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Meinung: 0,006 Prozent

Gegen die Vorratsdatenspeicherung spricht vor allem ihr geringer Nutzen.

Von Anna Sauerbrey

Die Gegner der Vorratsdatenspeicherung sind allesamt paranoide Verschwörungstheoretiker. Wer in diesen Tagen die Debatte um das Thema verfolgt, könnte zu diesem Schluss kommen. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagte gestern sinngemäß, die Bürger sollten sich mal nicht so anstellen. Schließlich würden nur Rufnummern und Telefonzeiten gespeichert, das hätte die Post ja früher auch getan. Er meinte: Wer nur wegen ein paar gespeicherter Verbindungsdaten gleich den Überwachungsstaat an die Wand malt, hat wohl zu früh im Leben zu viel Orwell gelesen. Also ruhig Blut.

Nun gut, ruhig Blut. Auch nüchtern betrachtet lassen sich Argumente gegen die Vorratsdatenspeicherung finden, gegen das Speichern der Verbindungsdaten aller Deutschen ohne Anlass.

Das wichtigste Argument ist die Verhältnismäßigkeit. Auf diesen Grundsatz hat sich das Bundesverfassungsgericht berufen, als es 2010 über die Vorratsdatenspeicherung urteilte. Gegenüber stehen sich der Schaden des Eingriffs in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis und das berechtigte Interesse des Staates, schwere Straftaten aufzuklären.

Der Eingriff, so das Bundesverfassungsgericht, ist „besonders schwer“, er habe „eine Streubreite, wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt“. Herrmanns Aussage ist irreführend. Denn das was gespeichert wird, ist keineswegs vergleichbar mit dem, was die gute alte Post verwahrte. Bei Handygesprächen etwa wird auch die Funkzelle erfasst, in der sich der Betroffene (also wir alle) gerade befindet, die Daten ermöglichen also Bewegungsprofile. Zudem ist das Anlegen großer Datenmengen immer ein Risiko, das haben die Datenskandale der vergangenen Jahre gezeigt. Journalisten fürchten um den Quellenschutz.

Dagegen steht ein voraussichtlich begrenzter Nutzen. Eine Studie des Bundeskriminalamts aus dem Jahr 2005 ergab, dass nur 381 Straftaten unaufgeklärt blieben, weil Ermittler nicht mehr auf bereits gelöschte Daten zugreifen konnten. Die Aufklärungsquote würde also lediglich um 0,006 Prozent verbessert. In anderen europäischen Ländern, die das Gesetz bereits eingeführt haben, sind keine oder nur geringe Effekte zu beobachten. Viele schwere Straftaten, die in diesem Jahr die Forderungen nach Vorratsdatenspeicherung laut werden ließen, hätten auch mithilfe dieser Daten nicht aufgeklärt werden können.

Das Bundesverfassungsgericht kam dennoch zu dem Urteil, dass das Speichern auf Vorrat in engen Grenzen zulässig und verhältnismäßig sein kann. Doch Politik muss nicht heißen, jeden rechtlichen Rahmen auszuschöpfen. Es geht nicht um die juristische, sondern auch eine politische Bewertung der Verhältnismäßigkeit. Und aus politischer Sicht kann man sehr wohl zu dem Schluss kommen, dass die Vorratsdatenspeicherung nicht nötig ist: weil der Nutzen gering, der Widerstand unter den Bürgern aber groß ist. Weil Techniken sich ständig weiterentwickeln und schon morgen die Frage im Raum stehen könnte, ob Zugriffe auf Clouddienste und soziale Netzwerke nicht auch noch, wie schon das Abrufen von E-Mails, gespeichert werden müssten. Und ja, vielleicht auch, weil man sich, selbst wenn man kein Verschwörungstheoretiker ist, Gedanken darüber machen sollte, in welcher Sorte Gesellschaft man leben möchte.

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