Über eine halbe Million TK-Verkehrsdatenabfragen pro Jahr in Großbritannien

Gemäß der Jahresstatistik des Abhörbeauftragten der britische Regierung haben Sicherheitsbehörden durchschnittlich 1381 mal pro Tag Verbindungs- oder Standortdaten abgerufen, was Überwachungsgegner auf den Plan ruft.

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Britische Sicherheitsbehörden haben im vergangenen Jahr insgesamt in 504.073 Fällen Verbindungs- oder Standortdaten auf Basis des Regulation of Investigatory Powers Act (RIPA) von 2000 abgerufen. Das entspricht durchschnittlich 1381 Abfragen dieser sogenannten Verkehrsdaten pro Tag in Großbritannien. Diese Zahlen gehen aus dem am Anfang der Woche veröffentlichten Jahresbericht für 2008 des Abhörbeauftragten der britischen Regierung, Sir Paul Kennedy, hervor. Die zahlen sind zwar etwas niedriger als 2007, gegenüber 2006 ergibt sich aber immer noch eine Steigerung der entsprechenden Überwachungsmaßnahmen um etwa 60 Prozent.

Der "Interception of Communications Commissioner" betrachtet Verkehrsdatenabrufe als "unschätzbare Waffe" im Kampf gegen Verbrechen. 595 Fehler und Sicherheitsbrüche seien im Rahmen der Abfragen gemeldet worden. Dies könnte sich zunächst wie eine hohe Zahl anhören. Sie sei bei der Vielzahl der Inanspruchnahme der Protokolldaten über das "Wann, Wer, Wie oder Wo" einer erfolgten Telekommunikation aber vergleichsweise niedrig. Trotzdem habe es unter den Irrtümern einige gravierende Fälle gegeben. So sei etwa eine IP-Adresse bei der Verfolgung eines Verdachts auf Kindesmissbrauch einem Unschuldigen zugeschrieben worden. Dessen Wohnung sei gestürmt, der Bewohner verhaftet worden. Daraufhin sei die gesamte Praxis der Abfrage von Bestandsdaten, die Auskunft über den Nutzer einer IP-Adresse geben können, überarbeitet worden.

Der Bericht merkt zudem leicht kritisch an, dass Verkehrsdaten "extensiv" von Geheimdiensten genutzt würden. Es sei dabei zwar eventuell unvermeidlich, angesichts der Aufgaben von Nachrichtendiensten dabei "Kollateralschäden" durch das Eindringen in die Privatsphäre von Kontaktpersonen in Kauf zu nehmen. Die Spione würden dies aber von vornherein berücksichtigen. Überprüfungen hätten gezeigt, dass die Fehlerquote in diesem Bereich ebenfalls sehr gering sei im Vergleich zu der hohen Zahl der verarbeiteten Verbindungs- und Standortinformationen.

Sir Paul weist zudem Vorstellungen zurück, dass jeder Dorfpolizist ungehinderten Zugang zu den auch in Großbritannien auf Vorrat gespeicherten Verkehrsdaten habe. So müssten zunächst Erfordernis- und Verhältnismäßigkeitskriterien einer Anfrage erfüllt und diese von einem leitenden Behördenmitarbeiter genehmigt werden. Unter einem Richtervorbehalt steht die Verkehrsdatenabfrage im Vereinten Königsreich nicht.

Für den innenpolitischen Sprecher der oppositionellen Liberalen, Chris Huhne, sind die Zahlen dagegen ein Zeichen dafür, dass die Briten endgültig in eine Überwachungsgesellschaft getaumelt seien. Auch wenn viele der durchgeführten Maßnahmen von Polizeien und Geheimdiensten sicher nötig seien, sei ihre reine Anzahl "erschreckend". Es könne sich nicht um eine gerechtfertigte Antwort auf die Probleme des Landes handeln, "wenn der Staat eine halbe Million Menschen pro Jahr ausspioniert". Die Überwachung der Überwacher durch das federführende Innenministerium selbst sei nicht ausreichend, bemängelte Huhne weiter. Die Regierung habe George Orwells Roman "1984" offenbar nicht als Warnung, sondern als Blaupause verstanden.

Der Report listet weiter auf, dass die britische Justiz auf Betreiben des Innenressort 2008 genau 1508 neue Anordnungen zum Abhören von Telekommunikationsinhalten genehmigte und 844 weiter aufrecht erhielt. Im Vorjahr seien es noch 1881 beziehungsweise 929 gewesen. Deutlich mehr Überwachungserlaubnisse gingen im Vergleich zu 2007 an schottische Sicherheitsbehörden. Insgesamt hat sich hier die Zahl der Anordnungen von 173 auf 247 erhöht. Die Menge der gemeldeten Irrtümer bei der Durchführung der Abhöraktionen weist der Bericht mit 216 aus. 2007 seien erst 24 Fehler bekannt geworden. Die Zahl der Irrläufer hält Sir Paul in diesem Sektor für zu hoch, auch wenn nur einer davon offenbar mit Absicht herbeigeführt worden sei. (Stefan Krempl) / (jk)