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Vorratsdatenspeicherung Nicht alle Anbieter protokollieren das Verhalten ihrer Kunden

Die Vorratsdatenspeicherung liefert längst nicht solch ein umfangreiches Datenpaket, wie es sich ihre Befürworter erhoffen. Einige Dienstleister verweigern die Sammelei im Dienste der inneren Sicherheit und der Terrorabwehr.
Von Timo Kotowski

Die Datenberge wachsen bei Deutschlands Telekommunikationsanbietern. Spätestens seit zu Jahresbeginn eine Übergangsfrist ausgelaufen ist, horten sie Verbindungsinformationen ihrer Kunden - wie es das Telekommunikationsgesetz fordert, das die Vorratsdatenspeicherung regelt.

Doch nicht alle Firmen beteiligen sich gehorsam an der Speicheraktion. Einige wehren sich gegen die Sammelpflicht. Mit Erfolg - wie ein weiterer nun vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung  veröffentlichter Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin zeigt.

Mobilcom, Debitel einschließlich Talkline, Klarmobil und Callmobile - alle Tochtergesellschaften des Anbieters Freenet - haben erwirkt, dass die Bundesnetzagentur sie einstweilen nicht zum Speichern auf Vorrat zwingen darf. Wie die 27. Kammer des Berliner Gerichts am 16. Januar beschlossen hat, darf die Behörde den Firmen keine Sanktionen auflegen, wenn sie Informationen zu Verbindungen ihrer Handy-Kunden nicht sechs Monate aufbewahren.

Diese Pflicht zum Datenaufbewahren besteht seit Anfang 2008, seit Beginn dieses Jahres droht ein Bußgeld, wenn nicht gespeichert wird. Mit dem Berliner Beschluss bleibt jedoch die zusammenzutragende Datensammlung unvollständig. Zudem sind die Mobilfunkdienstleister aus dem Haus Freenet nicht die ersten, die sich vorerst dem Speicherzwang widersetzen dürfen.

Vorratsdatenspeicherung

Dasselbe Gericht wie im Fall der Freenet-Töchter hat auch die Anbieter BT Germany und QSC faktisch von der Sammelpflicht entbunden. Weitere Firmen könnten folgen. Nach Gerichtsangaben sind fünf Verfahren anhängig - darunter aber auch ausstehende Hauptsacheverfahren zu bislang nur einstweilig gefassten Beschlüssen.

Verfassungsgericht muss entscheiden

Zum Aufatmen ist es für die Gegner der Vorratsdatenspeicherung zu früh. Mit den Berliner Beschlüssen ist die Vorratsdatenspeicherung nicht erledigt. Das Verwaltungsgericht entschied nämlich nicht, ob sie insgesamt dem Grundgesetz widerspricht. Vielmehr ging es vor dem Verwaltungsgericht darum, ob Telekommunikationsanbieter das Anlegen der Datenberge selbst bezahlen müssen.

Auch diese Frage muss zunächst das Verfassungsgericht klären. Dort hatte das Berliner Gericht den 2008 zuerst behandelten Fall von BT Germany vorgelegt. Erst nach einem Spruch aus Karlsruhe will das Gericht abschließend entscheiden. Solange müssen die Unternehmen, die in der Hauptstadt einen Beschluss erwirkt haben, keine Kosten für die Speicherung übernehmen und die Daten auch nicht aufbewahren.

Welche Anbieter nicht auf Vorrat sammeln

Freenet und seine Tochtergesellschaften fühlen sich durch den Berliner Beschluss bestätigt. "Wir haben die entschädigungslose Übertragung hoheitlicher Aufgaben - Verhinderung und Verfolgung von Straftaten - stets kritisch gesehen", teilt das Mutterunternehmen mit. Wegen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der Vorratsdatenspeicherung und möglicherweise hoher Investitionen für Datensicherungen hatte das Unternehmen geklagt.

Vorerst horten die Mobilfunktöchter keine Verbindungsdaten, um sie an staatliche Stellen weitergeben zu können. Anders sieht es allerdings aus, wenn es nicht um Informationen über Handy-Gespräche geht. "Die Mobilfunktöchter haben die Beauskunftung ausgesetzt. Die Festnetztöchter führen sie gemäß der rechtlichen Vorgaben aus", heißt es.

Mit dieser Unterscheidung von zwei Datenklassen bei der Vorratsspeicherung steht das Unternehmen nicht allein da. Auch der Kölner Anbieter QSC und das Hamburger Unternehmen Hansenet, das mit der Marke Alice auf dem Markt ist, verfahren ähnlich. Sie weigern sich, einen vollständigen Datenvorrat anzulegen, bewahren aber bei Festnetztelefonaten Informationen über den Zeitpunkt des Gesprächs und die Gesprächspartner auf.

"Die Nichtumsetzung betrifft ausschließlich die Speicherung von IP-Adressen beziehungsweise deren Verknüpfung mit Kundendaten beim Zugang zum Internet. Wir speichern die Telefoniedaten", erklärt Hansenet-Sprecher Carsten Nillies. Selbstsicherer tritt QSC auf. Für Daten zur Internetnutzung sagt ein Sprecher: "Vorratsdatenspeicherung machen wir nicht."

Auch in Köln ist eine Klage anhängig

Gespeichert werde nur, was zur Rechnungstellung nötig sei. Ist die Rechnung verschickt, lösche QSC auch diese Daten innerhalb von fünf Werktagen. Allerdings müssen Kunden, die keine Flatrate nutzen, sondern nach Datenvolumen abrechnen lassen, hinnehmen, dass Informationen "höchstens sechs Monate nach Rechnungsversand gespeichert" bleiben.

Dass das Verweigern der Datensammelei einem Unternehmen auch Ärger einbringen kann, hat Hansenet zu spüren bekommen. Das Unternehmen ist nicht durch einen Beschluss des Berliner Verwaltungsgerichts vor Sanktionen der Bundesnetzagentur geschützt. Gegen eine Verfügung, mit der die Bundesnetzagentur das Unternehmen zur Speicherung zwingen will, klagt Hansenet derzeit vor dem Kölner Verwaltungsgericht.

Die schweigende Mehrheit speichert weiter

Trotz vorerst erfolgreicher Abwehrversuche gegen den Speicherzwang - die meisten Telekommunikationsanbieter archivieren gehorsam. "Wir halten uns an die gesetzlichen Verpflichtungen", sagt ein Telekom-Sprecher. Für den staatlichen Sammelauftrag sieht sich der Konzern gut gerüstet. Ein zweistelliger Millionenbetrag sei investiert worden. Hinzu kämen jährliche Kosten von knapp über einer Millionen Euro.

Auch die Mobilfunk-Wettbewerber E-Plus und O2 setzen die rechtlichen Vorgaben ohne Murren um. Allerdings ist man bei E-Plus interessiert, nicht dauerhaft die Kosten aus der eigenen Kasse zahlen zu müssen. Bislang gibt es aber nur einen Entwurf für ein Entschädigungsgesetz, der keine Erstattung von laufenden Ausgaben für die prophylaktische Speicherung vorsieht.

Die Mehrzahl von Festnetz- und Internet-Anbietern hat sich der Vorratsdatenspeicherung gefügt. "Wir haben das implementiert, was implementiert werden musste", sagt ein United-Internet-Sprecher. Wettbewerber Arcor erklärt auf Anfrage allerdings, dass nicht jedes Auskunftsersuchen mit dem Aushändigen von Daten beantwortet werde. "Wir kommen den gesetzlichen Vorgaben nach, berufen uns aber darauf, Verbindungsdaten nur auf richterliche Anordnung herauszugeben", sagt ein Sprecher.

Das Bundesverfassungsgericht hatte im März 2008 entschieden, dass Anbieter Informationen nur aushändigen müssen, wenn ein Ermittlungsrichter dies wegen einer schweren Straftat angeordnet hat. Für Zivilprozesse - wie Verfahren um Urheberrechtsverletzungen - verweigert Arcor derzeit die Herausgabe von Informationen über seine Kunden. In solchen Fällen gebe das Unternehmen keine Daten heraus, heißt es. Arcor habe schon solche Anfragen erhalten, aber abgelehnt.

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