Bundestag will faulen Bestandsdaten-Kompromiss durchpeitschen

Bereits am Donnerstag will die Bundesregierung mit Beihilfe der SPD eine eindeutig verfassungswidrige Änderung des Telekommunikationsgesetzes durch den Bundestag peitschen. Es geht um die Zugriffsrechte des Staates auf Bestandsdaten. Bestandsdaten sind die bei Telefon-, Mobiltelefon-, E-Mail- und Internetzugangsanbietern ständig gespeicherten Kundendaten. Dazu zählen Name, Anschrift, Geburtsdatum, Rufnummer, Kontoverbindung, aber auch PIN und Passwörter sowie unser elektronisches Adressbuch. Im Februar 2012 hat das Bundesverfassungsgericht das rot-grüne Gesetz zur Datenauskunft nach einer erfolgreichen Verfassungsbeschwerde des Kieler Piraten-Fraktionsvorsitzenden Patrick Breyer für verfassungswidrig erklärt. Die Piratenfraktionen von Berlin, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein haben einen gemeinsamen Antrag gegen das Gesetzesvorhaben eingebracht. Die Expertenanhörung des Bundestages wurde von Protesten der Piratenpartei begleitet. Für den Beschluss dieses weitreichenden Gesetzes am Donnerstag im Bundestag sind lediglich dreißig Minuten vorgesehen.

Bei einer Expertenanhörung im Innenausschuss wurden massive Bedenken geäußert in Hinblick auf Daten- und Grundrechtsschutz. Die Regierungskoalition hat zusammen mit der SPD einen Änderungsantrag vorgelegt. Den PIRATEN gehen die vorgeschlagenen Änderungen nicht weit genug, da zahlreiche verfassungsrechtlich problematische Inhalte unangetastet bleiben. Wir haben uns die Änderungen im Detail angeschaut und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass der Gesetzentwurf auch nach den Änderungen verfassungswidrig bleibt und daher keinesfalls so durch den Bundestag kommen darf – genau dies beabsichtigen jedoch die Vertreter von Union, FDP und SPD!

Ordnungswidrigkeiten und Bagatelldelikte

Eine Datenauskunft soll auch bei einfachen Ordnungswidrigkeiten und Bagatelldelikten möglich sein. Ordnungswidrigkeiten sind geringfügige Rechtsvergehen, die für gewöhnlich nur mit einem Bußgeld geahndet werden. Ein Zugriff auf Bestandsdaten bei Bagatelldelikten ist eindeutig nicht verhältnismäßig. Ebenso ist eine Abfrage von IP-Adressen bei Bagatelldelikten oder Verdacht auf eine Ordnungswidrigkeit nicht gerechtfertigt.

IP-Adressen ohne besonderen Schutz

IP-Adressen sollen auch bei Bagatelldelikten herausgerückt werden, ganz ohne Richtervorbehalt oder sonstige Sicherheitsmechanismen gegen Missbrauch oder Willkür. Da die Anfragen zukünftig über eine elektronische Schnittstelle laufen sollen, besteht der begründete Verdacht, dass die Zahl der Anfragen in Zukunft rapide zunehmen wird. Dabei kommt IP-Adressen aus Datenschutzsicht spätestens seit der flächendeckenden Einführung von IPv6 mit der Möglichkeit statischer IP-Adressen eine größere Bedeutung zu. Der Bundesdatenschutzbeauftragte hat in der Expertenanhörung des Innenausschusses daher zu Recht gefragt, wie es um den Schutz der privaten Daten bestellt ist, wenn zukünftig in einem »Internet der Dinge« nicht nur mein Rechner über eine IP-Adresse verfügt, sondern auch meine Waschmaschine, mein Fernseher und meine Kaffeemaschine über eine unverwechselbare IP-Adresse mir zugeordnet werden können.

Richtervorbehalt mit Vorbehalt

Der Entwurf sieht vor, dass lediglich bei einer Abfrage von Passwörtern und elektronischen Zugangsdaten (PIN und PUK) ein Richter vor der Datenherausgabe der Abfrage zustimmen muss. Ein umfassender Richtervorbehalt ist also auch im faulen Kompromissentwurf von SPD, Union und FDP nicht vorgesehen. Der Richtervorbehalt kann darüber hinaus bei vielen Fällen einfach umgangen werden. Ebenso kann bei »Gefahr in Verzug« auf eine richterliche Vorabprüfung verzichtet werden, wobei diese Begründung zunehmend inflationär verwendet wird, um gesetzliche Schutzvorgaben zu umgehen. Ebenso ist bei Beschlagnahmungen keine richterliche Prüfung vorgesehen.

Benachrichtigung und Maulkorb für Anbieter

In Artikel 1 Absatz 4 heißt es: »Über das Auskunftsersuchen und die Auskunftserteilung haben die Verpflichteten gegenüber den Betroffenen sowie Dritten Stillschweigen zu wahren.« Das bedeutet, dass auch nicht erfolgreiche Auskunftsersuchen der Maulkorb-Regelung unterliegen und Anbieter weder Kunden noch die Öffentlichkeit informieren dürfen. Der neue Entwurf sieht vor, dass eine Benachrichtigung zukünftig auch dort unterbleiben kann, wo die Ländergesetze kein Stillschweigen vorsehen (z. B. bei Suizidgefahr oder Vermissten). Ohne eine Benachrichtigung haben Betroffene jedoch kaum eine Möglichkeit, sich rechtlich im Nachhinein zu wehren. Im Vergleich zum Ursprungsentwurf wurde die Benachrichtigungspflicht ausgeweitet, ist jedoch immer noch mangelhaft – die Benachrichtigung kann stark zeitverzögert erfolgen oder ganz ausbleiben, wenn »überwiegende schutzwürdige Belange« Dritter dem entgegenstehen.

In den USA sorgten erst kürzlich Gesetze, die Telekommunikationsanbietern bei Strafandrohung verboten, über Anfragen und Auskünfte zu berichten, für öffentliche Aufmerksamkeit. Eine Klage gegen die »Maulkorb-Klausel« bei den »National Security Letters« hatte Erfolg. Telekommunikationsanbietern war auch hier grundsätzlich verboten worden, über das Ausmaß von Anfragen der Geheimdienste und Behörden zu berichten. Ein Gericht urteilte nun, dass hier ein klarer Eingriff in die Meinungsfreiheit vorliegt, die Electronic Frontier Foundation begrüßte den Erfolg der Klage.

BKA als Internetpolizei

Das BKA hat in den letzten Jahren zahlreiche Zugriffsbefugnisse bei Telekommunikationsdaten bekommen. Hierdurch wandelt sich der Aufgabenbereich des BKA zunehmend zu einer Zentralstelle für Datenabfragen. Es ist zu befürchten, dass das BKA als Internet-Polizei neue Befugnisse bekommt, die ursprünglich nicht vorgesehen waren. Das BKA darf keine Daten-Drehscheibe für private Daten der Bürgerinnen und Bürger werden. Genau dieser Weg wird in der Gesetzgebung jedoch derzeit konsequent mittels einer Salami-Taktik beschritten und die Bestandsdatenauskunft ist nur ein weiterer Schritt in Richtung eines BKA als umfassend zugriffsberechtigte Internet-Polizei.

Geheimdienste außer Kontrolle

Geheimdienste sollen auch ohne Richtervorbehalt auf Daten zugreifen dürfen, müssen sich dies jedoch von der parlamentarischen Kontrollkommission absegnen lassen. Dabei haben gerade der NSU-Skandal und die im Rahmen der Aufarbeitung ans Tageslicht gekommenen Unregelmäßigkeiten gezeigt, dass eine parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste derzeit nicht gewährleistet werden kann. Im Zuge der Anti-Terror-Datei und anderer grundrechtlich problematischer Gesetze wird die grundgesetzlich gebotene Trennung zwischen Geheimdiensten und Strafverfolgungsbehörden zunehmend aufgeweicht. Ein kaum kontrollierter Zugriff der Geheimdienste auf sensible Daten kann daher als Hintertür angesehen werden, um auch andere Behörden mit Daten zu versorgen. Ein Zugriff der Geheimdienste auf diese Daten sollte daher grundsätzlich abgelehnt werden.

Elektronische Schnittstellen

Laut Entwurf sollen Telekommunikationsanbieter auf eigene Kosten bei Abfragen Daten an die Behörden herausgeben. Hierdurch werden auch die Kosten nicht von den abfragenden Behörden, sondern über die Telekommunikationsanbieter auf die Kunden umgelegt. Anbieter, die mehr als 100.000 Kunden haben, sollen darüber hinaus eine elektronische Schnittstelle einführen, die automatisierte Abrufe der Behörden ermöglicht. Die Anbieter sollen dabei selbst darüber wachen, dass die Abfragen gerechtfertigt und zulässig sind – was sie aber kaum leisten können. Dies kann im Zweifel ausschließlich ein Richter entscheiden. Formell sind die anfragenden Behörden dafür verantwortlich, dass die Anfrage ihre Richtigkeit hat, doch in Fällen, in denen kein Richtervorbehalt vorgesehen ist, ist zu bezweifeln, dass eine derartige Überprüfung systematisch stattfindet.

Fazit: Neues Überwachungsgesetz

Abschließend ist daher festzustellen: Der Gesetzentwurf ist und bleibt auch nach den Änderungen weiterhin grob fahrlässig und verfassungswidrig. Sollte das Gesetz tatsächlich sowohl den Bundestag als auch den Bundesrat in dieser Form passieren, ist der nächste Gang nach Karlsruhe vorprogrammiert. Im Bundesrat werden sich die Abgeordneten der Landesregierung Schleswig-Holstein aufgrund eines erfolgreichen Antrags der Piratenfraktion gegen den Antrag aussprechen. Wir hoffen auf weitere Abweichler, die den verfassungsfeindlichen Kurs von Union, FDP und SPD nicht mittragen wollen. Schließlich zeigt die Erfahrung, dass derartigen Zugriffsbefugnissen stets eine Ausweitung eben dieser auf Schritt und Tritt folgt. Mit elektronischen Schnittstellen wachsen auch die Begehrlichkeiten, diese systematisch zu nutzen.
Wir bitten darum, die Abgeordneten der Fraktionen per Mail, Telefon oder über abgeordnetenwatch.de zu kontaktieren und sie darum zu bitten, von der Zustimmung zu einem eindeutig verfassungswidrigen und die Grundrechte der Bürger einschränkenden Überwachungsgesetz abzusehen.

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Katharina Nocun // @kattascha
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