Streit um deutschen Alleingang bei der Vorratsdatenspeicherung

Immer mehr Unionspolitiker fordern den nationalen Alleingang bei der Vorratsdatenspeicherung, wenn sich die EU nicht auf eine Neuauflage der vom EuGH kassierten Richtlinie einigen kann.

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In den Reihen von CDU und CSU mehren sich die Stimmen, die auf eine rasche Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung drängen. Im Gegensatz zu Bundesinnenminister Thomas de Maizière und dem Chef der Unionsfraktion im Bundestag, Volker Kauder (beide CDU), hat sich jetzt etwa CDU-Vize Thomas Strobl für einen baldigen deutschen Alleingang ausgesprochen. Auch bei näherer Betrachtung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) bestehe Spielraum für den nationalen Gesetzgeber, sagte der Bundestagsabgeordnete der Stuttgarter Zeitung.

Die Politik will von der schönen Vision des umfassenden Datenspeichers noch nicht lassen.

(Bild: dpa, Christian Charisius)

Die Luxemburger Richter hatten die EU-Vorgaben zur Vorratsdatenspeicherung für unverhältnismäßig und unvereinbar mit der europäischen Grundrechte-Charta erklärt. Sie bemängelten, dass sich die Richtlinie "generell auf alle Personen und alle elektronischen Kommunikationsmittel sowie auf sämtliche Verkehrsdaten erstreckt, ohne irgendeine Differenzierung, Einschränkung oder Ausnahme anhand des Ziels der Bekämpfung schwerer Straftaten vorzusehen".

Das Urteil verdamme die Politik "keineswegs zur Untätigkeit", meint Strobl und hält das Instrument trotzdem noch für anwendbar. Der Chef der CDU Baden-Württemberg führt den Kampf gegen sexuellen Kindesmissbrauch ins Feld und verweist dabei auf Zahlen der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Allein in Nordrhein-Westfalen hätten demnach aufgrund fehlender Verbindungsdaten in den vergangenen drei Jahren bei 1020 Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Kinderpornografie in 268 Fällen die Täter nicht ermittelt werden können. Vor dieser Realität dürfe der Gesetzgeber nicht die Augen verschließen.

Vorratsdatenspeicherung

Ähnlich äußerte sich der Innenexperte der Unionsfraktion, Stephan Mayer, gegenüber dem Berliner Tagesspiegel. Der CSU-Politiker erwartet zwar einen zweiten EU-Vorstoß zur Vorratsdatenspeicherung nach der Europawahl und eine neue EU-Richtlinie binnen zwei Jahren. Wenn der politische Wille oder die erforderliche Mehrheit dazu aber fehlten, "dann müssen wir eben doch auf nationaler Ebene eine Lösung suchen".

Der baden-württembergische Innenminister Reinhold Gall (SPD) machte sich im Deutschlandfunk dafür stark, die immer wiederkehrende Diskussion über die Vorratsdatenspeicherung in seiner Partei erneut zu führen. Es sei dabei "abzuwägen zwischen den berechtigten Anliegen der Bürger, sicher zu leben, mit den Freiheitsrechten".

Ganz könne der Staat auf die Vorratsdaten nicht verzichten, meint der Sozialdemokrat: "Wir haben gegenwärtig eine offene Flanke in der Verbrechensbekämpfung und der Verbrechensabwehr". Zugriffe dürften aber nur "in besonderen Einzelfällen aus einem begründeten Anlass heraus zur Verfolgung schwerer Straftaten auf eine richterliche Anordnung" hin erfolgen. Der SPD-Vize Ralf Stegner hatte seiner Partei dagegen gerade empfohlen, auf das Instrument angesichts der von Luxemburg aufgezeigten sehr engen Grenzen ganz zu verzichten.

Die Opposition bleibt bei ihrer Forderung, die Vorratsdatenspeicherung endlich und endgültig einzumotten. Das EuGH-Urteil sage "eindeutig und klar", dass die Vorratsdatenspeicherung mit den Grundrechten nicht zu vereinbaren sei, betonte der Bundesgeschäftsführer der Linken, Matthias Höhn. Jan Philipp Albrecht, innenpolitischer Sprecher der Grünen im EU-Parlament, warf führenden Politiker aus Union und SPD vor, die Luxemburger Ansage "immer noch nicht verstanden" zu haben. Eine anlasslose Datenspeicherung sei damit unvereinbar.

Der Vize der grünen Bundestagsfraktion, Konstantin von Notz, kündigte an, dass Abgeordnete der Gruppierung gegen einen neuen deutschen Vorstoß vors Bundesverfassungsgericht ziehen wollten. FDP-Präsidiumsmitglied Michael Theurer bezeichnete Strobl und dessen Gesinnungsgenossen als "Geisterfahrer auf der Datenautobahn". Sie seien "unbelehrbar", was das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung betreffe.

Trotz der angeregten Debatte um das Für und Wider der Vorratsdatenspeicherung vermisst die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ) derweil mahnende Stimmen, die klar eine Neuregelung fordern. Den Grund dafür sieht sie in der Abschirmung des Internets vor angeblicher "Überwachung". Nur wenige Politiker trauten sich, gegen diese Linie zu argumentieren. Verantwortlich dafür seien "Netzaktivisten, die beim Ruf nach Freiheit und Bürgerrechten die Leute vergessen, die über Leichen surfen". (vbr)