Fehlender Kompromiss zur Vorratsdatenspeicherung:Deutschland lässt sich von der EU verklagen

In Deutschland ist weiterhin keine Einigung in der Debatte um die umstrittene Vorratsdatenspeicherung in Sicht. Der Grund liegt weniger in der Unbeugsamkeit der Regierungskoalition als in ihrer Uneinigkeit. Einem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof sieht die Bundesjustizministerin gelassen entgegen: Es sei "jede Dramatik fehl am Platz".

Heribert Prantl

Die Bundesregierung legt vorerst kein neues Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung vor und widersetzt sich damit dem Druck aus Brüssel. Sie lässt die von der EU-Kommission gesetzte Frist bis zum Donnerstag, 26. April, verstreichen. Damit dürfte in Kürze ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof gegen Deutschland wegen Nicht-Umsetzung der einschlägigen EU-Richtlinie beginnen. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sagte der Süddeutschen Zeitung: "Es gibt in der Geschichte der europäischen Integration keine andere Richtlinie, die umstrittener und problematischer ist als die Vorratsdatenspeicherung."

Das Klageverfahren sieht die Ministerin gelassen: Solche Verfahren "gehören zur Realität, insofern ist jede Dramatik fehl am Platz". Nach Informationen der SZ versucht die EU-Kommission derzeit in 74 Verfahren, ihre rechtliche Position gegen Deutschland durchzusetzen. 20 davon betreffen die Nicht-Umsetzung einer EU-Richtlinie. Unter den übrigen Verfahren ist auch die Klage der EU-Kommission gegen das VW-Gesetz.

Die deutsche Haltung zur Vorratsdatenspeicherung ist aber weniger von Unbeugsamkeit denn von Uneinigkeit gekennzeichnet. Die FDP-Justizministerin und Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) konnten sich nicht auf eine neue Regelung einigen.

Zwar hatte die Kanzlerin die Minister dazu aufgefordert, "mit neuem Schwung" Gespräche darüber zu führen. Der Schwung wurde aber zum einen dadurch gebremst, dass Leutheusser-Schnarrenberger für ihre strikte Ablehnung der Datenspeicherung auf dem FDP-Parteitag soeben als "Jeanne d'Arc der Bürgerrechte" gefeiert wurde. Zum anderen scheint sich die kräftige Befürwortung einer umfassenden Speicherung seitens des Ministers Friedrich auf die CSU-Umfragewerte günstig auszuwirken. Das heißt: Beide Seiten haben kein Interesse an einem Kompromiss - von dem weder die FDP noch die CDU/CSU, sehr wohl aber die Piratenpartei profitieren dürfte.

Vorratsdatenspeicherung steht auf wackeligem Boden

Der Streit schwelt seit zwei Jahren. Am 2. März 2010 hatte das Bundesverfassungsgericht das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung verworfen. Es handele sich um einen "besonders schweren Eingriff mit einer Streubreite, wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt", deshalb müsse dieser auch an "besonders schwere Anforderungen" geknüpft werden. Auf diese Anforderungen konnte sich die Koalition nicht einigen.

Die Justizministerin legte zwar einen Gesetzentwurf für ein sogenanntes Quick-Freeze-Verfahren vor: Auf einen vagen Verdacht hin können Daten eingefroren und bei konkreterem Verdacht aufgetaut werden. Erst sah es so aus, als würde sich Innenminister Friedrich, gedrängt von der Kanzlerin, darauf einlassen - wenn nur der Kühlschrank groß genug sei. Mittlerweile ist er davon wieder abgerückt. Er will sogar den Geheimdiensten Zugriff auf die Vorratsdaten geben, was in der EU-Richtlinie nicht vorgesehen ist.

Die Vorratsdatenspeicherung, die die EU-Kommission in Deutschland per Klage erzwingen will, steht derweil auf immer wackeligerem Boden. Das oberste Gericht Irlands hat die Sache mit vielen kritischen Fragen beim EU-Gerichtshof vorgelegt. Auch die Kommission selbst hegt Bedenken gegen die Richtlinie; sie hat in einem internen Vermerk deren Änderung für Sommer 2012 zugesagt.

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