Rasterfahndung mit Handy-Daten beschäftigt den Bundestag

Polizeiliche Funkzellenabfragen seien "in Mode" gekommen und müssten dringend eingegrenzt werden, befanden Datenschützer, Richter und Anwälte bei einer Anhörung im Bundestag. Strafverfolger sehen keinen Handlungsbedarf.

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Polizeiliche Funkzellenabfragen seien "in Mode" gekommen und müssten dringend eingegrenzt werden, befanden Datenschützer, Richter und Anwälte bei einer Anhörung im Bundestag am Mittwoch. Ihrer Ansicht nach stellt die umstrittene Ermittlungsmaßnahme die Gefahr erheblicher Eingriffe in Grundrechte bis hin zur Presse- und Versammlungsfreiheit dar. Betroffene gerieten unter einen "Erklärungsdruck", der zu Einschüchterungseffekten führen könne. Eine Einschränkung oder gar die Streichung der gesetzlichen Befugnis zur Auswertung von Handy-Daten sei daher verfassungsmäßig geboten, um Rechtssicherheit herzustellen.

Mit einer Funkzellenabfrage während einer Versammlung werde quasi anhand von Mobilfunknummern eine "Anwesenheitsliste" der Teilnehmer erstellt, führte Wilhelm Achelpöhler vom Deutschen Anwaltsverein (DAV) aus. Zudem könnten durch den Abgleich mehrerer entsprechender Maßnahmen Bewegungsprofile erstellt werden. In der verfassungsmäßigen Ordnung sei kein Raum für ein solches Instrument.

Anlass für die Expertenbefragung waren Gesetzesanträge der Grünen zur "rechtsstaatlichen und bürgerrechtskonformen Ausgestaltung der Funkzellenabfrage" sowie der Linken zum Abschaffen der Maßnahme. Gemeinsam mit Achelpöhler bezeichnete der Berliner Rechtsanwalt Johannes Eisenberg den Vorstoß der Grünen als nicht ausreichend. Der Straftatenkatalog für die Erlaubnis des Instruments müsse stärker eingeschränkt, eine Weitergabe der Verbindungs- und Standortdaten untersagt werden. Ferner seien Löschungs- und Benachrichtigungspflichten einzuführen. Einen wirksamen Grundrechtsschutz verspreche der Ansatz der Linken.

Der stellvertretende sächsische Datenschutzbeauftragte Bernhard Bannasch hielt eine gesetzliche Verpflichtung zur unverzüglichen Löschung der zur Strafverfolgung nicht erforderlichen Verkehrsdaten für nötig. Dem Ermittlungsinstrument käme allgemein aber eine gewisse Bedeutung zu. Auch für Ulf Buermeyer, Richter am Landgericht Berlin, kommt trotz all der auch von ihm vorgebrachten gravierenden Bedenken
letztlich trotz aller Bedenken ein Ausstieg erst in Frage, wenn sich eine grundrechtsverträgliche Ausgestaltung als nicht machbar erwiesen hat.

Angefeuert wurde die Auseinandersetzung durch neue Zahlen aus Berlin, die der Tagesspiegel veröffentlicht hat. Bereits bekannt war, dass die Polizei in der Hauptstadt in den vergangenen Jahren in 375 Ermittlungsverfahren insgesamt 4,2 Millionen Mobilfunkverbindungen in Tatortnähe registriert hatte. Dem Bericht zufolge gab Berlins Innenstaatssekretär Bernd Krömer jüngst bekannt, dass darüber hinaus seit 2009 in mehr als 800 weiteren Verfahren bis zu acht Millionen Verkehrsdaten per Funkzellenabfragen erfasst und ausgewertet worden seien.

Der Prozentsatz sei angesichts rund 40 Millionen täglich im Mobilfunk in der Hauptstand anfallender Verkehrsdaten zwar relativ gering, hieß es weiter. Generell werte die Polizei aber zunehmend Funkzellen aus. So sei die Zahl der Abfragen von 355 im Jahr 2009 auf 541 im vergangenen Jahr gestiegen ­ ohne einen damit einhergehenden Anstieg einschlägiger Straftaten.

Der Leipziger Oberstaatsanwalt Hans Strobl räumte im Parlament zwar ein, dass ohne die Vorratsdatenspeicherung die unverzügliche Funkzellenauswertung an Bedeutung gewonnen hab. Trotzdem sei diese bislang nur als "ultima ratio" angewendet worden. Sein Münchner Kollege Robert Schnabl unterstrich, dass Strafverfolgungsbehörden die Funkzellenabfragen an den Einzelfall angepasst verantwortungsvoll und grundrechtsschonend einsetzten. Mit den von den Grünen angestrebten Bestimmungen werde ein effektiverer Grundrechtsschutz nur vorgespiegelt, aber nicht erreicht.

Der Bamberger Generalstaatsanwalt Clemens Lückemann meinte, dass die Erfordernis eines Eingreifens des Gesetzgebers anhand der "angeführten Einzelfälle" in Berlin und Dresden nicht schlüssig dargelegt sei. Aus praktischer Sicht seien die Vorschläge in Konzeption und Ausgestaltung verfehlt und formal nicht durchdacht. Die grüne Initiative würde zudem zusätzlichen Arbeitsaufwand mit sich bringen, dem kaum ein nutzbarer Ertrag gegenüberstünde. Unisono kreideten die Ankläger an, dass die Anträge aus der Opposition von einem nicht nachvollziehbaren Misstrauen gegenüber den Ermittlungsbehörden und Gerichten zeugten. (vbr)