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INTERVIEW/012: "Freiheit statt Angst" - Treffpunkt Brüssel, Tobias (SB)


Interview mit Tobias am 18. September 2011 in Brüssel


Tobias ist Aktivist des AK-Vorrat [1] und hat an der Demonstration "Freiheit statt Angst" in Brüssel teilgenommen. Der IT-Sicherheitsexperte setzt sich für Menschenrechte ein, veranstaltet Demonstrationen und publiziert Aufklärungsmaterial.

Tobias - Foto: © 2011 by Schattenblick

Tobias vom AK Vorrat
Foto: © 2011 by Schattenblick

Schattenblick: Tobias, könntest du etwas über dich und deine Organisation erzählen? Für welche Aktionen stehst du?

Tobias: Ich bin im Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung aktiv. Beruflich bin ich im Bereich IT-Sicherheit tätig, mache dort Forensik, Sicherheitsüberprüfungen und ähnliche Geschichten, also alles, was mit Security zusammenhängt. Von daher habe ich einen sehr tiefen Einblick, was mit Daten passiert. Das hat mich auch zum Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung gebracht.

SB: Weil du geschockt bist, wie ungesichert Netze sind?

T: Genau. Man sieht überall, daß man praktisch an alle Daten herankommt. Meistens sind es sehr einfache technische Varianten, und wenn das nicht klappt, ist Social engineering [2] fast genauso einfach. Man kommt hier mit sehr wenig Aufwand wirklich an alle Informationen heran, egal, um welches Unternehmen es sich handelt, ob Rüstungskonzern, Bank oder Automobilkonzern. Etwas schwieriger wird es bei kleinen Unternehmen, weil dort die Angriffsfläche oft sehr gering ist. Die haben nicht sehr viel Technik im Einsatz, und außerdem kennen sich die Leute untereinander. Aber bei einer Personaldecke ab 30 Leute ist in der Regel alles offen wie ein Scheunentor. Da habe ich einfach ein schlechtes Gefühl mit den Daten, die dort herumliegen.

SB: In Rüstungskonzernen oder Industrien kann das gewaltige Gefahren für die Öffentlichkeit bedeuten und wird zum Teil auch von Geheimdiensten genutzt, siehe zum Beispiel "Stuxnet" [3]. Beim AK Vorrat geht es speziell um die politischen Indikationen. Wenn man sich den Staat als Riesenunternehmen vorstellt, wie bedrohlich ist das, wenn deine Daten irgendwo gespeichert sind, du selbst nicht herankommst, sich aber andere deine Daten jederzeit zugänglich machen können?

T: Ich habe dazu ein konkretes Beispiel aus meiner Vergangenheit. Wir haben einmal bei einem Dienstleister im öffentlichen Bereich eine Überprüfung gemacht. Dort hatten wir auch Zugriff auf Daten aus dem Zeugenschutzprogramm. Das Sicherheitslevel war weit unter dem, was man sonst antrifft, und selbst das ist schon relativ gering.

SB: Wenn also jemand möglicherweise durch Zufall an solche Daten herankommt, könnte es sein, daß er im schlimmsten Fall Menschenleben auf dem Gewissen hat.

T: Wenn jemand durch Zufall diese Daten sieht, dann vielleicht nicht, aber wenn diese Daten durch Zufall herauskommen und verkauft werden, dann natürlich.

SB: Was macht der AK Vorrat? Wie bringst du dich da ein?

T: Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung ist eine sehr heterogene Gruppe. Er ist keine offizielle Organisation und damit nicht in irgendeiner Form "legal", sondern einfach ein loser Zusammenschluß von einigen professionellen Organisationen und auch vielen Normalbürgern, die sich einfach mit einbringen wollen. Das Ganze wurde sehr unverbindlich und locker gegründet. Man diskutiert im Internet über bestimmte Sachen. Ab und zu gibt es irgendwelche Treffen, in denen man sich auch in kleineren Gruppen von Angesicht zu Angesicht begegnet. Wir diskutieren verschiedene Themen und machen Aktionen daraus. Bei einer Aktion haben wir zum Beispiel ein Portal angeboten, wo Bürger ihre Meinung zum Thema Vorratsdatenspeicherung an Politiker schicken konnten. Wir organisieren einmal im Jahr eine große Demonstration in Berlin, an der sich viele andere Organisationen beteiligen. Gewerkschaften, Ärzte, Rechtsanwälte, Presse, Schwulen- und Lesbenvereinigungen bilden da ein wirklich breites Spektrum. Ich finde es immer sehr faszinierend, wenn Gruppen unterschiedlichster Interessenlagen an so einem wichtigen Thema zusammenarbeiten, wenn plötzlich die FDP und die Grünen gemeinsam mit irgendwelchen Linksradikalen und Anwälten mehr oder weniger Seite an Seite laufen.

SB: Der Datenschutz betrifft alle, aber nur ein ganz kleiner Teil der Menschen hat sich wirklich damit beschäftigt. Was macht ihr außer diesen Aktionen, um das Bewußtsein dafür zu vergrößern? Was ist eure Intention dabei?

T: Zum einen sammeln wir natürlich Informationsmaterial und sprechen mit verschiedenen Vereinen. Wir haben auch eine ganze Menge Öffentlichkeitsarbeit gemacht, also Pressemeldungen herausgegeben. Da gibt es verschiedenste Ansätze. Es ist immer noch ein Problem, jeden einzelnen zu erreichen. Ich merke immer wieder, wenn wir mit Leuten auf der Straße sprechen, daß viele ein Interesse an den Themen haben, auch beunruhigt sind, aber irgendwie nicht wissen, was sie machen und wie sie sich einbringen können.

SB: Das könnte der Nachteil einer solchen Organisation sein, daß nicht jeder bereit ist, aktiv zu werden, sondern vielleicht nur etwas unterstützen will. Besteht das Problem vielleicht darin, daß man als loser Zusammenschluß nicht jedem ein Forum bieten kann?

T: Wir haben es mit mehreren Probleme zu tun. Zum einen machen wir derzeit zwar einige Aktionen auf der Straße, erreichen damit aber nur einen sehr kleinen Teil der Menschen. Viele Sachen, die wir dagegen im Internet machen, schließen einen großen Teil der Leute aus, die im Internet nicht so zu Hause sind. Auch haben wir sehr viele Leute, die aus der Netzwelt kommen und sehr technisch an diese Themen herangehen, während der Normalbürger mit einer rein technischen Diskussion wenig anfangen kann. Innerhalb der Diskussionen haben wir neben Idealisten immer wieder auch Leute an Bord, die professionell an die Sachen herangehen. Diese Kombination aus Professionellen und Idealisten ist einesteils eine Stärke, weil wir so neue Ansätze fahren und uns auch auf Themen stürzen, die eigentlich hoffnungslos sind, aber angegangen werden müssen. Andererseits kann es geschehen, daß sich die Idealisten mit den Kompromissen nicht einverstanden erklären können.

SB: Möglicherweise gäbe es viel mehr Unterstützung für solche Initiativen, wenn die Leute durch die lose Kooperationsform nicht abgeschreckt würden.

T: Diese lose Kooperationsform hat sich eigentlich sehr bewährt. Es kommen Leute, die keine Bindung an irgendeinen Verein haben. Sie horchen hinein und entscheiden irgendwann, für welches Thema sie sich interessieren und etwas beisteuern wollen. Und plötzlich sind sie mittendrin.

SB: Eigentlich ein moderner Ansatz.

T: Ja, auf jeden Fall.

SB: Die Petition, die ihr eingebracht habt, war ein voller Erfolg. Wie kam es dazu?

T: Die Petition ist im späten Frühjahr durch Kai-Uwe Steffens eingereicht worden, der in unserem Bereich sehr aktiv ist. Wir hatten danach sechs Wochen Zeit, mußten aber in den ersten drei Wochen 50.000 Leute dazu bringen, die Petition zu zeichnen. Interessant war nun, daß wir ein bis zwei Tage vor dieser Drei-Wochen-Frist erst 32.000 Leute zusammen hatten. Wir sind dann in den Endspurt gegangen und haben nochmal die Blogger und unsere Kontakte aktiviert. Man konnte richtig sehen, wie das hochgeschnellt ist. Inzwischen sind wir bei über 60.000, und wir haben immer noch Potential.

SB: Wie geht es dann weiter?

T: Die Petition gibt uns erst einmal nur die Chance, unser Anliegen vorzutragen. Wir müssen uns jetzt nochmal zusammensetzen und aus der Menge an Argumenten jene auswählen, die uns am wichtigsten sind. Wir können nicht mit allen Argumenten direkt die Tür einrennen, sondern müssen zunächst unser kurzfristiges Ziel bestimmen. Auf lange Sicht kann es natürlich nur darum gehen, daß diese Vorratsdatenspeicherung abgeschafft wird und solche Maßnahmen nicht wieder kommen.

SB: Sicherheit ist ein sehr populäres Thema, auf das sich viele Politiker stützen und mit immer neuen Überwachungsvorschlägen Bürgerrechte beschneiden wollen, wie zum Beispiel durch die Vorratsdatenspeicherung. Glaubst du, daß man den Datenschutz als unveräußerliches Freiheitsrecht immer wieder hochhalten muß, bis ein generelles Bewußtsein dafür geschaffen ist?

T: Es mag ja sein, daß der eine oder andere Politiker gerade dieses Thema nutzt, um nochmal Angst zu schüren. Man kann jedoch leicht erkennen, daß diese Angst unverhältnismäßig aufgebauscht wird und teilweise auch unbegründet ist. Allerdings reicht es bei den Politikern nicht soweit, daß sie für diese Sachen wirklich einstehen. Man hat es doch vor dem Bundesverfassungsgericht gesehen. Es war nicht ein einziger Politiker anwesend. Das hat der damalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts ganz klar zu Protokoll gegeben, daß nicht ein einziger Politiker da war, um dieses Gesetz zu verteidigen.

SB: Aufs einfachste heruntergebrochen ließe sich also sagen, daß es ein populäres Mittel ist, um auf Kosten vieler billig und schnell Angst zu produzieren. So erhält man zwar ein politisches Kapital, das auf diese Weise erzeugt zu haben jedoch unverantwortlich ist.

T: Meiner Erfahrung nach haben wir diverse Politiker, die ganz konkrete Fälle benennen, in denen Vorratsdatenspeicherung unverzichtbar sei. Nicht in einem einzigen dieser Fälle waren Vorratsdaten dafür ausschlaggebend, daß er gelöst worden ist. Wir haben statt dessen auf europäischem Level verschiedenste Vorfälle gehabt, wo Daten tatsächlich mißbraucht worden sind. Das muß nicht immer die Regierung sein. Es haben viele Leute Zugriff darauf. Bei uns in Deutschland hat zum Beispiel die Deutsche Telekom diese Daten ausgewertet, um gegen Gewerkschaften und Journalisten vorzugehen, weil irgendwelche Informationen durchgesickert sind. In Polen ist man ganz konkret gegen Zeitungen, aber auch Journalisten vorgegangen. Auch in Weißrußland hat man, auch wenn das jetzt nicht zu unserem Rechtsraum gehört, konkret politische Gegner eingeschüchtert. Allein dieses Spektrum zeigt, wozu diese Daten mißbraucht werden können. Es gibt immer wieder Leute, die, wie damals Herr Schäuble, sagen, "wir sind die Guten". Es mag ja sein, daß Herr Schäuble sich für einen Guten hält, aber ich weiß nicht, wer sein Nachfolger wird und ob dieser dann diese Daten mißbrauchen wird.

SB: Gestern fand eine Demonstration vor der Europäischen Kommission und dem Parlament in Brüssel statt. Das ist eine neue Dimension. Was versprecht ihr euch von einem Protest auf europäischer Ebene?

T: Es gibt derzeit in den verschiedenen Ländern etliche Organisationen, die sich mit dem Thema beschäftigen und sehr viel Zeit und Ressourcen investieren. Sie hängen jedoch am Limit, und die Idee ist, den Informationsfluß zu verbessern und die Zusammenarbeit zu stärken. Das heißt, wir kriegen die Maßnahmen viel zu spät mit. Wir müssen also hingehen und sowohl die Aktionen koordinieren als auch Erfahrungen austauschen, um auf europäischem Level gemeinsam gegen diese Sachen vorgehen zu können. So hatte zum Beispiel die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland überhaupt keine Chance, und deswegen haben deutsche Politiker ganz konkret in Brüssel Druck gemacht, um diese Maßnahmen durchzusetzen. Man hat praktisch die europäische Ebene als Umgehungsmaßnahme der nationalen Gesetzgebung benutzt. Das ist im Augenblick ein beliebtes Mittel. Daher müssen wir es schaffen, daß die Hürden für die nationale Gesetzgebung auch auf europäischer Ebene gelten.

SB: Wenn du einen persönlichen Ausblick beschreiben wolltest: Wo geht es hin?

T: Ein Ausblick ist im Moment, daß wir aus vielen kleinen Einzelorganisationen im Grunde ein Netzwerk stricken, das nicht nur diese Organisationen beherbergt, sondern auch jede Privatperson einschließt, die Interesse hat, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Um so auf lange Sicht vielleicht eine breite Masse zu bilden, die ganz konkret gegen diese Maßnahme vorgeht. Die Masse ist da, aber sie ist im Augenblick in viele kleine Einzelteile verstreut. Viele wissen nicht, wie sie anfangen sollen oder was sie tun können. Einige haben auch Angst. Ich glaube, wir müssen zusammenarbeiten, um einen oder mehrere Wege zu finden, um konkret gegen diese Sachen vorgehen zu können.

SB: Möchtest du noch ein kleines persönliches Statement abgeben?

T: Viele Daten werden gespeichert. Wir haben in Deutschland einen Paragraphen im Datenschutzgesetz, der besagt, es dürfen nur die Daten gespeichert werden, die absolut notwendig sind. Auch hierbei soll darauf geachtet werden, daß eine Verschlüsselung oder Sicherung dieser Daten durchgeführt wird. Ich würde es begrüßen, wenn man dies noch stärker ausbaut und kontrolliert, denn dort haben wir tatsächlich eine Datenschutzlücke.

SB: Tobias, vielen Dank für das Gespräch.


Fußnoten:

[1] http://wiki.vorratsdatenspeicherung.de/

[2] Mit Social Engineering gemeint ist das "Hacken" von sozialen Situationen, meist durch das Erzählen von Lügengeschichten, um mehr über sein Opfer herauszufinden und an generelle Informationen zu gelangen, indem man sich Vertrauen erschleicht. Eingesetzt wird das zumeist von Hackern, Wirtschaftsspionen, Detektiven und Headhuntern. Http://www.social-engineer.org/

[3] http://www.stuxnet.net/

2. November 2011