Polizeikongress: Wer ins Internet geht, verlässt die Privatheit

Der BKA-Vizepräsident trug die Ansicht vor, dass jeder, der sich mit dem Internet verbinde, seine Privatheit verlasse und damit eigentlich der Datenspeicherung zustimme. Nahezu alle Redner forderten Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung.

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Von
  • Detlef Borchers

Auf dem Europäischen Polizeikongress wurde die Vorratsdatenspeicherung in nahezu jedem Veranstaltungsteil von den Rednern und Diskutanten gefordert. Starken Beifall erhielt der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger, als er die Haltung von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger als "nah an einer Strafvereitelung" bezeichnete. BKA-Vizepräsident Jürgen Maurer meinte: "Egal wie man diskutiert, man muss sich hier entscheiden, ob man den Ermittlungserfolg will oder nicht." Als mögliche Lösung des Problems sei vielleicht eine andere Sicht auf das Internet denkbar, die jeder Bürger verinnerlichen müsse: "Wer im Internet ist, hat die Privatheit verlassen." Dementsprechend sei die Speicherung der IP-Adressen dann nicht problematisch.

Zu den prominenten Befürwortern der Vorratsdatenspeicherung zählt auch Thomas Oppermann, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundesfraktion. Er meinte, dass Deutschland mit einer sehr restriktiven Regelung der Vorratsdatenspeicherung die Chance habe, die Debatte in Europa zu beleben und damit auf andere Staaten einen mäßigenden Einfluss haben könnte. Spätestens mit der drohenden Geldstrafe der EU-Kommission werde die Debatte zur Vorratsdatenspeicherung schnell vorbei sein, weil diese Zahlungen dem wählenden Steuerzahler nicht zu vermitteln seien.

Eine Entscheidung der Europäischen Union in dieser Frage scheint unmittelbar bevorzustehen. Auf dem Polizeikongress wurde bekannt, dass der Europäische Gerichtshof Mitte Januar eine Fristverlängerung der deutschen Antwort in dem Verfahren gegen Deutschland abgelehnt hat. Die deutsche Antwort muss nun zum 25. Februar erfolgen. Als Streithelfer hatten Griechenland und Irland, die Niederlande sowie die Slovakische Republik beantragt, ihre jeweiligen Streithilfeschriftsätze mit einer verlängerten Frist erst zum 18. März 2013 einreichen zu dürfen.

Maurer erklärte den Zuhörern eindringlich das Dunkelfeld-Problem beim Cybercrime. Anders als in gängigen Deliktsbereichen habe das Bundeskriminalamt keine belastbaren Zahlen zur Einschätzung von Cybercrime-Verbrechen in Deutschland. "Die Ausmaße des Dunkelfeldes sind nicht einmal in Umrissen erahnbar." Von der Zahl der im Jahre 2011 in Deutschland registrierten 60.000 Cybercrime-Fälle könne nicht auf die Gesamtzahl der Verbrechen geschlossen werden. Auch Prognosen zur künftigen Entwicklung seien schwierig: "Die Innovationskraft der Kriminellen ist derartig hoch, dass Sicherheitsverbesserungen (wie die Einführung der iTAN beim Online-Banking) nur eine zeitlich begrenzte Reichweite haben", erklärte Maurer. Als hochgefährlichen Trend nannte er den zunehmend sorglosen Umgang der Deutschen mit Twitter. Der Kurznachrichtendienst sei das ideale Werkzeug für Social Engineering. Wenn ein Krimineller bei seinem Opfer eine Vertrauensbasis erarbeitet habe, könne er einen Link schicken und über eine Drive-By-Infection jedes gewünschte Schadprogramm schicken.

Eindringlich warnte Maurer die Medien davor, den Hacktivismus positiv zu schildern oder gar von einer Ethik der Hacker zu schreiben. Jeder Angriff sei eine Straftat, egal welche Motive hinter dem Angriff stünden. Wer Protestaktionen wie die zur Schließung von kino.to gutheiße, verkenne, dass keine Kriminalitätsform akzeptierbar sei. Ausdrücklich wandte sich Maurer dagegen, die mangelnde Anzeigenbereitschaft der Industrie nach Cyberangriffen auf eigene Server zu kritisieren. Hier müssten sich erst vertrauenswürdige Zirkel etablieren. Insgesamt müsse sich die Gesellschaft stärker damit auseinandersetzen, dass Cybercrime zum Alltag wird, und einen Diskurs darüber führen, welche Sicherheit in welchen Bereichen gewollt sei. (anw)