Gericht pocht auf umfassende Entschädigung für TK-Überwachung

Das Berliner Verwaltungsgericht hat im Fall des Abhörens von Auslandsverbindungen Ausgleichzahlungen auch bereits für Investitionskosten für Überwachungsinfrastrukturen angemahnt, was sich als Sprengstoff für die Vorratsdatenspeicherung entpuppen könnte.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 72 Kommentare lesen
Lesezeit: 5 Min.

Neuer juristischer Sprengstoff für die im Raum stehende Vorratsspeicherung von Telefon- und Internet-Verbindungsdaten: Das Verwaltungsgericht Berlin hat in einem jetzt bekannt gewordenen rechtskräftigen Beschluss angemahnt, dass im Fall des umstrittenen Abhörens von Auslandsverbindungen eine staatliche Entschädigung auch bereits für Investitionen in die erforderliche Aufrüstung der Überwachungsinfrastrukturen fällig ist. Andernfalls würden Geschäftskundenanbieter gemäß den bestehenden Regelungen über Ausgleichszahlungen leer ausgehen. Die Entscheidung ist nach Ansicht des Verbands des Klägerunternehmens, der Initiative Europäischer Netzanbieter (IEN), auch auf die Verpflichtung zur verdachtsunabhängigen Vorratsdatenspeicherung übertragbar. Selbst die von der großen Koalition vorgeschlagenen erweiterten Entschädigungsregelungen sehen dort zum Bedauern der Industrie keine Vergütungen für nötige Investitionskosten vor.

Der Kampf des IEN-Mitglieds für eine angemessene Entschädigung der unfreiwilligen Hilfssheriffs und gegen die so genannte "Auslandskopf-Überwachung" zieht sich bereits eine Weile hin. Der Konzern hatte vor über einem Jahr mit Unterstützung der IEN, der Konzerne wie BT, Cable & Wireless, Colt Telecom, Tiscali oder Versatel angehören, das Bundesverfassungsgericht angerufen. Karlsruhe sollte direkt klären, ob und in welchem Umfang die Unternehmen für ihre Zuarbeiten bei der Bespitzelung ihrer Kunden angemessen zu entschädigen sind. Die Hüter der Verfassung verwiesen die Firma, die nicht genannt werden will, aber zunächst an die niederen Instanzen.

Das Berliner Verwaltungsgericht hat nun in einem Verfahren des so genannten vorbeugenden Rechtsschutzes festgestellt, dass der Auslandskopf-Überwachung erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken entgegenstehen. Der entsprechende Antrag des IEN-Mitglieds zur Aussetzung der Verpflichtungen richtige sich gegen eine Bestimmung zur Verschärfung der an sich bereits lange umkämpften Telekommunikations-Überwachungsverordnung (TKÜV). Demnach sollen Anbieter von Auslandsverbindungen auch Telefonate und E-Mails abhörbar machen, die über die deutschen Grenzen hinaus vermittelt werden.

Seit Januar müssen dazu laut TKÜV die Betreiber von Auslandsköpfen den bereits abhörbaren Sprachverkehr noch einmal an der "Grenzübertrittsstelle" der Netzknoten ins Ausland an die Sicherheitsbehörden übermitteln. Abzuhören ist dabei die Kommunikation von Nutzern, von denen lediglich ein bestimmter ausländischer Anschluss bekannt ist. Die betroffenen Firmen wären dem IEN zufolge durch die Auflage zu weiteren Millioneninvestitionen gezwungen worden. Dabei sei auch der Bundesregierung klar gewesen, dass die verpflichteten Telcos "in keiner Beziehung zu möglichen Tätern stehen und für die anfallenden Daten bei den Behörden kein Bedarf nachgewiesen wurde".

Die 27. Kammer des Verwaltungsgerichts untersagte es der zuständigen Bundesnetzagentur als Vertreterin des Bundeswirtschaftsministeriums nun Anfang November, vor dem rechtskräftigen Abschluss im anhängigen Hauptsacheverfahren Ordnungsmaßnahmen gegen die Antragstellerin einzuleiten. Die klagende Firma ist damit zunächst nicht gezwungen, Einrichtungen zur Umsetzung der Auslandskopf-Überwachung vorzuhalten.

"Eine Inanspruchnahme Privater für staatliche Aufgaben wurde schon in vorkonstitutioneller Zeit als jedenfalls entschädigungspflichtige Aufoperung verstanden", hat die Kammer in dem heise online vorliegenden Beschluss festgehalten. Selbst dann, wenn dem Verpflichteten eine staatlich abzuwendende Störung zurechenbar sei, stehe die Belastung des Verpflichteten mit den entstehenden Kosten auch unter der "Prämisse der Zumutbarkeit". Das Verwaltungsgericht hält es zudem für nötig, den Fall jetzt dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen. Bis zu weiteren gerichtlichen Klärungen habe die Antragstellerin die Überwachungstechnik nicht auf eigene Kosten einzurichten und bereitzuhalten, da diese aufgrund nicht ersichtlicher Schadensersatzansprüche auch bei einem Sieg im Hauptsacheverfahren nicht erstattet würden. Demgegenüber würden die Nachteile für die Ermittler bei einer Aussetzung der Auslandskopf-Überwachung durch das Unternehmen "eher gering" erscheinen. "Lückenlos" sei diese eh nicht geplant gewesen.

Dass die Regierung der Bundesnetzagentur einen Ermessensspielraum bei der Verhängung von Bußgeldern eingeräumt hat, reicht nach Ansicht des Verwaltungsgerichtes für die Rechtmäßigkeit der erweiterten Überwachungsbestimmung nicht aus. Wie bei der Vorratsdatenspeicherung sind die betroffenen Firmen laut dem IEN nämlich dazu verdonnert worden, die gesetzlich vorgeschrieben Investitionen direkt zu tätigen und die Überwachungspflicht umgehend umzusetzen. Dies gelte selbst dann, wenn wie vorliegend nicht nachgewiesen sei, dass in der Praxis überhaupt ein Bedürfnis der Behörden für die Investitionen bei Geschäftskundenanbietern besteht.

"Damit wird das gesamte Konstrukt der Vorratsdatenspeicherung und der geplanten Entschädigungsverordnung erschüttert", erläuterte IEN-Geschäftsführer Jan Mönikes die möglichen Auswirkungen des Beschlusses gegenüber heise online. Falls weiterhin keine Ausgleichszahlungen auch für Investitionen in Hard- und Software für Maßnahmen zur TK-Überwachung vorgesehen würden, dürfte die gesamte Regelung kippen. Ausnahmemöglichkeiten seien schließlich auch beim Gesetz zur Massendatenlagerung nicht vorgesehen.

Mönikes kündigte an, zumindest auf eine Härtereglung zur Entschädigung von Investitionskosten pochen zu wollen. Andernfalls würde die IEN mit ihren Mitgliedern auch die Regeln zur Vorratsdatenspeicherung von den Gerichten auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin überprüfen lassen. Zahlreiche weitere Beschwerdeführer aus der Zivilgesellschaft stehen hier bereits in den Startlöchern. Ähnlich wie die Bundesrechtsanwaltskammer und der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung rät der IEN zudem Bundespräsident Horst Köhler (CDU), das Gesetz nur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung vorerst nicht zu unterschreiben. Die Verfassungswidrigkeit des Vorhabens sei offensichtlich.

Zu Details der neuen Telekommunikationsüberwachung und der auf Vorrat gespeicherten Verbindungsdaten siehe:

Zum aktuellen Stand und der Entwicklung der Debatte um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe:

(Stefan Krempl) / (jk)