Gericht: TK-Anbieter muss Vorratsdatenspeicherung voraussichtlich nicht umsetzen [Update]

Das Verwaltungsgericht Berlin sieht die Verpflichtung zur verdachtsunabhängigen Vorhaltung von Telefon- und Internetdaten ohne Entschädigung angesichts der hohen Investitionskosten für die Überwachungsmaßnahme kritisch.

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Das Verwaltungsgericht Berlin sieht die Verpflichtung zur verdachtsunabhängigen Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten ohne Entschädigung angesichts der hohen Investitionskosten für die Überwachungsmaßnahme kritisch. Die mit der Klage einer Tochter einer ausländischen Telekommunikationsfirma befasste Kammer vertrat in einer ersten Mitteilung an die Beschwerdeführer die Ansicht, dass die Auflagen für die sechsmonatige Protokollierung der Nutzerspuren in ihrer jetzigen Form unverhältnismäßig und verfassungswidrig sein könnten. Dies erklärte Jan Mönikes, Geschäftsführer der Initiative Europäischer Netzanbieter (IEN), gegenüber heise online. Die Beschwerde des IEN-Mitglieds dürften die Richter seiner Ansicht nach dem Bundesverfassungsgericht vorlegen und die Klägerin bis auf Weiteres von der Umsetzungpflicht befreien.

Laut Mönikes hat das Verwaltungsgericht in dem neuen, Mitte August eingereichten Verfügungsverfahren durchblicken lassen, dass es den Fall gleichgelagert sehe wie zuvor die von einem anderem Telekommunikationsanbieter eingereichte Klage gegen die Verpflichtung, auf eigene Kosten Technik zur Überwachung von Auslandstelefonaten installieren zu müssen. Bei dieser sogenannten Auslandskopfüberwachung betrachtete das Berliner Verwaltungsgericht die Inpflichtnahme privater TK-Dienstleister für Sicherheits- und Strafverfolgungsmaßnahmen ohne Entschädigung der beträchtlichen Kosten als nicht gerechtfertigt und rief Karlsruhe an. Angeboten werde eine "neutrale Leistung", sodass ein TK-Unternehmen nicht ungebührlich für staatliche Hoheitsaufgaben in Anspruch genommen werden dürfe.

Mönikes hatte schon im vergangenen Jahr angesichts der Linie des Gerichts bei der Auslandskopfüberwachung auf die mögliche Sprengkraft des Beschlusses für die Vorratsdatenspeicherung hingewiesen. Der Jurist rät allen Telcos, die sich im Unklaren über die Umsetzungspflichten zur Aufzeichnung der Verbindungs- und Standortdaten seien, ihrerseits zum Zug vors Verwaltungsgericht. Es sei angesichts des offensichtlichen "Sonderopfers" für die Wirtschaft davon auszugehen, dass ihre Beschwerden ähnlich eingeschätzt werden könnten und die Vorratsdatenspeicherung eventuell vorerst ausgesetzt werden dürfe.

Den Gesetzgeber sieht Mönikes einmal mehr unter Druck, rasch eine Regelung zur angemessen Kostenerstattung für die Hilfspolizeidienste der TK-Unternehmen zu erlassen. Beim federführenden Bundeswirtschaftsministerium liegen entsprechende Überlegungen aber auf Eis, da das Bundesjustizministerium und vor allem die Bundesländer Bedenken über insgesamt steigende Kosten für die Telekommunikationsüberwachung vorgebracht haben. Auch ein Vorstoß der großen Koalition aus dem Bundestag für ein Entschädigungsgesetz ist bislang noch nicht weit gekommen. Bei einer Anhörung im März sprachen sich Experten zwar dafür aus, in der geplanten gesetzlichen Neuordnung auch die Investitionskosten der Anbieter zu berücksichtigen. In den vergangenen Monaten blieb das Vorhaben aber liegen. "Wir sind dran", hieß es im Büro des SPD-Abgeordneten Martin Dörmann trotzdem auf Anfage von heise online. Noch im Herbst werde es Gespräche mit der Union und Ländervertretern geben. Ziel sei es, den Entwurf noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden.

Beim Bundesverfassungsgericht häufen sich derweil die Beschwerden gegen die Vorratsdatenspeicherung. Neben der "Massenklage" von über 34.000 Bürgern unter dem Dach eines Zusammenschlusses von Bürgerrechtlern, Datenschützern und Nutzern, der Organklage der Grünen, weiteren Eingaben von Oppositionsparteien und der Gewerkschaft ver.di, bei denen Datenschutzaspekte im Vordergrund stehen, könnten sich die Hüter der Verfassung bald auch mit den ökonomischen Gesichtspunkten der umkämpften pauschalen Überwachungsmaßnahme auseinandersetzen müssen.

Siehe dazu auch:

Zu den Auseinandersetzungen um die Terrorismus-Bekämpfung, die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe auch:

(Stefan Krempl) / (pmz)