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Historische Sammel-Verfassungsbeschwerde gegen Vorratsdatenspeicherung eingereicht (29.02.2008) Drucken E-Mail

 +++ Größte Verfassungsbeschwerde in der Geschichte der Bundesrepublik eingereicht +++ Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung schlägt auf dem Platz der Grundrechte symbolisch Thesen zur Verteidigung der Grundrechte an +++

Dem Bundesverfassungsgericht wurden heute in Karlsruhe die Vollmachten von über 34.000 Bürgerinnen und Bürgern übergeben, die sich gegen die sechsmonatige Sammlung ihres Telekommunikations- und Bewegungsverhaltens zur Wehr setzen wollen. Gegen die seit 1. Januar 2008 eingeführte Überwachungsmaßnahme richtet sich damit die größte Verfassungsbeschwerde in der Geschichte der Bundesrepublik.[1] Die 102 Aktenordner und 12 Umzugskartons füllenden Vollmachten der Beschwerdeführer wurden heute für den Berliner Anwalt Meinhard Starostik beim Bundesverfassungsgericht eingereicht.

 Im Anschluss schlugen Mitglieder des Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung am Platz der Grundrechte in Karlsruhe symbolisch 17 Thesen zur Verteidigung der Grundrechte in der heutigen Zeit an. Für verschiedene Grundrechte wurde je eine These angenagelt, beispielsweise „Die Souveränität des Individuums über seine Daten ist die Voraussetzung der Wahrnehmung seiner Freiheit“. Auf weiteren Tafeln waren entgegengesetzte Äußerungen von Politikern zu lesen, etwa die Aussage der Bundeskanzlerin: „Es kann doch keinen Raum geben, in dem Terroristen sicher sein können, dass sie sich austauschen können, ohne dass der Staat einen Zugriff hat.“

Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung erklärt dazu: „Wir fordern Regierung und Parlament auf, eine unabhängige Überprüfung aller seit 1968 beschlossenen Überwachungsgesetze auf ihre Wirksamkeit und schädlichen Nebenwirkungen hin einzuleiten. Wir fordern außerdem den sofortigen Stopp neuer Gesetzesvorhaben auf dem Gebiet der inneren Sicherheit, wenn sie mit weiteren Grundrechtseingriffen verbunden sind. Dazu zählen die Überwachung von Flugreisenden, das geplante zentrale Melderegister, der biometrische und elektronische Personalausweis sowie Präventivbefugnisse des Bundeskriminalamts einschließlich staatlicher Spionage auf Privatcomputern.“

Anfang Februar hatte das Bundesverfassungsgericht den Eilantrag auf Aussetzung der gigantischen Datensammlung zunächst Bundesregierung, Bundestag, Bundesrat und den Länderregierungen zur Stellungnahme zugeleitet. Dabei fragte das Gericht unter anderem, ob es zutreffe, dass auch ohne Vorratsdatenspeicherung nur 2% der Abfragen von Verbindungsdaten erfolglos bleiben.[2] Das Bundesverfassungsgericht will noch im März über den Eilantrag entscheiden.

Eine Umfrage[3] des Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung vom Ende Januar 2008 kommt zu dem Ergebnis, dass viele Menschen seit Jahresanfang die Nutzung von Telefon, Handy, E-Mail und Internet vermeiden. In sensiblen Bereichen wie Journalismus und medizinische Beratung hat dies schwerwiegende Folgen für die Betroffenen.

Fußnoten: 

  1. Informationen zur Sammel-Verfassungsbeschwerde: http://verfassungsbeschwerde.vorratsdatenspeicherung.de
  2. Schreiben des Bundesverfassungsgerichts vom 05.02.2008: http://www.vorratsdatenspeicherung.de/images/bverfg_2008-02-05_anon.pdf
  3. Umfrage des Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung: http://www.vorratsdatenspeicherung.de/content/view/193/79/

Über uns:

Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung ist ein bundesweiter Zusammenschluss von Bürgerrechtlern, Datenschützern und Internetnutzern, der die Arbeit gegen die Totalprotokollierung der Telekommunikation koordiniert.

Weitere Informationen:

Fotos der Sammel-Verfassungsbeschwerde:
<http://wiki.vorratsdatenspeicherung.de/Aktuelle_Fotos>

Text der Sammel-Verfassungsbeschwerde:
<http://verfassungsbeschwerde.vorratsdatenspeicherung.de>

Rede auf dem Platz der Grundrechte am 29.02.2008:
<http://www.vorratsdatenspeicherung.de/content/view/202/79/>

Argumente der Befürworter einer Vorratsdatenspeicherung kritisch beleuchtet:
<http://www.vorratsdatenspeicherung.de/content/view/83/87/>

Gemeinsame Erklärung von 45 Organisationen gegen die Vorratsdatenspeicherung:
<http://www.vorratsdatenspeicherung.de/content/view/80/100/>

Diese Pressemitteilung im Internet:
<http://www.vorratsdatenspeicherung.de/content/view/202/79/>

Rede auf dem Platz der Grundrechte am 29.02.2008:

Die Verteidigung der Grundrechte geht uns alle an!

Wieder einmal ist eine Zeit für Thesen gekommen. Dieses Mal werden sie von Bürgerinnen und Bürgern angeschlagen, die im Gegensatz zu Luther weder Priester noch Professoren sind, sondern die die Verteidigung der Grundrechte zu ihrer Sache gemacht haben, ohne dazu durch Amt oder Mandat berufen oder autorisiert zu sein.

Indem wir uns selber zu Anwälten der Grundrechte gemacht haben, möchten wir daran erinnern, dass die Wahrung der Freiheitsrechte uns alle existenziell angeht. Das Bundesverfassungsgericht steht nicht allein in seinem Abwehrkampf gegen ausufernde staatliche Überwachungsmaßnahmen. Nicht dass es unserer Hilfe bedürfte, um seiner Linie treu zu bleiben. Dies zeigen die an Schärfe kaum zu überbietenden Äußerungen z.B. Udo di Fabios, der „die intellektuelle Lust am antizipierten Ausnahmezustand“ als keinen guten Ratgeber für Entscheidungen geißelte.

Damit schrieb er den Schäubles dieser Republik ins Stammbuch, dass das Bundesverfassungsgericht nicht gedenkt, der Illusion eines herbeiphantasierten Notstands als Ermächtigungsgrundlage für ein Kriegsrecht light auf den Leim zu gehen.

Gerichtsvizepräsident Winfried Hassemer konstatierte – laut SPIEGEL von dieser Woche – schon Ende vergangenen Jahres besorgt den Niedergang der „Kultur der Privatheit“ und hier muss auch das bürgerschaftliche Engagement von uns allen ansetzen. Das Bundesverfassungsgericht vermag ohne Zweifel, den Allmachtsphantasien irgendwelcher Innenminister und sonstiger Großstrategen in der Nachfolge eines Carl Schmitts Einhalt zu gebieten, aber für die Kultur einer Gesellschaft sind die Bürgerinnen und Bürger selber verantwortlich – und diese Verantwortung ist nicht zu delegieren, sondern von jedem und jeder unvertretbar wahrzunehmen.  So müssen wir heute freimütig bekennen, dass wir nicht länger schweigen können: Das Maß ist voll. Auch wir stehen hier und können nicht anders.

Mit uns wird es keinen Staat geben, in dem Flugzeuge ‚präventiv‘ abgeschossen, Bewegungs- und Kommunikationsprofile erstellt werden und heimliche Überwachungsmaßnahmen ein unbefangenes Miteinander untergraben. Es muss Schluss damit sein, dass der Staat in seiner Gesetzgebung die Grenzen der Verfassung immer wieder von neuem austestet. Die Souveränität des Menschen über seine Daten ist Voraussetzung für die Wahrnehmung seiner Freiheit. – Und diese Freiheit fordern wir mit diesen Thesen konkret ein. Auf dem ersten Bundeskongress des Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung in Kassel vom 08.-10.2.08 formulierten wir die Vision einer Kultur, in der die Privatsphäre wieder als eines der wertvollsten Güter geachtet wird – auch von aller staatlichen Gewalt.

Der heutige Anschlag dieser 17 Thesen soll eine Diskussion anstoßen, wie sich die klassischen Grundrechte und die vom Bundesverfassungsgericht ergänzten der informationellen Selbstbestimmung und der Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme in der Praxis konkret verwirklichen lassen. Schluss mit der Salamitaktik der staatlichen Instanzen, der Kernbereich privater Lebensgestaltung ist jeglicher Relativierung durch Abwägung mit anderen Interessen zu entziehen und ohne wenn und aber als unantastbar zu respektieren, wie es auch das Bundesverfassungsgericht in seiner aktuellen Entscheidung zur Online-Durchsuchung festschreibt: „Selbst überwiegende Interessen der Allgemeinheit können einen Eingriff in ihn nicht rechtfertigen“ (Abs. 271).

Der schwerwiegendste terroristische Anschlag ist derjenige auf die Integrität der Persönlichkeit – vor allem wenn er von Staats wegen durchgeführt wird.  Dagegen setzen wir die Kraft einer Freiheit, die keiner Entmündigung bedarf!

Thomas Ehlers, Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung 

 
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