Brief an Kommission in Brüssel: Bundesregierung bleibt bei ihrer Verweigerungshaltung. Nun droht eine Strafzahlung
Unterstützung für Leutheusser in der FDP bröckelt: Hahn und Wolff mahnen Kompromiss an
Wer den Endlosstreit über die Einführung der Vorratsdatenspeicherung verstehen will, der muss sich eine Pokerrunde vorstellen. Am Tisch sitzen zwei liberale Frauen: die schwedische EU-Kommissarin für Innenpolitik, Anna Cecilia Malmström, und die deutsche Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP). Der Einsatz, um den gespielt wird, ist die Privatsphäre der Bürger.
Malmström will dieses Freiheitsrecht im Namen der Sicherheit einschränken und Deutschland zwingen, eine EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung umzusetzen. Die sieht vor, dass die Mitgliedsstaaten der EU sämtliche Kommunikationsdaten ihrer Bürger ohne konkreten Anlass mindestens sechs Monate lang speichern müssen. Für Deutschland hieße das: Die Telefon- und Internetverbindungsdaten von 82 Millionen Bundesbürgern müssten von den Telekommunikationsunternehmen für ein halbes Jahr auf Halde gelegt werden. Für eine effektive Kriminalitätsbekämpfung sei das unerlässlich, argumentiert Malmström. Und sie hat hierzulande zahlreiche Unterstützer: Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) etwa zählt dazu, die Landesinnenminister der Union oder der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Jörg Ziercke.
Leutheusser-Schnarrenberger dagegen sieht sich als Verteidigerin der Freiheitsrechte, ihr gehen die Vorgaben der EU-Richtlinie zu weit. Sie will deutlich weniger Kommunikationsdaten speichern lassen und hat deshalb das "Quick Freeze"-Verfahren ersonnen. Dabei würden nicht sämtliche Verbindungsdaten aller Bürger auf Vorrat gesammelt, sondern nur bei konkreten Anhaltspunkten für eine Straftat gespeichert. Ihre Unterstützer kommen aus der FDP und Bürgerrechtsvereinigungen wie dem "Arbeitskreis Vorrat", auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar gehört dazu. Und nicht zuletzt lehnten "zwei Drittel der Deutschen die anlasslose Vorratsdatenspeicherung ab", sagt Leutheusser-Schnarrenberger.
In dieser Woche nun geht der Datenpoker der beiden liberalen Politikerinnen in die entscheidende Runde. Malmström hatte der deutschen Kollegin eine Frist gesetzt: Bis zum 27. Dezember sollte die Bundesregierung schriftlich erklären, wie weit sie mit der Umsetzung der Richtlinie vorangekommen ist. Nach Informationen der "Welt" ging das Schreiben pünktlich am Dienstag bei der Kommission in Brüssel ein. Leutheusser-Schnarrenberger beharrt darin im Namen der Bundesregierung auf ihrer Verweigerungshaltung, die Richtlinie in deutsches Recht zu transformieren. Als Anhang ist der Gesetzentwurf zum "Quick Freeze"-Verfahren beigefügt - was Malmström kaum zufriedenstellen wird. "Die EU-Kommission wird sicherstellen, dass der Bruch des EU-Rechts ein Ende hat", hieß es in Brüssel.
Der Trumpf der Schwedin: Die EU-Kommission hat jetzt die Möglichkeit, gerichtlich gegen Deutschland vorzugehen. In einem Vertragsverletzungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof kann Malmström einen Verstoß der Bundesrepublik gegen EU-Recht feststellen lassen - und anschließend eine Strafzahlung beantragen. In einem ähnlichen Verfahren gegen ihr Heimatland Schweden hat sie das bereits getan. Allerdings mit wenig Erfolg: Trotz der Androhung einer Strafzahlung von 350 000 Kronen (40 000 Euro) für jeden Tag, an dem die Richtlinie nicht umgesetzt wird, verweigert sich Stockholm weiterhin der Aufforderung der EU. Man sehe diese 15 Millionen Euro im Jahr als "Preis der Freiheit", teilte die schwedische Regierung Frau Malmström mit.
Nach Berechnungen des "Arbeitskreises Vorrat" könnte auf Deutschland ein Bußgeld von 70 Millionen Euro für jedes Versäumnisjahr zukommen, der Preis der Freiheit würde mithin rund 86 Cent pro Bürger im Jahr betragen. Ähnlich wie die Schweden sieht Leutheusser-Schnarrenberger das gelassen. Zunächst einmal stünden mögliche Strafzahlungen erst in etlichen Monaten ins Haus: "Sie drohen erst dann, wenn wir vom Europäischen Gerichtshof wirklich verurteilt sind." Ferner verwies die Justizministerin auf den größten Pferdefuß in Malmströms Argumentation: Die EU-Kommission habe bereits selbst eingestanden, dass die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung mangelhaft sei und deshalb überarbeitet werden müsse. Erst wenn diese Evaluierung abgeschlossen sei, sagte die Justizministerin dem Deutschlandfunk, werde man die überarbeitete Richtlinie auch in nationales Recht umsetzen.
Die Ministerin pokert also weiter. Aber ihr Spiel auf Zeit ist nicht ohne Risiko. So setzt Leutheusser darauf, auf die laufende Evaluierung in Brüssel Einfluss nehmen zu können. Doch sie ist nicht direkt an dem Verfahren beteiligt. Dafür ist Innenminister Friedrich zuständig, und der wird kaum für die FDP-Idee eines "Quick Freeze"-Verfahrens werben. Außerdem droht die Heimatfront außer Kontrolle zu geraten. Ausgerechnet Vertreter ihrer eigenen Partei verlieren die Nerven und drängen Leutheusser-Schnarrenberger zu einem schnellen Kompromiss. So kündigte FDP-Präsidiumsmitglied Jörg-Uwe Hahn an, er wolle sich als Vorsitzender der Justizministerkonferenz der Länder dafür einsetzen, dass es auch eine Datenspeicherung ohne Anlass gebe, die aber in Bezug auf Fristen und betroffene Straftaten so eng wie möglich zu fassen sei. Zur Begründung sagte Hahn, EU-Kommissarin Malmström habe in einem persönlichen Gespräch mit ihm auf die drohende Geldstrafe hingewiesen.
Auch Hartfrid Wolff, Vorsitzender des Arbeitskreises Innen und Recht der FDP-Bundestagsfraktion, setzt die Justizministerin unter Druck. Gemeinsam mit Unionsvizefraktionschef Günter Krings (CDU) wolle er die Experten der Koalition zu einem Treffen Ende Januar einladen, um beim Thema Vorratsdaten "zu konstruktiven Ergebnissen zu kommen", sagt Wolff der "Welt". "Wir bereiten eine vernünftige Kompromisslinie vor. Damit wir für den Fall, dass die EU ein Strafverletzungsverfahren gegen Deutschland einleitet, eine tragfähige rechtsstaatliche Lösung haben."
Nach Informationen dieser Zeitung könnte der Kompromiss so aussehen, dass man die Kommunikationsdaten künftig drei Monate speichert - mit hohen rechtlichen Hürden wie einem Richtervorbehalt und einem kleinen Katalog schwerer Straftaten. Innenminister Friedrich und Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) hatten jüngst bereits eine Speicherfrist von drei oder vier Monaten ins Gespräch gebracht. Knackpunkt der Verhandlungen dürfte aber weiter die Frage sein, ob die Daten anlasslos (Union) oder nur bei konkretem Verdacht (FDP) gespeichert werden sollen.
Diese am deutschen Koalitionsfrieden orientierten Bemühungen um eine Einigung lassen allerdings außer Acht, dass auch damit ein Verstoß gegen die EU-Richtlinie vorliegen würde. Die verlangt sechs Monate Speicherfrist, ohne Wenn und Aber. Für ein mögliches Vertragsverletzungsverfahren wäre damit nichts gewonnen. Leutheussers Position im Datenpoker mit der Kollegin Malmström aber wird durch die Einlassungen der Parteifreunde geschwächt: Wer möglichst viel gewinnen will, darf sich nicht vorzeitig in die Karten schauen lassen.