Generalbundesanwalt gegen "hysterisch gewordene Datenschutzdebatte"

Auf einer Tagung zur geplanten Vorratsdatenspeicherung prallten die Interessen von Strafverfolgern, Bürgerrechtlern, Medienvertretern und Providern aufeinander, wobei es beiden Seiten um den Erhalt des Rechtsstaats geht.

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Auf einer Tagung zur geplanten Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten in Berlin, auf welcher die Humanistische Union (HU) mit Unterstützung von Institutionen der Presselandschaft über das "Ende des Informanten- und Datenschutzes" diskutierten, prallten die Interessen von Strafverfolgern, Bürgerrechtlern, Medienvertretern und Providern frontal aufeinander. Beide Seiten betonten dabei, dass es ihnen jeweils um die Wahrung der Grundlagen des freiheitlichen Rechtsstaates geht. Aus Sicht des Generalbundesanwaltes beim Bundesgerichtshof, Michael Bruns, wird mit dem Regierungsvorstoß "nur der Ist-Zustand" der Strafverfolgung festgeschrieben. Es gehe um "keine Erweiterung der Befugnisse, nur um einen Ersatz für früher gegebene Möglichkeiten" in Zeiten der Digitalisierung der Kommunikationsgewohnheiten.

Christoph Fiedler vom Verband der Deutschen Zeitschriftenverleger (VDZ) hielt dagegen, dass die Vorratsdatenspeicherung selbst bei einer "maßvollen Umsetzung die Pressefreiheit erheblich schwächen würde". Der Staat erhalte Zugriff auf alle Kontakte zu Journalisten, was Informanten massiv abschrecken werde: "Die Presse wird blind, die Demokratie mittelbar geschädigt". Besonders schal sei das Argument, dass die Presse in Zeiten des Terrorismus zurückstecken müsse. Gerade hier sei die Gesellschaft auf eine "robuste Pressefreiheit" angewiesen.

Bruns beklagte im Namen der Karlsruher Bundesstaatsanwaltschaft allgemein eine inzwischen "hysterisch gewordene Datenschutzdebatte". Den Bedürfnissen der Interessen der Ermittlern komme generell ein eigenständiges verfassungsmäßiges Gewicht zu. Angesichts der Zunahme von Flatrates bei der Telekommunikation, bei denen momentan Verbindungsdaten nur sehr kurzfristig gespeichert werden dürfen, könne auf die Strafverfolgung nicht "gänzlich verzichtet" werden. Gebraucht sei vor allem eine Zuordnung von IP-Adressen zu den jeweiligen Anschlusskennungen etwa bei der Verbreitung von Kinderpornographie, rechtsradikaler Hetze oder Phishing-Mails. Befürchtungen, dass die gesamte Bevölkerung mit der verdachtsunabhängigen Aufzeichnung der elektronischen Nutzerspuren für sechs Monate unter einen "Generalverdacht" gestellt werde, wies Bruns dagegen zurück. Auch die Daten von Dritten seien oft von entscheidender Bedeutung.

Constanze Kurz vom Chaos Computer Club (CCC) wies dagegen daraufhin, dass mit dem "monströsen Projekt" EU-weit "eine halbe Milliarden Menschen" pauschal betroffen werden. Sie zweifelte auch die von Bruns behauptete klare Beweiskraft der Verbindungsdaten und ihrer Zuordnung zu personenbeogenen Informationen an. Gemeinsam mit dem Ex-Landesdatenschutzbeauftragten von Berlin, Hansjürgen Garstka, verteidigte die Hackerin den alternativen Ansatz eines "Quick Freeze". Dabei zeichnen die Provider Datenspuren erst auf Zuruf der Behörden bei einem konkreten Tatverdacht auf. Dies entspricht Garstka zufolge den bisherigen traditionellen Ermittlungsmethoden, während diese durch die pauschale Protokollierung deutlich erweitert würden. Für Bruns geht das in den USA bislang praktizierte "Quick Freeze"-Verfahren dagegen "vollständig an der Realität des Strafverfahrens vorbei". Ermittler würden häufig erst nachträglich Kenntnis von Verdacht erhalten. "Ohne Speicherpflicht gibt es da keine tatrelevanten Daten mehr zum Einfrieren."

Der Generalbundesanwalt räumte aber ein, dass "sich die elektronischen Daten ungleich effizienter auswerten lassen als die physischen Kontakte". Bei den "sensiblen" aufgezeichneten Angaben werde direkt in das informationelle Selbstbestimmungsrecht eingegriffen. Die Sache mit der Datenanalyse per "Knopfdruck" hätten sich die Strafverfolger aber "nicht ausgesucht". Ermittlungen ohne Verbindungsdaten wären jedenfalls kaum mehr denkbar.

Klaus Landefeld vom Verband der deutschen Internetwirtschaft eco monierte aus Sicht der betroffenen Zugangsanbieter, dass der zuvor betonte Harmonisierungsansatz der EU mit diversen Umsetzungsgesetzen in den Mitgliedsstaaten inzwischen komplett "verloren gegangen ist". Viele hätten "unterschiedlichste Vorkehrungen, was wie lange zu speichern ist". Teilweise soll jede einzelne Verbindung im Internet mitgeloggt und zentral vorgehalten werden in einem großem Data Warehouse. Hierzulande gebe es bislang keine Vorgaben, wie die konkreten Datenbanken zur Aufbewahrung der Informationen auszusehen haben. Zugleich gab der eco-Vorstand zu bedenken, dass die "momentanen Möglichkeiten vor allem zur E-Mail-Überwachung so gut wie gar nicht genutzt werden" Oft träfe Provider keine einzige Anordnung, obwohl die teuren Abhörinfrastrukturen vorgehalten werden müssen. Über 90 Prozent der Anfragen würden sich auch weiter an die Deutsche Telekom richten, obwohl sie nicht mehr diesen Marktanteil habe.

In der über 50 Seiten langen Stellungnahme der HU zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung heißt es derweil klipp und klar in einer Ausführung der bereits geäußerten Kritik der Bürgerrechtsvereinigung, die auch zu den Unterstützen der Demonstration unter dem Motto "Freiheit statt Angst – Stoppt den Überwachungswahn!" am 22 September in Berlin zählt: "Die Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung verstößt mehrfach gegen grundrechtliche Schutzgarantien." Sie sei bereits mit ihrem Ansatz, sämtliche Verbindungsdaten aller Kommunikationsteilnehmer anlasslos zu speichern, verfassungswidrig. Die HU ist sich daher sicher: "Eine verfassungskonforme Umsetzung kann insoweit nicht gelingen." (Stefan Krempl) (jk)