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Mobilfunk Die Vorratsdatenspeicherung ist längst da

Die Vorratsdatenspeicherung ist ausgesetzt? Von wegen. Auch ohne gültiges Gesetz speichern Provider viele Mobilfunkdaten bis zu sechs Monate. Der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Schaar spricht von "exzessiven Speicherungen".
Vodafone-Zentrale in Düsseldorf: Verbindungsdaten bis zu sechs Monate vorrätig

Vodafone-Zentrale in Düsseldorf: Verbindungsdaten bis zu sechs Monate vorrätig

Foto: © Ina Fassbender / Reuters / REUTERS

In wenigen Wochen dürfte der Bundestag mit den Stimmen der Großen Koalition eine Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung beschließen. Das umstrittene Gesetz soll Provider verpflichten, Verbindungsdaten von Telefonaten und IP-Adressen für zweieinhalb Monate zu speichern, Standortdaten von Mobiltelefonen dürfen vier Wochen lang nicht gelöscht werden .

Angeblich schließt das Gesetz eine Lücke. Die Wahrheit ist aber: Zumindest beim Mobilfunk ist die Vorratsdatenspeicherung (VDS) schon längst da. Und die Daten werden häufig bis zu sechs Monate lang gespeichert.

Dabei hatte das Bundesverfassungsgericht die Speicherung 2010 für verfassungswidrig erklärt . Nun zeigt sich: Im Mobilfunkbereich speichern die drei Netzbetreiber Telekom, Vodafone und Telefónica Daten teilweise genauso lange wie mit dem alten VDS-Gesetz. Durch Abrechnungsverträge, die die Netzbetreiber untereinander schließen, bleiben viele Verbindungsdaten bis zu sechs Monate bei den Unternehmen gespeichert. Ermittler können darauf genauso zugreifen wie auf Vorratsdaten .

Das Telekommunikationsgesetz (TKG)  erlaubt es den Netzbetreibern, Verbindungs- und Standortdaten für ihre Abrechnungen zu speichern. Den Kunden, die für jede Gesprächsminute oder SMS zahlen, müssen die Unternehmen schließlich regelmäßig Rechnungen stellen. Konkrete Fristen schreibt das TKG nicht vor, stattdessen ist eine Speicherung "soweit erforderlich" zulässig.

"Eine geradezu exzessive Speicherung"

Was "erforderlich" ist, interpretieren die Mobilfunk-Netzbetreiber nach Informationen von SPIEGEL ONLINE höchst unterschiedlich. Bei Gesprächen im eigenen Netz speichert die Telekom Verbindungsdaten eigenen Angaben zufolge nie länger als 80 Tage nach Rechnungsversand. Deutlich mehr Zeit lässt sich Vodafone. Rufen sich hier zwei Mobilfunk-Kunden untereinander an, bleibt das bis zu sechs Monate im System. Auch Standortdaten speichert der Konzern häufig bis zur Rechnungserstellung.

Ausnahmen macht Vodafone nicht einmal bei pauschal abgerechneten Flatrates. "Das ist eine geradezu exzessive Speicherung, die aus meiner Sicht weder gerechtfertigt noch durch das Gesetz gedeckt ist", sagt der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar. Allein Vodafone hat über 30 Millionen Mobilfunk-Kunden.

Foto: SPIEGEL ONLINE

Als Schaar 2012 noch im Amt war, erarbeiteten er, die Bundesnetzagentur und die Netzbetreiber einen Leitfaden dafür , was "soweit erforderlich" konkret heißt. Insbesondere im Bereich der sogenannten Interconnections tat sich danach nichts. Interconnection-Verbindungen  sind diejenigen, bei denen Kunden nicht im eigenen Netz telefonieren, also beispielsweise ein Telekom- einen Vodafone-Kunden anruft. Auch hier speichern alle drei Netzbetreiber weiterhin Verbindungsdaten bis zu sechs Monate.

Auch Gespräche von Billigmarken der Netzbetreiber in andere Netze sind Interconnections. Solche Verbindungen von Netz zu Netz stellen sich die Netzbetreiber gegenseitig in Rechnung und speichern dafür die Verbindungsdaten ihrer Kunden.

Kleinere Mobilfunkanbieter

Der deutsche Mobilfunkmarkt ist seit Jahren hart umkämpft: Insgesamt bieten über 150 Marken Verträge an. Zu unterscheiden ist zwischen Netzbetreibern, deren Tochtermarken und sogenannten Service-Providern. Die Mobilfunk-Netze werden nur von der Telekom, Vodafone und Telefonica betrieben. Um mit Mobilfunk-Discountern mithalten zu können, haben sie jedoch diverse Tochtermarken eingeführt. Die bekanntesten sind Congstar (Telekom), Otelo (Vodafone) und Fonic (Telefonica). Service-Provider nutzen hingegen fremde Netze und kaufen sich dazu Kontingente bei den Netzbetreibern ein. Die größten Service-Provider sind Freenet (mobilcom debitel), United Internet (1&1) und Drillisch (simply).

Das Problem ist in der Branche bekannt. Die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff wollte bei einer Novelle des TKG eine Speicherfrist von drei Monaten für Interconnections einführen. "Leider wurde eine entsprechende Änderung im parlamentarischen Verfahren wieder gekippt", sagte ihre Sprecherin. Der Rahmenvertrag der Telekom , an dem sich die Branche bei Interconnections orientiert, beinhaltet bis heute die sechsmonatige Frist. 2013 kündigten die Bonner an, die Verträge zu prüfen. Zuletzt habe aber die Bundesnetzagentur eine Änderung der Verträge verhindert, so ein Telekom-Sprecher.

Verbindungsdaten bis zu sechs Monate vorrätig

Mobilfunk-Kunden in Deutschland müssen daher davon ausgehen, dass ihre Verbindungsdaten bis zu sechs Monate vorrätig sind - an der Nummer ist schließlich nicht zu erkennen, in welches Netz man gerade telefoniert.

Telefónica und Vodafone räumten ein, die Vorgaben aus dem Leitfaden erst 2016 vollständig umsetzen zu können - vier Jahre nach Verabschiedung des Papiers. Schaar kritisiert die Provider dafür scharf, zumal diese um den Leitfaden gebeten hatten. "Wenn Provider sich an diese Vorgaben nicht halten, handeln sie rechtswidrig", sagte Schaar. Das Gesetz verlange, Daten frühestmöglich zu löschen.

Die Praxis wirft die Frage auf, wie viele Daten Strafverfolgern ohne Vorratsdatenspeicherung tatsächlich fehlen. Die Sprecherin von Voßhoff fordert daher zunächst eine Überprüfung, anstatt eine "derart eingriffsintensive und grundrechtlich höchst fragliche Maßnahme" wie die Vorratsdatenspeicherung einzuführen.

Dazu dürfte es aber nicht mehr kommen. Aus Berlin heißt es, bereits zum 1. Januar 2016 könnte die Vorratsdatenspeicherung wieder eingeführt werden.

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