, so dass es zu keiner Verurteilung Deutschlands wegen Nichtumsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung kommen wird. Nach Berechnungen des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung würde eine etwaige Strafzahlung an die EU ohnehin nicht mehr als 86 Cent pro Bürger und Jahr betragen.[10]

Im September 2011 haben sich über 60.000 Bürgerinnen und Bürger in einer Petition an den Bundestag gegen eine neuerliche verdachtslose Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen.[11] Damit muss der Bundestag den Petenten Kai-Uwe Steffens vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung persönlich anhören. Der Termin zur Anhörung steht noch nicht fest.

Auf einer Internetseite[12] und in einem Wissensquiz[13] klärt der AK Vorrat über Bedeutung und Folgen einer IP-Vorratsdatenspeicherung auf.

 
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