Schwere Bedenken gegen Neufassung der TK-Überwachung [Update]

Branchenverbände und Bürgerrechtsorganisationen fürchten vor allem bei der geplanten Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten eine weitere Aushöhlung des Fernmeldegeheimnisses sowie allgemein vermehrte Bespitzelungen.

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Branchenverbände und Bürgerrechtsorganisationen lehnen den Referentenentwurf aus dem Bundesjustizministerium zur Reform der Telekommunikationsüberwachung in weiten Teilen als verfassungswidrig ab. "Der Entwurf betrifft die Branche doppelt", betont die Lobbyvereinigung Bitkom in einer Stellungnahme. Die Auflage zur Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten bedeute "eine weitere Aushöhlung des grundrechtlich geschützten Fernmeldegeheimnisses." Damit sinke das Vertrauen der Nutzer in die Verlässlichkeit elektronischer Kommunikationsmittel, was auch der Wirtschaft schade. Auch müssten die betroffenen Unternehmen die erheblichen Kosten für die geplanten Mitwirkungspflichten tragen, obwohl die Belastungen für sie weiter deutlich erhöht würden.

27 zivilgesellschaftliche Organisationen laufen zudem in einer gemeinsamen Erklärung (PDF-Datei) Sturm gegen das Vorhaben des Justizministeriums, künftig "Daten über jede Nutzung von Telefon, Handy, E-Mail und Internet auf Vorrat" sammeln zu lassen. Sie bezeichnen es als "inakzeptabel", dass ohne jeden Verdacht einer Straftat sensible Informationen über die sozialen Beziehungen, die Bewegungen und die individuelle Lebenssituation der über 80 Millionen Bundesbürger erfasst werden sollen. Unterstützer der Stellungnahme, die unter der Federführung des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung entstanden ist, sind unter anderem Journalisten- und Verlegerverbände, der Chaos Computer Club, der Verband der deutschen Internetwirtschaft eco sowie der Bundesverband der Verbraucherzentralen.

Den angeblichen Nutzen einer Vorratsdatenspeicherung stellen die Verbände infrage. Aus einer Studie des Bundeskriminalamts ergebe sich, dass eine solche pauschale Überwachungsmaßnahme die durchschnittliche Aufklärungsquote "von derzeit 55 Prozent im besten Fall auf 55,006 Prozent erhöhen" könne. In Irland und anderen Staaten, wo die Provider die Verbindungs- und Standortdaten bereits über Jahre hinweg speichern müssen, sei die Kriminalitätsrate nicht ersichtlich gesunken. Die Sicherheit der Bevölkerung werde so nicht gestärkt, beklagen die Vereinigungen, während die Massendatenvorhaltung der freiheitlichen Gesellschaft schade.

Auch für den Bitkom erscheint es "mehr als fraglich, ob der angegebene Speicherzweck 'Strafverfolgung' für eine anlass- und verdachtsunabhängige Speicherung der Daten aller Telekommunikationsteilnehmer ausreichen kann". Er rügt zudem mehrere Punkte, an denen das Justizministerium entgegen der Weisung des Bundestags über die Vorgaben der entsprechenden EU-Richtlinie hinausgehen will. Der Entwurf erstrecke die Speicherpflicht etwa auch auf Firmen, die "an der Erbringung der Telekommunikationsdienste für die Öffentlichkeit mitwirken". Es fehle zudem ein Zusatz, dass die begehrten Informationen den Providern tatsächlich zur Verfügung stehen müssen. Gerade bei vorausbezahlten Diensten würden zahlreiche Datentypen nicht vorliegen.

Eine "unverhältnismäßige Mehrbelastung der Mobilfunkunternehmen" sieht der Verband in der Auflage, dass diese auch die Daten zur geografischen Lage der Funkzelle und die Hauptstrahlrichtung der Antenne vorhalten sollen. Hierzu wäre eine ständige Netzaktualisierung nötig. Ebenfalls behagt dem Branchenverband nicht, dass Abfragen in den Informationshalden aus der Vorratsdatenspeicherung auch bei "mittels Telekommunikation begangener Straftaten" möglich sein und dabei die Auflagen aus der Telekommunikations-Überwachungsverordnung (TKÜV) gelten sollen. Im Extremfall könne dies bedeuten, dass für eine Auskunftserteilung über ein einfaches Beleidigungsdelikt via Telefon oder Internet ein durchgehender Bereitschaftsdienst vorgehalten werden müsste.

Für "kaum nachvollziehbar" hält der Bitkom so die Schätzung des Ministeriums, wonach die Kosten der verpflichteten Privaten zur Umsetzung der umfangreichen zusätzlichen Speicherauflagen zu vernachlässigen und eine erweiterte Entschädigung der Hilfssheriffs unnötig sei. Dabei dürfe nicht vergessen werden, dass "die Anpassung und Erweiterung von Software und Prozessen einen wesentlichen Teil der zusätzlichen Kosten verursachen werden." Zusammen mit dem "Totalausschluss der Investitionskosten" widersprächen die Pläne den verfassungsrechtlichen Vorgaben.

Generell rechnet der Bitkom nicht damit, dass der vielfach beklagte Wildwuchs bei der TK-Überwachung mit dem Entwurf eingedämmt wird. Die Erweiterung des Straftatenkatalogs insbesondere um Betrugstatbestände werde vielmehr zu einer deutlichen Erhöhung der Anzahl der Bespitzelungsaktionen führen. Der Verband kritisiert in diesem Zusammenhang auch, dass in einer Überwachungsanordnung künftig Name und Anschrift des Verdächtigen nur noch "so weit möglich" angegeben werden sollen. Der Gesetzgeber scheine damit "ausdrücklich eine gewisse Unschärfe in der Fassung der Anordnungen hinnehmen zu wollen. Dies erhöht die Gefahr für unbeteiligte Personen, einer Telefonüberwachung unterworfen zu werden, erheblich." Schon heute erreichten die TK-Firmen verstärkt "vage gefasste Auskunftsersuchen", in denen die zeitliche und räumliche "Eingrenzung" allein durch Übersendung eines Auszugs aus dem Fahrplan der Deutschen Bahn oder durch Autobahnabschnitte "im Raum Hannover über den Zeitraum von drei Monaten" vorgenommen werde. "Solche Auskunftsersuchen erwecken den Anschein, als sei die Erhebung von Telekommunikationsdaten erster Ermittlungsansatz und nicht bereits Resultat von durch Vorermittlungen erhärteten Verdachtsmomenten". Dass die eingeschalteten Unternehmen künftig nur noch prüfen sollen, ob die ersuchende Stelle im Einzelfall legitimiert und zuständig sei, laufe den straf- und datenschutzrechtlichen Verpflichtungen zuwider. Besorgt zeigt sich der Verband letztlich über eine zwischenzeitlich in den Entwurf eingefügte Fußnote, dass im Gesetzgebungsverfahren eine weitergehende Verwendung der gespeicherten Daten "für Zwecke der polizeilichen Gefahrenabwehr sowie der Geheimdienste" noch diskutiert werden könne.

Update: Das Bundesjustizministerium wies die Kritik unterdessen zurück. "Wir werden einen verfassungsgemäßen Entwurf vorlegen", erklärte ein Sprecher gegenüber dpa. Der Referententwurf halte sich an die Vorgaben der EU-Richtlinie und bewege sich mit einer sechsmonatigen Speicherzeit am unteren Rand der Bandbreite. (Stefan Krempl) / (anw)