Ein Überfall in der U-Bahn, ein Amoklauf, ein Abhörskandal: Es gibt kaum ein Thema der Innenpolitik, zu dem sich der Vorsitzende des Innenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU), und der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz nicht äußern - in Interviews oder in Talkshows. Claudia Ehrenstein und Martin Lutz sprachen mit ihnen über ihr Arbeitspensum und den nahenden Abschied von der Politik.
Die Welt: Sie denken beide daran, nicht wieder für den Bundestag zu kandidieren. Wie schwer fällt es Ihnen, von der Droge Politik zu lassen?
Wolfgang Bosbach: Wenn man sich einmal der Politik verschrieben hat, kann man nicht von heute auf morgen loslassen. Das ist völlig ausgeschlossen. Vor allem die Wahlkämpfe würde ich vermissen. Aber natürlich gibt es auch ein Leben nach der Politik.
Dieter Wiefelspütz: Ein Leben ohne Hund kann ich mir nicht vorstellen, aber ein Leben ohne den Bundestag schon. Ich habe immer Wunschberufe ausgeübt. Ich war mit Leidenschaft Buchhändler, dann zehn Jahre Richter. Aber es gibt wohl kaum eine interessantere Aufgabe, als Bundestagsabgeordneter zu sein.
Die Welt: Haben Sie schon Persönlichkeitsveränderungen an sich festgestellt?
Bosbach: Ich bin heute gelassener als noch vor fünf oder zehn Jahren. Wenn etwas nicht so lief, wie ich es mir vorgestellt hatte, konnte ich mich fürchterlich aufregen. Jetzt bin ich nicht mehr so enttäuscht, wenn ich ein Ziel nicht erreiche, sondern freue mich schon darüber, dem Ziel wenigstens ein Stück näher gekommen zu sein.
Die Welt: Woher kommt diese Gelassenheit?
Bosbach: Als Neuling im Bundestag denkt man oft, parlamentarische Arbeit ist die Fortsetzung des Wahlkampfs mit anderen Mitteln. Mit den Jahren wächst aber der Respekt vor der politischen Konkurrenz. Ich erwische mich heute öfter dabei, dass mich ein Argument überzeugt, auch wenn es nicht aus den eigenen Reihen kommt. Das macht ein Stück gelassener. Und angesichts gesundheitlicher Sorgen relativiert sich ohnehin vieles.
Die Welt: Sie sind bereit, für das politische Geschäft die Gesundheit zu ruinieren?
Bosbach: Wenn es so wäre, würde ich sofort kürzertreten. Ich bin schon mit einer chronischen Herzerkrankung in den Bundestag eingezogen. Diese Beschwerden sind zurückgegangen. Dass 2010 eine Krebserkrankung hinzukommen würde, konnte ich nicht ahnen. Ich sehe aber keinen Zusammenhang mit der Politik.
Wiefelspütz: Ich bin überhaupt nicht gelassener geworden. Von Jahr zu Jahr werde ich leidenschaftlicher. Ich bin heute ein anderer als vor 25 Jahren. Diese Aufgabe krempelt einen Menschen völlig um. Mir hat kürzlich jemand gesagt, ich sei früher schüchtern gewesen. Wo bin ich denn heute noch schüchtern?
Die Welt: Was ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Wiefelspütz: Das wichtigste Erlebnis in meinem politischen Leben war die Wiedervereinigung. Ich habe damals in Bonn im Wasserwerk in der zweiten Reihe gesessen, vor mir Willy Brandt. Wir sind aufgestanden und haben die Nationalhymne gesungen. Wenn ich nur daran denke, bekomme ich eine Gänsehaut.
Die Welt: Waren Sie beide als Nordrhein-Westfalen für den Umzug der Bundesregierung nach Berlin?
Bosbach: Ich war damals noch nicht Mitglied des Bundestags. Aber ich hätte für Bonn gestimmt.
Wiefelspütz: Es war einer meiner zentralen Fehler, für Bonn gestimmt zu haben. Damals habe ich geglaubt, die richtige Entscheidung zu treffen. Ich hätte für Berlin stimmen sollen.
Bosbach: Aus heutiger Sicht halte ich die Entscheidung für Berlin allerdings ebenfalls für richtig.
Die Welt: Was hat Sie all die Jahre angetrieben, sich in der Politik zu engagieren?
Wiefelspütz: Ich habe mich schon als 13-Jähriger für Politik interessiert und meine Lehrer und Mitschüler damit genervt. Als Politiker bin ich da angekommen, wo ich immer geglaubt hatte, dass ich dort die meisten Interessen wiederfinde.
Bosbach: Wer Vollblutpolitiker ist, will gestalten und verändern.
Die Welt: Welches Projekt haben Sie gemeinsam durchgeboxt?
Bosbach: Unser größtes Reformvorhaben war sicherlich das BKA-Gesetz während der großen Koalition. Endlich bekam das Bundeskriminalamt auch Präventivbefugnisse im Antiterrorkampf. Große Reformen sind aber eher selten. Die meiste Arbeit ist sehr kleinteilig und wird von den Bürgern nur am Rande wahrgenommen.
Die Welt: Nutzt sich ein Politiker ab, wenn er zu oft in den Medien erscheint?
Bosbach: Man muss die richtige Balance finden. Ich werbe für meine politischen Ideen und freue mich natürlich, wenn meine Meinung gefragt ist. Die muss ich prägnant und überzeugend vertreten können. Aber das darf auch nicht inflationär werden.
Wiefelspütz: Politik ist zu einem wesentlichen Teil Kommunikation. Obwohl wir nie einen Pressesprecher hatten, haben wir beide eine große Medienresonanz. Das findet in unseren Fraktionen nicht nur Zustimmung. Natürlich sollten wir uns nicht zu allem und jedem äußern. Aber ich wünschte mir, ich werde einmal nach Thomas Mann gefragt ...
Die Welt: ... warten Sie es doch ab!
Wiefelspütz: Manchmal haben wir des Guten sicher auch zu viel getan. Ich gebe zu, dass ich eine gewisse Schwäche habe. Mit etwas Ironie, ich erkläre meinen Mitmenschen einfach leidenschaftlich gern die Welt.
Die Welt: Von Ihnen weiß man, dass Sie immer an das Handy gehen.
Bosbach: Wenn zum Beispiel irgendwo ein Anschlag passiert, sind wir tagelang in den Medien. Aber nicht weil wir das strategisch genial geplant haben, sondern weil wir schnell auf die Ereignisse reagieren müssen.
Wiefelspütz: Beim Amoklauf von Winnenden war es so, dass mich Journalisten kurz nach den ersten Tickermeldungen anriefen. Da bin ich zum ersten Mal richtig ausgerastet. Die Leichname waren noch nicht geborgen, und einer Ihrer Kollegen fragte mich bereits nach Rezepten gegen solche Taten. Ich fand das verantwortungslos und obszön.
Bosbach: Heute gibt es einen Hochgeschwindigkeitsjournalismus. Die gute alte Tradition, zunächst den Sachverhalt zu klären, bevor man ihn bewertet, sollte nicht komplett in Vergessenheit geraten.
Die Welt: Sie haben im Bundestag verschiedene Konstellationen erlebt: Schwarz-Gelb, Rot-Grün, Schwarz-Rot und jetzt wieder Schwarz-Gelb. Wann lief es zwischen Ihnen am besten?
Wiefelspütz: Wir sind keine engen Freunde, aber wir respektieren und schätzen uns. Die effektivste Zusammenarbeit gab es in der großen Koalition. Das war ein Segen für unser Land. Auf dem Feld der inneren Sicherheit waren wir unglaublich produktiv und erfolgreich bis zum letzten Tag. Wir haben nicht nur das BKA-Gesetz gemacht, sondern auch das Waffenrecht verschärft und Integrationskurse eingeführt. Bei Schwarz-Gelb herrscht Stillstand. Das sind verlorene Jahre. Gleichwohl befürworte ich keine Neuauflage der großen Koalition. Die SPD ist für ihre Beteiligung daran vom Wähler fürchterlich abgestraft worden.
Die Welt: Wie groß sind denn die Gemeinsamkeiten zwischen CDU und SPD?
Bosbach: In einer großen Koalition ist es für die Union auf dem Feld der Innenpolitik natürlich einfacher als jetzt mit der FDP. Das war aber zu erwarten, und das hatten schon die Koalitionsverhandlungen gezeigt.
Wiefelspütz: In Deutschland gibt es 17 Innenminister, davon einen im Bund und die anderen in den Ländern. Das sind alles Sozial- oder Christdemokraten. Bei der Diskussion über den Staatstrojaner herrschte jetzt eine große Einigkeit. Wir stimmen darin überein, dass die Software künftig vom Staat entwickelt werden muss.
Die Welt: Die Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsdaten ist derzeit heftig umstritten. Wie schnell wäre sich eine große Koalition einig?
Bosbach: Ich bin mir sicher, dass wir mit der SPD zügig eine verfassungskonforme Neuregelung verabschieden könnten. Unser Koalitionspartner FDP stellt sich in Opposition zu der EU-Richtlinie, indem er eine anlasslose Speicherung ablehnt.
Wiefelspütz: Wir bräuchten vier bis fünf Monate. Man kann mit kürzeren Speicherfristen auskommen, muss die Daten nicht sechs Monate auf Vorrat speichern. Drei Monate wären ausreichend, und man muss auch nicht alle Daten speichern. Ich bin mir sehr sicher, dass es in dieser Legislaturperiode keinen Konsens in der schwarz-gelben Koalition geben wird.
Die Welt: Rechnen Sie auch damit, Herr Bosbach?
Bosbach: Ich fürchte, dass Herr Wiefelspütz recht hat. Eine Einigung mit der FDP scheint zurzeit fast ausgeschlossen. Es ist schon kurios: Als es um die Umsetzung von vier Antidiskriminierungsrichtlinien der EU in deutsches Recht ging, konnte es dem Bundesjustizministerium nicht schnell genug gehen. Jetzt erleben wir bei der Umsetzung der EU-Richtlinie zu den Mindestspeicherfristen das Gegenteil.
Die Welt: Warum sind Sie als erfahrene Sicherheitsexperten eigentlich nie Bundesinnenminister geworden?
Bosbach: (lacht) Ich wäre es 2005 gern geworden, leide aber nicht darunter, dass es nicht geklappt hat. Meine Mutter hat gesagt: Wer weiß, wofür es gut ist? Da hat sie recht. Man ist ein Stück freier ohne dieses Amt.
Wiefelspütz: Es ist niemand ernstlich auf die Idee gekommen, mich zum Innenminister zu ernennen. Das ist auch völlig in Ordnung.
Die Welt: Herr Wiefelspütz, kommen wir zu Thomas Mann. Welches Buch empfehlen Sie Herrn Bosbach?
Wiefelspütz: Das Schönste der deutschen Literatur ist für ihn gerade gut genug: die "Buddenbrooks" von Thomas Mann und Goethes Liebesgedichte.
Bosbach: Mein Favorit ist der "Alchimist" von Paulo Coelho. Jeder Satz enthält eine kleine Weisheit.