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Vorratsdatenspeicherung: Bürgerrechtler zerpflücken Stellungnahme des Generalanwalts am EuGH (17.3 Drucken E-Mail

 Im Vorfeld der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über die Vorratsspeicherung aller Verbindungsdaten übt der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung massive Kritik an der Stellungnahme[1] des Generalanwalts Cruz Villalón. Dessen Empfehlung, die monatelange Speicherung aller unserer Verbindungsdaten mit geringfügigen Einschränkungen aufrechtzuerhalten, verstehe den Begriff der Datenverarbeitung falsch und lasse eine "ausreichende Würdigung der weitreichenden Auswirkungen einer flächendeckenden Vorratsdatenspeicherung auf die Meinungs- und Informationsfreiheit im Netz vermissen".

Drei Hauptkritikpunkte an dem Gutachten des Generalanwalts nennt die 29-seitige Stellungnahme[2] des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung an den Europäischen Gerichtshof:

  1. Die EU dürfe zwar Wettbewerbsverzerrungen im Telekommunikationsmarkt entgegenwirken. Die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung habe aber "zu einem weit größeren Flickenteppich an nationalen Gesetzen geführt als sie ohne die Richtlinie existiert hätten". Zur Marktharmonisierung genüge es, nationale Gesetze zur verdachtslosen Vorratsdatenspeicherung EU-weit zu verbieten oder an eine staatliche Kostenerstattung zu koppeln. Ein EU-weiter Zwang zur Vorratsdatenspeicherung selbst in Staaten, in denen dieses Mittel von Parlamenten, Bevölkerung und Verfassungsgerichten abgelehnt werde, lasse sich mit der rein wirtschaftlichen Kompetenz der EU zur "Marktharmonisierung" nicht rechtfertigen.
  2. Die verdachtslose Aufzeichnung jedes Telefon- und E-Mail-Kontakts einschließlich des Standorts mobiler Geräte, bloß weil die Informationen für mögliche zukünftige Ermittlungen nützlich sein könnten, sei keineswegs ein "vollkommen legitimes Ziel" und als "erforderlich anzusehen", wie der Generalanwalt schreibe. Internationale Kriminalitätsstatistiken belegten, dass Staaten mit Hilfe gezielter Instrumente wie dem verdachtsbezogenen Aufzeichnen von Daten Straftaten ebenso wirksam verfolgten. Es gebe es nicht einen einzigen EU-Mitgliedstaat, in dem die verdachtsunabhängige und wahllose Vorratsdatenspeicherung einen statistisch signifikanten Einfluss auf die Begehung oder Aufklärung von Straftaten gehabt habe.
  3. Verstoße die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung jedenfalls in ihrer gegenwärtigen Fassung gegen die Grundrechte, dürfe sie keinesfalls dennoch aufrecht erhalten werden, wie der Generalanwalt fordere. Eine solche Entscheidung würde einen "gefährlichen Präzedenzfall" schaffen und die Wirksamkeit der Grundrechte aushöhlen. Eine vollständige Ungültigerklärung sei nötig, damit sich die EU erstmals ernsthaft mit Alternativen zu einer flächendeckenden Vorratsdatenspeicherung wie dem verdachtsbezogenen Aufzeichnen von Daten befassen könne.

Uli Breuer vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung kommentiert: "Die verdachtsunabhängige und wahllose Vorratsdatenspeicherung ist die am tiefsten in die Privatsphäre eingreifende und unpopulärste Überwachungsmaßnahme, die die EU bis heute hervorgebracht hat. Die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung verpflichtet alle EU-Staaten zur wahllosen Erfassung und Sammlung sensibler Informationen über soziale Kontakte (einschließlich Geschäftsbeziehungen), Bewegungen und das Privatleben (z.B. Kontakte zu Ärzten, Rechtsanwälten und Strafverteidigern, Betriebsräten, Psychotherapeuten, Beratungsstellen usw.) von 500 Millionen Europäern, die sich keines Fehlverhaltens verdächtig gemacht haben. Der Europäische Gerichtshof muss dem jetzt endlich ein Ende setzen! Die EU sollte Verdächtige schwerer Straftaten ins Visier nehmen, anstatt alle 500 Millionen EU-Bürger unter Generalverdacht zu stellen."

Laut Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung habe sich die verdachtsunabhängige und wahllose Vorratsdatenspeicherung "für viele Bereiche der Gesellschaft als höchst schädlich erwiesen. Sie beeinträchtigt vertrauliche Kommunikation in Bereichen, in denen Menschen berechtigterweise auf Nicht-Rückverfolgbarkeit angewiesen sind (z.B. Kontakte zu Psychotherapeuten, Ärzten, Rechtsanwälten, Betriebsräten, Eheberatern, Drogenmissbrauchsberatern und sonstigen Beratungsstellen) und gefährdet damit die körperliche und psychische Gesundheit von Menschen, die Hilfe benötigen, aber auch der Menschen in ihrem Umfeld. Dass Journalisten Informationen nicht mehr elektronisch über nicht rückverfolgbare Kanäle entgegen nehmen können, gefährdet die Pressefreiheit und beeinträchtigt damit Funktionsbedingungen unserer freiheitlichen demokratischen Gesellschaft. Eine verdachtsunabhängige und wahllose Vorratsdatenspeicherung schafft Risiken des Missbrauchs und des Verlusts vertraulicher Informationen über unsere persönlichen Kontakte, Bewegungen und Interessen. Telekommunikationsdaten sind außerdem besonders anfällig dafür, Unschuldige in den falschen Verdacht einer Straftat zu bringen und diese ungerechtfertigt strafrechtlichen Ermittlungen auszusetzen."

Der Europäische Gerichtshof hat noch keinen Termin zur Verkündung seines Urteils bekannt gegeben. Das Verfahren haben die irische Bürgerrechtsorganisation Digital Rights Ireland sowie der österreichische Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung angestrengt. In Deutschland hat das Bundesverfassungsgericht 2010 das schwarz-rote Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung gekippt, nachdem über 30.000 Bürgerinnen und Bürger dagegen Beschwerde erhoben hatten. Die aktuelle schwarz-rote Koalition ist sich uneins, ob im Fall der Aufhebung der EU-Vorgabe zur Vorratsdatenspeicherung gleichwohl eine unterschieds- und verdachtslose Vorratsspeicherung aller Verbindungsdaten wieder eingeführt werden soll. Nach Meinungsumfragen[3] wird eine verdachtslose Vorratsspeicherung aller Verbindungsdaten von einer großen Mehrheit abgelehnt. Am 12. April ist in Köln eine Demonstration gegen Massenüberwachung geplant.[4]

Nachweise:

  1. Stellungnahme des Generalanwalts im Volltext: http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=145562&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1&cid=295646
  2. Stellungnahme des AK Vorrat (englisch): http://www.vorratsdatenspeicherung.de/images/comments-ag-opinion-rev.pdf
  3. Meinungsumfragen: http://www.vorratsdatenspeicherung.de/content/view/77/180/lang,de/#Umfrage
  4. Demonstration gegen Massenüberwachung am 12. April in Köln: http://cologne.stopwatchingus.info/demo-12-april.html

Ergänzung vom 15.04.2014:

Der Europäische Gerichtshof hat unsere Stellungnahme am 1. April mit folgender Begründung zurückgeschickt: Nach Art. 23 des Statuts könnten nur die Parteien, Mitgliedsstaaten und die Kommission zur Rechtsstreitigkeiten Stellung nehmen. Die Einreichung von amicus curiae-Schriftsätzen sei nicht vorgesehen.

 
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