Zum Inhalt springen

Datenskandal Telekom soll BKA mit Millionen Kundendaten beliefert haben

Aufregung um die Telekom: Das Unternehmen soll dem Bundeskriminalamt laut einem Zeitungsbericht Millionen von Kundendaten zur Verfügung gestellt haben. Die Daten seien für die Rasterfahndung nach Terroristen herausgegeben worden - ohne juristische Grundlage.

Hamburg/Berlin - Es wäre ein eklatanter Rechtsbruch: Das Bundeskriminalamt soll von der Deutschen Telekom Millionen Kundendaten ohne richterlichen Beschluss erhalten haben. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 soll das BKA laut "Frankfurter Rundschau" im Rahmen der Rasterfahndung systematisch Kundendaten der Telekom ausgewertet haben. Das Ziel: Potentielle Schläfer terroristischer Vereinigungen sollten ermittelt und gestellt werden. Das weit gefasste Raster umfasste Studenten und ehemalige Studenten islamischen Glaubens im Alter von 18 bis 40 Jahren, die aus einem von 26 als verdächtig geltenden Herkunftsländern stammen.

Das BKA dementierte die Vorwürfe am Donnerstagabend. Die Behörde habe bei der Telekom lediglich ausgewählte Mitarbeiterdaten angefragt, zu einem Abgleich der Daten sei es aber nicht gekommen.

Unter Berufung auf Telekom-Unternehmenskreise hatte die "FR" berichtet, dass Millionen von Daten freigegeben wurden - ohne richterliche Anordnung, ohne konkrete Hinweise auf Gefahren oder Täter.

Politiker und Datenschützer sind empört - die Telekom selbst äußerte sich bislang nur ausweichend und verwies an das BKA. Ein Sprecher erklärte, das Unternehmen sei "nicht befugt, über Auskunftsersuchen staatlicher Stellen, die wir aufgrund unserer Stellung als Telekommunikationsprovider zu beantworten haben, Dritten gegenüber irgendwelche Informationen zu erteilen." Es werde jedoch "immer erst die Rechtsgrundlage geprüft" - und erst bei positivem Ergebnis werde die Auskunft "pflichtgemäß erteilt".

Grundsätzlich können deutsche Sicherheitsbehörden Daten über Telefonkunden erfragen. Dies ist über mehrere Wege möglich: Name und Adresse von Kunden erhalten Behörden etwa über die Bundesnetzagentur - der Aufsichtsbehörde der deutschen Telefonfirmen. Polizei und Nachrichtendienste machen von dieser Möglichkeit immer stärker Gebrauch: Registrierte die Bundesnetzagentur im Jahr 2001 noch 1,5 Millionen Auskunftsersuchen deutscher Sicherheitsbehörden, waren es vergangenes Jahr bereits 4,2 Millionen.

Um an die wirklich sensiblen Verbindungsdaten zu kommen, müssen Sicherheitsbehörden jedoch direkt mit der jeweiligen Telefonfirma in Kontakt treten. Die Informationen über Datum, Uhrzeit und Dauer von Gesprächen gibt es aber nur, wenn ein Richter die Herausgabe genehmigt hat - offiziell jedenfalls. Rechtsgrundlage des Ersuchens kann etwa die Strafprozessordnung oder das Zollfahndungsdienstgesetz sein.

Ganz so streng haben es die BKA-Beamten und die Telekom kurz nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 offenbar nicht nehmen wollen. Sie könnten ein Instrument benutzt haben, das sich als wenig effektiv erwiesen hat.

Bundesverfassungsgericht hat strenge Vorgaben gesetzt

Die Rasterfahndung, die von Ex-Innenminister Otto Schily (SPD) und seinen Länderkollegen nach den Terroranschlägen von 2001 zum wichtigen Instrument im Anti-Terror-Kampf hochgejubelt wurde, hat ohnehin kaum noch Fürsprecher. Zu gut sind vielen die schlimmen Pannen noch in Erinnerung: Statt mutmaßliche Schläfer zu ermitteln, gerieten hauptsächlich Sozialhilfebetrüger ins Visier der Behörden. Die Rasterfahndung rollte zudem wie ein Panzer über Datenschutz und Persönlichkeitsrechte.

Die Ermittler suchten nach einem Typus, der inzwischen eher als Exot unter Dschihadisten gilt: unauffällige, scheinbar unbescholtene junge Studenten, wie die Truppe um den ägyptischen Todespiloten Mohammed Atta. Das Bild der Islamistenszene ist heute jedoch bedeutend vielfältiger und auch diffuser, die Merkmale, die einen Islamisten ausweisen könnten, sind so zahlreich, dass sie in keinen klaren Rahmen passen.

Seit Mai 2006 sind die Ermittler an strenge Vorgaben gebunden. Nach zahlreichen widersprüchlichen Urteilen auf Länderebene schränkte das Bundesverfassungsgericht die Fahndungsmethode im Mai 2006 stark ein. Seitdem darf die Rasterfahndung nur noch bei konkreter Gefahr und nicht schon als Vorfeldermittlung durchgeführt werden.

"Viel Schaden an Bürgerrechten, null Sicherheitsgewinn"

Einer der härtesten Kritiker der Rasterfahndung ist Wolfgang Wieland. Dass nach dem 11. September auf der Suche nach Schläfern auch bei der Telekom "riesige Berge persönlicher Daten durchwühlt" worden seien könnten, entsetzt den grünen Bundestagsabgeordneten und Ex-Justizsenator von Berlin. "Diese Rasterfahndung ist vor allem eins: unverhältnismäßig", so der 61-Jährige zu SPIEGEL ONLINE. Einziges Ergebnis laut Wieland: "Viel Schaden an den Bürgerrechten, null Sicherheitsgewinn".

"Wenn das so gewesen ist, ist das ein schlimmer Rechtsbruch", sagt auch Schleswig-Holsteins Datenschutzbeauftragter Thilo Weichert. "Die Eingriffe gehen noch über die bisher bekannte Rasterfahndung hinaus", so Weichert zu SPIEGEL ONLINE: "Denn hier geht es um das Fernmeldegeheimnis." Es müsse umgehend geklärt werden, welche Daten aufgrund welcher Kriterien herausgegeben wurden.

Die FDP-Abgeordnete Gisela Piltz nennt den Vorgang - sollte er sich bestätigen - einen "Skandal". Bei der Rasterfahndung gerieten ohnehin "in erheblichem Maße unschuldige Bürgerinnen und Bürger aufgrund sehr vager Eingrenzung und ohne gezielten Verdacht ins Visier der Sicherheitsbehörden".

Gerade deshalb müssten hier die rechtsstaatliche Sicherungen besonders streng beachtet werden, sagte Piltz SPIEGEL ONLINE: "Vorauseilender Gehorsam bei Grundrechtseingriffen ist mit dem Rechtsstaat nicht vereinbar."

Mehr lesen über