Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

5.1.12

Deutscher Anwaltverein spricht sich gegen Quick-Freeze aus

Das Bundesjustizminsterium hat Mitte des vergangenen Jahres einen Diskussionsentwurf zur Einführung eines Gesetzes zur Sicherung vorhandener Verkehrsdaten und Gewährleistung von Bestandsdatenauskünften im Internet (Quick-Freeze) veröffentlicht.

Das Quick-Freeze-Verfahren soll es – als Alternative zur Vorratsdatenspeicherung – ermöglichen, Telekommunikationsverkehrsdaten anlassbezogen für einen beschränkten Zeitraum zu speichern (einzufrieren), um diese ggf. in einem weiteren Schritt auf richterliche Anordnung hin „aufzutauen“ und für die Strafverfolgung zu verwenden.

Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hat sich in einer ausführlichen Stellungnahme mit diesem Vorschlag befasst. In der Vorbemerkung seines Papiers bekräftigt der DAV erneut seine Ablehnung einer Vorratsdatenspeicherung und führt zur Begründung aus:

Wegen der Tiefe des Grundrechtseingriffs und des Fehlens von Belegen für einen statistisch signifikanten Einfluss der Maßnahme auf die Begehung und Verfolgung von Straftaten muss die Richtlinie2006/24/EG nach Auffassung des DAV zugunsten gezielter, anlassbezogener und verhältnismäßiger Verfahren im Lichte der national und international gewährten Grund- und Freiheitsrechte grundlegend überarbeitet werden.

Auch gegen das vom Justizminsterium favorisierte Quick-Freeze Verfahren meldet der DAV rechtsstaatliche Bedenken an.

Die Voraussetzungen seien konturlos und bieten weitreichende Interpretationsmöglichkeiten in der Hand des Anordnenden, so der DAV. Dass in § 100j StPO-E von einer Erforderlichkeit der Datensicherung für die „Erforschung des Sachverhalts“ und nicht von einer „Ermittlung des Sachverhalts“ gesprochen wird, zeige, dass das „Einfrieren“ auch weit im Vorfeld eines Anfangsverdachts stattfinden könne und die Polizei bzw. Staatsanwaltschaft hierüber zudem autark ohne Einschaltung des Richters entscheiden könne. Der DAV ist der Ansicht, dass eine derart niedrige Eingriffsschwelle zur Erforschung von Straftaten die mittels des Internet begangen wurden, auch nicht mit der Entscheidung des BVerfG zur Vorratsdatenspeicherung vereinbar sei.

Die zusätzlich in dem Vorschlag des BMJ enthaltene anlasslose Vorratsdatenspeicherung von Verkehrsdaten für sieben Tage lehnt der DAV, zumindest in der vorgeschlagenen Form, ebenfalls ab. Der DAV hatte sich bereits zuvor kritisch u.a. zur Vorratsdatenspeicherung geäußert und eine experimentelle Gesetzgebung beklagt.

Es ist sehr zu begrüßen, dass sich die größte Interessenvertretung der Anwaltschaft von der politischen Diskussion nicht hat beeindrucken und beeinflussen lassen und an ihrer strikt rechtsstaatlichen Betrachtungsweise festhält.

 

posted by Stadler at 18:15  

7 Comments

  1. Verkehrte Welt.

    Da sind die Anwälte gegen die VDS und sogar gegen das QuickFreeze während überhaupt nicht zur Freude der werte Alvar für das erfassen der IPs auf Vorrat ist.

    mfg
    yb

    Comment by yah bluez — 5.01, 2012 @ 19:43

  2. Wenn ich das richtig verstehe, ist der Verein doch gar nicht gegen das Quick-Freeze-Verfahren als Idee, sondern nur gegen die geplante Form der Umsetzung.

    Die kleine Schatztruhe für Totschlagargumente #237:

    Hinzu kommt, dass die technischen Dimensionen des Internet und damit insbesondere deren Gefahren, noch weitgehend unbekannt sind.

    Comment by VonFernSeher — 5.01, 2012 @ 23:08

  3. Erstaunlicherweise deckt sich die eher unpopulistische Ansicht des Anwaltvereins mit meiner. Mir ist überhaupt nicht erklärlich, warum die das Sammeln möglichen Beweisen auf Vorrat von unverdächtigen Bürgern überhaupt brauchen. In allen anderen Lebensbereichen ist es uns selbstverständlich, dass wir die Aktivitäten unverdächtiger Bürger nichts beobachten, sammeln und als potenzielle Beweise aufheben. Wir dürfen frei auf der Straße herumlaufen, wie dürfen uns bis an die Zähne bewaffnen und für Massaker an Schulen die Waffen zu Hause aufbewahren. Wir dürfen mit der Bahn fahren, ohne dass es einen was angeht. Im Straßenverkehr dürfen wir uns frei und unbeobachtet bewegen, obwohl wir mehrere tausend Tote dort jedes Jahr haben. Noch nie haben sich unsere Rechtsextremisten getraut, offen die Totalüberwachung zu fordern. Aber das Internet scheinen die Rechtsextremisten von der Union für einen rechtsfreien Raum zu halten. Sie reden ja oft genug davon.

    Ich habe den Verdacht, dass die Stasi- und Gestapo-Anhänger nun so laut sind mit ihren Forderungen, weil es relativ einfach und billig und heimlich möglich ist. Das wäre der Hammer: wir belauschen die Bürger, weil es technisch möglich ist, nicht weil wir es wegen einem Aufwuchs der Kriminalität zur Strafverfolgung brauchen. Und die Rechtsextremsiten glauben wirklich, wir hätten nicht genug Eier, um dieses Abreissen des Rechtsstaates der Mielke-Freunde zu verhindern?

    Heise meldet heute, dass die Mehrheit der EU-Länder keine Böcke auf Nazi-Methoden hat:
    „Brüssel bei der Vorratsdatenspeicherung in Erklärungsnot“
    http://www.heise.de/newsticker/meldung/Bruessel-bei-der-Vorratsdatenspeicherung-in-Erklaerungsnot-1404439.html

    Sieht man die Nazi-Mörderbanden in Thüringen, die Nazi-Methoden der Vollüberwachung, den perversen Drang, bei Zugangserschwerungsgesetz das gesamt Web vollständig zu überwachen, aber den Kinderpornodreck für Nazis und Klerus im Netz zu belassen, und der Rechtsbeugung bei 0zapftis, kommt man zu dem Verdacht, dass das Nazi-Unwesen mit Gestapoperversen und dem kleinen Bruder Stasi immer noch strak im deutschen Staat verankert ist und bisher unzureichend aus dem Staat entfernt wurde.

    Neulich ist Johannes Heesters gestorben, der in den 40ern in Dachau war. Dort hat er meinen Grossonkel als Insassen besichtigt. Ich möchte so was nicht mehr. Auch wenn Guantanamo diese Perversionen im Westen wieder hoffähig gemacht hat, das angeblich auch der Terrorbekämpfung dienen soll wie die VDS auch.

    Beim Quick-Freeze habe ich schon immer gefragt, dass man doch was gespeichert haben muss, dass man einfrieren kann. Früher war es Sitte im Rechtsstaat, dass man Telefongespräche erst abhören darf, wenn ein Richter den dringenden Tatverdacht bestätigt. Quickfreeze bei Telefonaten würde bedeuten, dass wir alle Gespräche erst mal aufzeichnen, um dann schnell einzufrieren, wenn mal was ist. Quickfreeze beim großen Lauschangriff würde bedeuten, dass wir in allen ehelichen Schlafzimmern Wanzen installieren und wenn ein Denunziant einen Polizisten animiert, dann hören wir uns die letzten Bänder an (der Richtervorbehalt war eine Lüge von Schily, im Gesetz steht bei Gefahr im Vollzuge auch ein Polizeipräsident, also jeder Polizist kann den großen Lauschangriff auf Ehebetten starten bei Denunziation).

    Der Quickfreeze ist also eine Kriegserklärung an unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung, mit dem wesentliche Elemente unserer Ordnung abgeschafft werden sollen. Wer ihn fordert, ist für eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst nicht geeignet.

    Und das schaffen nur Anwälte zu erkennen, dass hier die Republik in Gefahr ist?

    Comment by Jan Dark — 6.01, 2012 @ 11:04

  4. Ob Quickfreeze eine Kriegserklärung ist, hängt davon ab, was man unter ihr versteht. Bürgerrechtler verstehen darunter, dass ab dem Moment des Verdachts nach vorne aufgezeichnet wird, also wie bei der klassischen TKÜ. Überwachungsfanatiker wollen dagegen durch Aufzeichnungspflicht dafür sorgen, dass immer auch Daten der Vergangenheit einfrierbar sind.

    Kritiker meinen nun, dass man für ersteres keine neuen Befugnisse bräuchte, weil dies bereits heute problemlos möglich sei.

    Andere Kritiker befürchten, dass dann bei jedem Pups ein Verdacht erfunden wird, um präventiv bei fast jedem nach vorne aufzeichnen zu können, um im Fall das wirklich mal etwas passiert, die Vergangenheit doch wieder zu haben.

    Comment by Ein Mensch — 6.01, 2012 @ 13:55

  5. Das Wertpapiergesetz meint schon vorhandene Daten, die eingefroren werden und dann nach richterlicher Anordnung aufgetaut werden.
    http://dejure.org/gesetze/WpHG/16b.html

    Ich hatte bisher auch nicht bei Frau Leutheusser-Schnarrenberger den Eidnruck, dass die bei Quick Freeze zukünftige Daten meint, sondern schon vorhandene. Macht ja sprachlich auch keinen Sinn: Was noch nicht da ist, kann nicht eingefroren werden. Und zudem ist der große Lauschangriff im Ehebett bei polizeilicher Anordnung längst kodifiziert und geltendes Recht. Unser rechter Rand will mehr. Die wollen eine andere Republik. Fast alleine in Europa. Wie schon 33. Da gingen auch nur die Italiener mit, sagt Umberto Eco.

    Comment by Jan Dark — 6.01, 2012 @ 14:23

  6. Das macht schon Sinn. Man friert ein, was da ist. Nur darf(!) nach Holger Voss garnichts da sein, ausser vielleicht der 7 Tage die Schaar mit der DTAG ausgehandelt hat. Insofern bleibt nur die Speicherung ab Aufforderung in die Zukunft.

    Comment by Ein Mensch — 7.01, 2012 @ 00:02

  7. Also dann richtig:
    „In dem von Leutheusser-Schnarrenberger vorgeschlagenen Quick-Freeze-Verfahren kann nur die Sicherung von Verkehrsdaten derjenigen Personen angeordnet werden, die einen hinreichenden Anlass dazu gegeben haben. Die bei den Telekommunikationsunternehmen aus geschäftlichen Gründen bereits vorhandenen Verkehrsdaten sollen also anlassbezogen gesichert („eingefroren“) werden und so den Ermittlern unter Richtervorbehalt eine begrenzte Zeit zur Verfügung stehen können. Im Internetbereich soll eine auf sieben Tage befristete Speicherung von Verkehrsdaten erfolgen, um bei einem konkreten Verdacht dynamische IP-Adressen Personen zuordnen zu können.“
    http://www.bmj.de/SharedDocs/Kurzmeldungen/DE/2011/20110117_Leutheusser_Schnarrenberger_legt_Eckpunkte_zu_Quickfreeze_vor.html

    SLS geht es nur um Daten aus der Vergangenheit beim Qick FReeze. Daten aus der Zukunft kann man ja auch dann langsam mitschneiden und braucht sie nicht einzufrieren. Das aber ist eine andere Republik. Da hat der Anwaltsverein ganz recht. Wir erheben verdachtslos Daten über alle Bürger, die wir dann in Strafprozessen als Beweise nutzen wollen. Diese verdachtslose Beschnüffelung aller Bürger ist ein Novum in der Republik und macht Schluss mit dem bisher bekannten Rechtsstaat. Das Verfahren hat mehr Ähnlichkeit mit der Gestapo der Nazis und Stasi der kommunistischen Diktatur (die FJS Milliarden zum Erhalt wert war) als dem bisher bekannten Rechtsstaat.

    Zusammen mit der Erfahrung, das die EU die Nützlichkeit der Vorratsdatenspeicherung nicht darlegen kann, die EU ihre VDS-Richtlinie selbst für falsch hält und über die Hälfte der europäischen Staaten diese Nazimethoden nicht einführen will, ist die Abschaffung unseres Rechtsstaates durch SLS im Quick-Freeze strikt abzulehnen.
    http://www.zeit.de/digital/datenschutz/2012-01/vorratsdatenspeicherung-eu-zwischenbericht

    Comment by Jan Dark — 7.01, 2012 @ 10:43

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