Klageschrift gegen Vorratsdatenspeicherung weiterhin geheim [ergänzt am 24.02.2010]

Das Bundesjustizministerium weigert sich auch nach Abweisung der Klage Irlands gegen die Vorratsdatenspeicherung, die Klageschrift Irlands herauszugeben. Damit ist das Dokument, das für die anhängige Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Vorratsdatenspeicherung von Bedeutung ist, weiterhin geheim.

Vorgeschichte

Im Jahr 2006 erhob Irland vor dem Europäischen Gerichtshof Klage gegen die EG-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung. Irland argumentierte, die Vorratsdatenspeicherung hätte nicht gegen seine Stimme beschlossen werden dürfen, weil im Bereich der Strafverfolgung das Einstimmigkeitsprinzip gelte.

Im Jahr 2007 verweigerte die Europäische Kommission die Herausgabe der irischen Klageschrift. Eine Beschwerde hiergegen beim Ombudsman führte nicht zum Erfolg.

Wenig später lehnte auch das Bundesjustizministerium einen Antrag auf Herausgabe der irischen Klageschrift mit dem Argument ab, im Fall des Bekanntwerdens der Klageschrift sei das anhängige Gerichtsverfahren gefährdet. „Kontroverse Diskussionen“ um die Vorratsdatenspeicherung könnten auf die Entscheidung des Gerichtshofs Einfluss nehmen – offensichtlich zuungunsten der damaligen Ministerin Brigitte Zypries, die trotz weitreichender Proteste der Totalprotokollierung unserer Kommunikation im EU-Rat zugestimmt hat. Die zuständige Mitarbeiterin des Beauftragten für Informationsfreiheit Peter Schaar erklärte auf eine Beschwerde, die Geheimniskrämerei des Ministeriums sei zwar rechtswidrig, aber nicht zu beanstanden.

Anfang 2009 wies der Europäische Gerichtshof die Klage Irlands ab. Die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung habe nicht einstimmig verabschiedet werden müssen, weil sie lediglich wirtschaftliche Fragen regele („Binnenmarkt“). Der Gerichtshof stellte in seinem Urteil klar, „dass sich die von Irland erhobene Klage allein auf die Wahl der Rechtsgrundlage bezieht und nicht auf eine eventuelle Verletzung der Grundrechte als Folge von mit der Richtlinie 2006/24 verbundenen Eingriffen in das Recht auf Privatsphäre.“ Es ist abzusehen, dass sich der Gerichtshof erneut mit der Vorratsdatenspeicherung zu befassen haben wird.

Justizministerium verweigert Herausgabe weiterhin

Nach Erlass des Urteils habe ich bei dem Bundesjustizministerium erneut Herausgabe der irischen Klageschrift beantragt. Dieses Dokument ist in der Verfassungsbeschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung von Bedeutung. Denn das Bundesverfassungsgericht kontrolliert, ob die EU-Gremien ihre Kompetenzen überschritten haben. Die Klageschrift Irlands könnte dafür wichtige Argumente liefern.

Das Bundesjustizministerium fragte nun immerhin Irland, ob Einwände gegen die Herausgabe bestünden. Irland bejahte dies mit der folgenden Begründung:

If a request for Ireland’s submission to the European Court of Justice was submitted to this Department, it would be refused as our Freedom of Information legislation clearly states that it does not apply to a record is created by the Office of the Attorney General other than an administrative record. Section 46(1) refers. Whilst in this case the record was created on behalf of the AG, it is still the view of the section that should we receive a similar FOI then Section 4.6(1) would apply. It would not be appropriate for the record to be released on foot of an FOI request in Germany if the same request would be refused in Ireland.

Therefore in view of the foregoing please advise your counterparts in Germany that our view is that the record should be refused.

Irland argumentiert also, das Dokument falle nicht unter sein eigenes Informationsfreiheitsgesetz. Deshalb solle auch Deutschland es nicht herausgeben.

Das Bundesjustizministerium lehnte meinen Herausgabeantrag daraufhin mit Schreiben vom 30.06.2009 ab:

Ihrer erneuten Bitte auf Übersendung der Klageschrift und des sonstigen Schriftverkehrs in der Rechtssache C-301/06 nach Abschluss des Verfahrens vermag ich nicht zu entsprechen.

Dem Bundesministerium der Justiz liegt lediglich die Klageschrift der Republik Irland vor. Sonstiger Schriftverkehr der Beteiligten in dem Verfahren ist hier nicht bekannt.

Der Antrag auf Übersendung der Klageschrift der Republik Irlands in dem zwischenzeitlich abgeschlossenen Klageverfahren vor dem EuGH, Rechtssache C-301/06 ist abzulehnen, weil der Ausschlusstatbestand nach § 3 Nr. 1 lit. a des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) vorliegt. Danach besteht eine Ausnahme vom Informationszugang, wenn ein Bekanntwerden der Information nachteilige Auswirkungen auf internationale Beziehungen haben kann.

Die Republik Irland hat gegenüber der Bundesrepublik Deutschland ihr Einverständnis zu einer Weitergabe der Klageschrift verweigert. Die bilateralen Beziehungen Deutschlands zur Republik Irland und die Zusammenarbeit in der Europäischen Union würden bei einem gleichwohl eröffneten Informationszugang nachhaltig beeinträchtigt. Aus Gründen des Schutzes der auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland ist demnach die Weitergabe der Klageschrift abzulehnen.

Beschwerde bei Beauftragtem für Informationsfreiheit

Ich beschwerte mich über die Weigerung bei dem Beauftragten für Informationsfreiheit Peter Schaar:

Die Begründung des BMJ halte ich für fehlerhaft. Das BMJ nimmt schon allein deshalb, weil sich Irland mit der Veröffentlichung nicht einverstanden erklärt hat, die Gefahr nachteiliger Auswirkungen auf internationale Beziehungen an (§ 3 IFG). Wenn der Gesetzgeber das gewollt hätte, hätte er bestimmt, dass internationale Dokumente nur mit Einwilligung des Urheberstaates freigegeben werden dürfen. Dies hat der Gesetzgeber jedoch nicht bestimmt, sondern er hat lediglich ein Anhörungsverfahren vorgesehen (§ 8 IFG). Daraus ergibt sich, dass die fehlende Zustimmung eines betroffenen Staats den Zugangsanspruch nicht stets ausschließen sollte. Entscheidend ist vielmehr, ob die Zugangsgewährung gegen den Willen des Drittstaats im konkreten Einzelfall nachteilige Auswirkungen auf internationale Beziehungen befürchten lässt.

Im vorliegenden Fall ist nicht dargetan oder sonst ersichtlich, wie das Bekanntwerden der irischen Klageschrift gegen die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung nachteilige Auswirkungen auf unsere internationalen Beziehungen zu Irland haben könnte. Die wesentlichen Gründe der Klage sind aus dem Urteil ohnehin bekannt. Wie soll Irland auf die Veröffentlichung schon reagieren? Die Gefahr, dass Irland solche Dokumente künftig zurückhält, besteht nicht, weil die Mitgliedsstaaten zu solchen Nichtigkeitsklagen ohnehin zwingend angehört werden. Wenn sich Irland an einem internationalen Gerichtsverfahren vor dem EuGH beteiligt, muss es damit rechnen, dass die Dokumente an die Mitgliedsstaaten weiter gereicht werden und dort den nationalen Informationszugangsrechten unterliegen.

Wenn die Klageschrift irische Staatsgeheimnisse enthalten sollte, mögen diese geschwärzt werden. Enthält die Klageschrift dagegen keine sensiblen Informationen, gibt es keinen Grund, weshalb ihre Veröffentlichung nachteilige Auswirkungen haben sollte.

Insbesondere ist es nicht hinnehmbar, dass das BMJ den Zugang zu der Klageschrift auf Dauer auszuschließen versucht, obwohl es sich um ein Dokument handelt, das in der mündlichen Verhandlung des EuGH bereits öffentlich erörtert wurde und auch Gegenstand einer Zusammenfassung des EuGH war, die der Öffentlichkeit zu diesem Anlass zugänglich war. Würde man in solchen Fällen den Zugang immer von der Zustimmung des betroffenen Staates abhängig machen, würde man den gesamten Bereich der Gerichtsverfahren vor dem EuGH auf Dauer aus dem Zugangsanspruch herausbrechen. Dies entspräche dem Zweck des IFG und dem Willen des Gesetzgebers nicht.

Ich bitte Sie daher, das BMJ um Herausgabe zu ersuchen und im erneuten Weigerungsfall eine Rüge auszusprechen.

Die zuständige Mitarbeiterin des Beauftragten für Informationsfreiheit Peter Schaar forderte das Bundesjustizministerium zur Stellungnahme auf.

Das Bundesjustizministerium antwortete am 21.08.2009:

Der Anfrage von Herrn […] konnte nicht entsprochen werden, weil die Bekanntgabe der Informationen nachteilige Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Irland haben würde. Unabhängig von der gegebenen Verfügungsbefugnis legt das Bundesministerium der Justiz auf eine kooperative und einvernehmliche Zusammenarbeit wert. Da Irland der Weitergabe ausdrücklich widersprochen hatte (siehe Anlage zu meinem Schreiben vom 30. Juni 2009), konnte sich das BMJ darüber nicht hinweg setzen.

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass Herr […] weder in ein Widerspruchs- noch in ein Klageverfahren eingetreten ist und somit die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung der Entscheidung des BMJ ungenutzt gelassen hat.

Die zuständige Mitarbeiterin des Beauftragten für Informationsfreiheit Peter Schaar antwortete dem Bundesjustizministerium:

vielen Dank für Ihre Stellungnahme.

Ihre Verfügungsbefugnis über die begehrten Dokumente sehen Sie darin zwar als gegeben an, führen aber weiter aus, dass Sie in internationalen Beziehungen auf eine kooperative und einvernehmliche Zusammenarbeit Wert legen. Da Irland der Weitergabe ausdrücklich widersprochen habe, könnten Sie sich nicht darüber hinwegsetzen.

Bei der Prognose der Nachteilswirkung durch die Information haben Bundesbehörden zwar einen weiten Spielraum, das im IFG normierte „nachteiligen Auswirkungen haben kann“ verpflichtet aber auf der anderen Seite die zugangsverpflichtete Behörde zu einer gründlichen Prognose der möglichen Nachteilswirkung (s. auch Berger/Roth/Scheel, Informationsfreiheitsgesetz,
zu § 3 Nr. 1 lit a). Eine solche Kontrolle durch das BMJ vermag ich bei der Bearbeitung der erneuten Anfrage von Herrn […] nicht zu erkennen. Es ist aber in jedem Einzelfall zu prüfen, ob die Ablehnung des Antrags möglicherweise nur durch die allgemeine Besorgnis vor bestimmten negativen Auswirkungen auf das außenpolitische Interesse der Bundesregierung getragen wird. Insofern kann der ausdrückliche Widerspruch Irlands gegen eine Veröffentlichung lediglich ein Indiz sein.

Von einer förmlichen Beanstandung möchte ich dennoch zum jetzigen Zeitpunkt absehen, da von Ihnen und mir unterschiedliche Rechtsauffassungen vertreten werden, aber noch keine Gerichtsentscheidungen zur weiteren Auslegung herangezogen werden könnten. Im Übrigen ist Herr […] weder in ein Widerspruchs- noch in ein Klageverfahren eingetreten und somit besteht auch hier keine Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung der Entscheidung. Ich behalte mir aber vor, ggf. die Eingabe des Herrn […] zu einem späteren Zeitpunkt nochmals aufzugreifen, wenn zu dem Ausnahmetatbestand des § 3 Nr. 1 lit a) IFG und insbesondere zum Prüfungsumfang entsprechende Rechtssprechung vorliegt.

Gleichwohl beabsichtige ich, in meinem nächsten Tätigkeitsbericht den Vorgang und meine rechtliche Bewertung darzustellen.

Ergebnis

Im Ergebnis muss festgehalten werden, dass bisher alle Versuche gescheitert sind, an die wichtige Klageschrift Irlands gegen die Vorratsdatenspeicherung heranzukommen. Gesucht wird daher weiterhin eine Person, der es gelingt, über das Bundesjustizministerium – notfalls durch eine Klage –, die Europäische Kommission, einen anderen EU-Mitgliedsstaat oder sonst die Klageschrift Irlands gegen die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung in die Hände zu bekommen. Dies wäre für die Verfassungsbeschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung wichtig.

Ergänzung vom 13.11.2009:

Auch der Europäische Datenschutzbeauftragte und die Kanzlei des Europäischen Gerichtshofs haben es abgelehnt, den Schriftverkehr offenzulegen. Der Gerichtshof hat immerhin eine Zusammenfassung übersandt (englisch).

Ergänzung vom 27.11.2009:

Dank der Hilfe engagierter Internetnutzer liegen die Dokumente inzwischen im Wesentlichen vor. Sie werden demnächst in der Materialiensammlung des Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung veröffentlicht.

Ergänzung vom 12.12.2009:

Die Materialien sind nun im Internet verfügbar.

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7 Kommentare »


  1. Siegfried Schlosser — 30. Oktober 2009 @ 16.52 Uhr

    was wäre denn Voraaussetzung dafür, da einen Klageweg zu beschreiten ?

    Webmaster: Eigentlich braucht man nur die finanziellen Mittel, einen Rechtsanwalt und das Verfahren zu bezahlen. Nach dem Informationsfreiheitsgesetz hat jeder ein Recht auf Zugang zu Dokumenten.


  2. Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung (akvorrat) 's status on Friday, 30-Oct-09 15:48:51 UTC - Identi.ca — 30. Oktober 2009 @ 17.49 Uhr

    [...] http://www.daten-speicherung.de/index.php/klageschrift-gegen-vorratsdatenspeicherung-weiterhin-gehe… a few seconds ago from seesmic […]


  3. Andere Regierungen — 31. Oktober 2009 @ 3.09 Uhr

    Wenn in solchen Verfahren eine Anhörung der Mitgliedsstaaten stattfindet, könnte man nicht noch bei deren Regierungen schnorren gehen? Vielleicht hat eine ein anderes IFG, oder sie legt es anders aus, oder sie stört sich einfach nicht an einer Herausgabe.

    Webmaster: Ja, wer bei anderen Regierungen nachforschen kann, sollte das auf jeden Fall tun.


  4. Informationsfreiheitsgesetz » Blog Archiv » Irische Klageschrift gegen Vorratsdatenspeicherung weiterhin geheim — 31. Oktober 2009 @ 15.22 Uhr

    [...] Vollständiger Artikel bei daten-speicherung.de [...]


  5. Regierungen der MS — 1. November 2009 @ 16.26 Uhr

    Ich habe mal die Bundesjustizministerien aller übrigen EU-Mitgliedsstaaten angeschrieben. Vielleicht haben wir Glück (vielleicht zeigen Rumänien, Bulgarien oder Österreich Sympathie); ich melde mich gegebenenfalls. Allerdings bin ich nicht sicher, inwieweit Irlands Klageschrift hier von Nutzen sein könnte: Über die formellen Fragen der Richtlinie hat der EuGH schon (abschlägig) entschieden, und für materielle Fragen der Richtlinie ist das BVerfG nicht zuständig und scheint auch wie immer nicht vorlegen zu wollen. Die bekannte Klage-Kurzzusammenfassung des EuGH, das Urteil und die in Irland ja über die Richtlinie hinausgehende Vorratsspeicherung sprechen nicht dafür, dass Irland sich in seiner Klage materiell-rechtlich überhaupt groß beschwert hat.

    Webmaster: Vielen Dank – ich bin gespannt! Im Lissabon-Urteil hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass es selbst darüber wacht, dass die EU ihre Kompetenzgrenzen einhält. An die Entscheidung des EuGH ist das Bundesverfassungsgericht dabei nicht gebunden. Irlands Argumente dafür, dass die EG ihre Kompetenzen überschritten hat, sind daher hilfreich.


  6. Anonymous — 8. November 2009 @ 15.14 Uhr

    Was sagt die neue Bundesministerin Leutheusser-Schnarrenberger dazu?

    Webmaster: Bisher nichts.


  7. Zwischenstand: Irland — 18. November 2009 @ 21.45 Uhr

    Zwischenstandsbericht wegen meinen Anfragen der anderen Regierungen: Bei den Bundesregierungen, die bis jetzt auf meine Anfrage geantwortet haben, kam leider nichts raus. Finnland, Dänemark und Schweden weisen darauf hin, dass sie die Klageschrift mangels Beteiligung am Verfahren nicht hätten. Finnland meint, der EuGH sollte zumindest einen „Report for the Hearing of the case“ herausrücken, in dem die Klage gewöhnlich zusammengefasst sei. Das österreichische Justizministerium behauptet interessanterweise nicht, die Klage nicht zu haben, will sie aber nicht herausgeben, weil es zur Herausgabe von EuGH-Schriftsätzen nicht befugt sei; ich solle mich an den EuGH wenden. An Leutheusser-Schnarrenbergers Bundestagsbüro habe ich auch geschrieben – bislang ohne Antwort.

    Webmaster: Danke für den Zwischenbericht! Siehe auch die Aktualisierung am Ende des Artikels oben.

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