Funkzellenabfrage in Berlin„Natürlich erheben wir Daten unbescholtener Bürger“

Die Nachlese zur Funkzellenabfrage geht weiter. Nachdem es auch bei bild.de und Spiegel Online gelandet ist, hat mir die Berliner Polizei endlich geantwortet. Die Fragen hatte ich hier veröffentlicht.

Antworten der Polizei

Die ersten vier Fragen zu Umfang der Daten und Betroffenen des konkreten Falls kann die Berliner Polizei jetzt immer noch nicht beantworten:

Aufgrund des hohen Rechercheaufwands ist eine Beantwortung dieser Frage nicht vor Montag, dem 23. Januar 2012 möglich. Die Polizei wird sich – soweit möglich – im Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung des Abgeordnetenhauses umfassend äußern.

Informiert wurden ist keine einzige betroffene Person:

Nein, weil eine Namhaftmachung und Ermittlung der Beteiligten eine Vertiefung des Grundrechtseingriffs bedeutet hätte.

Ich glaube ja, wenn man alle Betroffenen aller Funkzellenabfragen darüber mal informieren würde, wäre die Mehrheit der Bevölkerung sofort gegen eine Vorratsdatenspeicherung.

Weiterhin hat die Polizei bestätigt, dass das Verfahren eingestellt wurde und die Ermittlungen nicht erfolgreich waren.

Aber kein Problem: Die Daten sind über ein Jahr später auchmal gelöscht worden:

Ja, am 20. April 2011. Die Löschung ist dokumentiert worden.


Die Fragen zum allgemeinen Umgang mit Funkzellenabfragen wollte man ebenfalls nicht beantworten und vertröstet erneut auf die Sitzung des Berliner Innenausschusses am Montag. Da bin ich ja mal gespannt, ob dann konkrete Zahlen kommen.

Bestätigt hat man, dass auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung weiterhin Funkzellenabfragen nach § 100 g StPO gemacht werden.

Den Berliner Datenschutz-Beauftragten hat man nicht nach seiner Einschätzung gefragt, man hat ja einen eigenen:

Nein. Der Beauftragte für den Datenschutz der Polizei Berlin gewährleistet die datenschutzkonforme Verarbeitung.

Weitere Erkenntnisse

Währenddessen recherchieren auch andere weiter. Gestern wurde bestätigt, dass die Berliner Polizei innerhalb von zwei Jahren die Daten von mehreren Millionen Handys von einem einzigen der vier Mobilfunkbetreiber erhalten hat. Ebenso wurde bestätigt, dass die Daten nicht nur für den jeweiligen Fall genutzt, sondern miteinander abgeglichen werden, welche Mobilfunkgeräte an mehreren Tatorten waren.

Gebracht hat das nichts:

Erfolgreich waren diese Abfragen nach Angaben eines leitenden Ermittlers nicht.

Problematisch findet man das nicht, so ein Staatsanwalt: „Natürlich erheben wir Daten unbescholtener Bürger – löschen sie aber sofort wieder“. Dazu ein Abgeordneter der sonst nicht gerade kritischen SPD:

Kohlmeier erinnert an das Scannen von Autokennzeichen, das die Berliner Polizei zeitweise durchführte. Die Vorgänge seien zwar nicht unmittelbar vergleichbar, aber damals habe sich im Datenschutzausschuss herausgestellt, dass es bei der Polizei kein Routine-Verfahren zur Löschung gegeben habe. Am Ende seien die Daten „irgendwann gelöscht“ worden, aber ohne geregeltes Verfahren.

Noch etwas steht in diesem Artikel: Neben Mord, Totschlag und (versuchter) Brandstiftung wird das Verfahren auch bei Raubüberfällen sowie dem Enkeltrick angewendet.

Nicht nur Dresden und Berlin

Die gegenwärtige Aufmerksamkeit scheint schon wieder regional fokussiert zu sein, nach Dresden nun Berlin. Die Funkzellenabfrage ist aber keinesfalls auf einzelne Bundesländer begrenzt, es darf gerne auch in anderen Ländern recherchiert und nachgefragt werden. In Hamburg beispielsweise hatten einzelne Richter einzelne dieser Abfragen zwar für unverhältnismäßig erklärt, aber dennoch wird das in neun von elf Fällen auch da wegen Brandstiftung eingesetzt.

Außerdem dreht sich die gesamte Diskussion bisher um die Polizei, von den Geheimdiensten aus Bund und Ländern ist überhaupt nichts bekannt.

22 Ergänzungen

  1. Dann isses doch mal wieder Zeit, dass Netzpolitik ein HowTo für anonyme prepaid simkarten veröffentlicht. ;)

    BTW: das mag zwar wieder regionalisiert sein, aber wenn sowas in Berlin passiert, hat das zum Glück doch meist mehr Einfluss und Bandbreite als in jeder anderen Stadt.

  2. Hi,

    nur eine kleine Ergänzung zu den Benachrichtigungen. Im Prinzip sind die in der StPO zwingend vorgesehen, siehe

    http://dejure.org/gesetze/StPO/101.html

    Das Dilemma der Polizei ist nur, dass die nach einer nichtindividualisierten FZA zunächst mal nur IMEI, IMSI und Telefonnummer haben, aber noch keine Namen. Die Namen werden erst in einem zweiten Schritt mit der sog. Bestandsdatenabfrage (ohne Richtervorbehalt übrigens) beim Provider erhoben, und zwar (hoffentlich) nicht bei allen Datensätzen, sondern nur bei den „interessanten“ – was letztlich die Beamten ziemlich frei entscheiden, eben weil sie keinen Richter fragen müssen.

    Wenn es nun aber ans Benachrichtigen geht, müssten die Beamten für die Handys, zu denen sie noch keinen Namen haben, eigens eine Bestandsdatenabfrage starten – mit anderen Worten: Sie müssten einen neuen Grundrechtseingriff vornehmen, um über den ersten informieren zu können. Das ist nicht nur unschön – ich denke sogar, dass es dafür derzeit gar keine Rechtsgrundlage gibt. Denn die Information als solche dient ja nicht mehr dem Zweck der Verfolgung von Straftaten, zu dem eine Bestandsdatenabfrage gemäß § 113 Abs. 1 TKG zulässig ist:

    http://dejure.org/gesetze/TKG/113.html

    So scheint es auch der Gesetzgeber gesehen zu haben, der in § 101 Abs. 4 StPO (s.o.) geregelt hat:

    „Nachforschungen zur Feststellung der Identität einer in Satz 1 bezeichneten Person sind nur vorzunehmen, wenn dies unter Berücksichtigung der Eingriffsintensität der Maßnahme gegenüber dieser Person, des Aufwands für die Feststellung ihrer Identität sowie der daraus für diese oder andere Personen folgenden Beeinträchtigungen geboten ist.“

    Anders liegt es natürlich bei denjenigen, deren Namen die Polizei sowieso schon erhoben hat. Hier dürfte man sich der Benachrichtigungspflicht eigentlich kaum entziehen können – dass es trotzdem oftmals unterbleibt steht auf einem anderen Blatt.

    Viele Grüße!

    1. In Dresden hat die Polizei mehr als 40.000 Stammdaten eingeholt, also Name und Anschrift. Und trotzdem keine einzige Betroffene benachrichtigt.
      Ich würde ja mal annehmen, dass auch in Berlin nicht wenige Stammdaten eingeholt werden, sonst kann man die ja nur untereinander abgleichen, man will das ja aber auch mit anderen Datenbanken tun.

      Bei Rufnummern, wo man keine Anschrift hat, könnte man ja eine SMS schicken :)

      1. Wie gesagt, wenn die Namen erhoben wurden, muss im Prinzip auch benachrichtigt werden. Das Problem ist allerdings, dass der § 101 Abs. 4 StPO eine „Gummi-Formulierung“ enthält, die man so auslegen kann, dass man von einer Benachrichtigung absehen kann, wenn sich das Verfahren nicht gezielt gg. den Betroffenen gerichtet hat … was bei der nichtindividualisierten FZA natürlich immer der Fall ist. Zufall?

        Die Anregung mit der SMS ist übrigens wirklich gut! Man könnte auch ein Token / eine Short-URL verschicken, mit der von einem Polizei-Server eine personalisierte Benachrichtigung heruntergeladen werden kann … man muss nur wollen. Und die beste Benachrichtigung ist aus Sicht der Behörde eben eine unterlassene, sonst klagt am Ende noch jemand.

        Wer hat da effektiver Rechtsschutz gesagt, Art. 19 Abs. 4 GG?

        Viele Grüße

      2. @vieuxrenard Token-URL ist schon wieder viel zu technisch. Man könnte auch einfach anrufen. Aber meine Vermutung, warum man das nicht machen will, steht ja bereits oben im Artikel: Dann würden sich ja ganz normale Menschen über den konkreten Fall und Gesetze wie die Vorratsdatenspeicherung unheimlich aufregen.

  3. @Horst
    Ich schlage die Funklochsimulation vor. Was das ist? Das Handy in Silberfolie einwickeln. Es geht kein Senden und Empfang mehr also auch keine Ortung. Wenn es dringend gebraucht wird einfach aus wickeln.

    Es ist schon ein starke Stück was da gemacht wird und alles Erfolglos. An statt Brandstifter werden jetzt Handys gejagt. Als Strafe wird dann wohl der Akku nicht mehr aufgeladen.

    1. Wenn man sich vorstellt, dass es Menschen gibt, die das Handy auch für den eigentlichen Zweck benutzen*, aber nicht wirklich die optimale Lösung, oder?

      *zur Erinnerung: Damit telefonieren (ginge auch anders) bzw unterwegs erreichbar sein.

    2. Soso. Person X war also in der Nähe des Tatorts, auch wenn er da wohnt. Und hatte kein lokalisierbares Handy dabei. Seeehr verdächtig, den sollten wir uns genauer ansehen.

  4. @Klaus

    Lol, dafür gibt’s doch einen Flugzeugmodus. Ich empfehle immer in diesen zu schalten, wenn das Handy grade nicht gebraucht wird, sowohl aus gesundheitlichen, als auch aus Datenschutzgründen. Wenn man ein SMS-, Telefon-, oder Facebook/Twittersuchti ist, fällt das aber natürlich schwer.

  5. Bezüglich der weiteren Recherche sehe ich vor allem unsere Volksvertreter_innen in den Länderparlamenten der Pflicht. Deutschlandweit muss über das Instrument der Anfrage Auskunft verlangt werden. Wenn diese nicht von alleine auf die Idee kommen, sollten Anrufe und E-Mails ihnen auf die Sprünge helfen.

  6. Puh, zum Glück habe ich noch eine dieser nicht personalisierten Aldi-Prepaid-Talk-Karten. Sind ja unterdessen richtig Gold wert die Dinger.

    1. Da kannste auch einfach in ein beliebiges Internetkaffee gehen und dir ne Lebara-Mobile Karte kaufen. Da fragt dich auch keiner nach deinem Namen.

  7. Ich habe bei Einführung der Vorratsdatenspeicherung damals mein Handy abgeschafft, und ich freue mich seither immer wieder darüber, es gemacht zu haben.
    Im übrigen wollte ich auch denn keines mehr haben, selbst wenn die Sicherheit meiner Daten wieder gewährleistet wäre. Es ist purer Luxus nicht immer erreichbar zu sein.
    Aber sicherlich wird unserem Überwachungsstaat bald was neues einfallen, implantierte Wanzen bei allen seinen Bürgern oder ähnliches. Der Anfang ist ja gemacht mit RFID Chips auf dem Perso.

  8. Jetzt erkläre mir erstmal einer, wieso eine Funkzellenabfrage ein Beweis für irgendeine Straftat sein soll. Nicht zum Erfolg geführt? Das liegt doch schon vorher auf der Hand. So ein Blödsinn, wenn man mal darüber nachdenkt. Nichts, was auch nur irgendwie von Nutzen sein könnte für welche Anklageerhebung auch immer.

    1. Wenn etwas von Dir am Tatort gefunden wird, ist das auch kein Beweis, daß Du der Täter bist. Aber es ergibt einen Hinweis auf Dich. Das dürfte hier nicht anders sein. Niemand, der auch nur einen Lot Verstand hat, spricht von einem Beweis.
      Aber wie ich schon mehrfach hier dargelegt habe, ist dieses Argument sowieso völlig am Kern vorbei.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.