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Ständig mehr Überwachung ist der falsche Weg!

22. Januar 2007

Humanistische Union legt rechtspolitische Stellungnahme zu Gesetzentwurf über verdeckte Ermittlungsmaßnahmen und Vorratsdatenspeicherung vor

Die Humanistische Union kritisiert in ihrer Stellungnahme einen Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums, mit dem die Überwachung der Telekommunikation sowie alle weiteren verdeckten Ermittlungsmaßnahmen einheitlich geregelt werden sollen. Prof. Dr. Rosemarie Will, Vorsitzende der Bürgerrechtsorganisation, weist den Entwurf in seiner jetzigen Fassung zurück: „Der Gesetzentwurf wird seinem eigenen Anspruch einer grundrechtsschonenden Harmonisierung der verdeckten Ermittlungsmaßnahmen nicht gerecht. Er setzt zahlreiche Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zum grundrechtlichen Schutz der Bürgerinnen und Bürger unzureichend um. Die geplante Einführung einer verdachtsunabhängigen, anlasslosen Speicherung aller Kommunikations-Verbindungsdaten aller Bürgerinnen und Bürger würde den verfassungsrechtlichen Schutz der informationellen Selbstbestimmung außer Kraft setzen. Dieses Gesetz ist so nicht hinnehmbar.“

Der Gesetzentwurf bestimmt die Grenzen für den Einsatz verdeckter Ermittlungsmaßnahmen lediglich daran, ob sie eine möglichst weitgehende Strafverfolgung gestatten und sich im Bereich des verfassungsrechtlich Zulässigen bewegen. „Die Arbeit des Gesetzgebers darf sich nicht auf die Auslotung verfassungsrechtlicher Grenzen beschränken“, stellt Rosemarie Will fest. „An keiner Stelle wird auf die Frage eingegangen, ob einzelne Ermittlungsmaßnahmen wirklich unverzichtbar sind. Das kommt einer rechtspolitischen Bankrotterklärung gleich. Der Staat und die wirksame Strafverfolgung würden keineswegs zusammenbrechen, wenn auf das Belauschen des Gesprächs eines Betroffenen mit seiner Mutter oder seiner Frau vollständig verzichtet würde, anstatt es einem feinziselierten Abwägungsgebot zu unterwerfen. Im Ergebnis dieses Gesetzes werden wir noch häufiger belauscht, abgehört, observiert und überwacht.“

Es reiche nicht aus, so Rosemarie Will weiter, den Missbrauch staatlich angeordneter Überwachungsmaßnahmen durch Verfahrensregeln eingrenzen zu wollen. Dieser Verfahrensschutz sei im vorliegenden Gesetzentwurf nur sehr zögerlich umgesetzt: So ist es den Ermittlungsbehörden weiterhin möglich, durch illegale Ermittlungen gewonnene Erkenntnisse für ihre Arbeit zu verwenden.

Der Gesetzentwurf versäumt es leider auch, die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung für alle relevanten Ermittlungsmethoden umzusetzen. Demnach sollen nur der sogenannte große Lauschangriff und das Abhören von Telefonaten ( § § 100c und 100a Strafprozessordnung) für den Fall geschützt sein, wenn die verdeckten Ermittlungen ausschließlich Gespräche aus dem Bereich der höchstpersönlichen Bereich betreffen. Der verfassungsrechtlich gebotene Schutz der menschlichen Würde im Kernbereich lässt sich jedoch nicht auf Gespräche in den eigenen vier Wänden oder am Telefon beschränken. Er muss auch für andere Ermittlungen gelten (etwa: Observationen, Einsatz von Verdeckten Ermittlern). Darüber hinaus sind gesetzliche Regeln für den Abbruch einer Überwachungsmaßnahme vorzusehen, wenn ein Eingriff in den Kernbereich privater Lebensgestaltung im Voraus nicht abzusehen ist. Für unerwartet erlangte Erkenntnisse aus diesem Bereich müssten umfassende Löschungsvorschriften und Verwertungsverbote vorgeschrieben werden.

Neben den zahlreichen Änderungen in der Strafprozessordnung plant der Gesetzentwurf auch die Umsetzung einer EU-Richtlinie zur Vorratsspeicherung von Telekommunikations-Verbindungsdaten. Für alle Nutzerinnen und Nutzer von Telefonen, Handys, Internetzugängen und E-Mail-Verkehr soll für 6 Monate gespeichert werden, wer, wann, von wo aus, mit welchen Geräten, wie lange und mit wem kommuniziert hat. Mit den so gewonnenen Daten soll die Aufklärung schwerer Straftaten erleichtert werden. Der vorgelegte Gesetzentwurf bestätigt nach Auskunft von Rosemarie Will die verfassungsrechtlichen Bedenken der Humanistischen Union gegen das Vorhaben: „Strafverfolgung ist in Deutschland immer an das Vorhandensein eines konkreten Verdachts gegen die Betroffenen, an eine negative Kriminalprognose oder das Vorliegen einer konkreten Gefahr gebunden. Wenn der Staat aber alle Bürgerinnen und Bürger vorsorglich überwachen lässt, verstößt er gegen die grundgesetzlich garantierte Unschuldsvermutung. Mit den umfangreichen Aufzeichnungen über das Kommunikationsverhalten wird nicht nur das Recht auf vertrauliche Kommunikation unzulässig eingeschränkt, die anfallenden Datenmengen bergen auch zahlreiche Gefahren für den Missbrauch durch staatliche und private Stellen.“ Aufgrund erheblicher Bedenken gegen die Europarechtswidrigkeit der Regelung unterstützt die Humanistische Union deshalb ein Moratorium von 27 Verbänden und Initiativen, mit dem die Bundesregierung aufgefordert wird, vor der Umsetzung in deutsches Recht das Ergebnis einer Nichtigkeitsklage Irlands gegen die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung abzuwarten.

weiterführende Informationen:

Den ausführlichen Text der Stellungnahme der Humanistischen Union zum Gesetzentwurf finden Sie hier.

Den gemeinsamen Aufruf für ein Moratorium bei der Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung finden Sie hier.

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