Pressestimmen

Vorratsdatenspeicherung "Verfassungswidrig" und "überzogen"

Die massenhafte Speicherung von Kommunikationsdaten für die Strafverfolgung steht auf dem Prüfstand des Verfassungsgerichts in Karlsruhe. Im Mittelpunkt der Prüfung steht die Frage, ob die Datenspeicherung mit den Grundrechten der Bürger, insbesondere dem Telekommunikationsgeheimnis vereinbar sei. Für die Presse ist eindeutig klar: Die Bundesregierung geht mit dem Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung zu weit.

Claudia Roth, Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, bei einer Protestaktion gegen Vorratsdatenspeicherung in Karlsruhe.

Claudia Roth, Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, bei einer Protestaktion gegen Vorratsdatenspeicherung in Karlsruhe.

(Foto: picture alliance / dpa)

"Die Vorratsdatenspeicherung ist in ihrer jetzigen Fassung völlig überzogen", moniert die Frankfurter Rundschau. Zu viele Daten würden zu lange gespeichert "und zu viele Behörden haben zu leicht Zugriff auf die sensiblen Informationen. Die Vorratsdatenspeicherung ist ein Verstoß gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und eine Beschränkung der Pressefreiheit. Oder, noch simpler ausgedrückt: In ihrer jetzigen Fassung ist die Vorratsdatenspeicherung schlichtweg verfassungswidrig".

Für das Badische Tageblatt wiegen die Argumente, die gegen die massenhafte Speicherung persönlicher Kommunikationsdaten sprechen, schwer. Ein Rechtsstaat dürfe seine Bevölkerung nicht unter Generalverdacht stellen, heißt es hier. "Tut er es doch, hört er auf, Rechtsstaat zu sein." 82 Millionen Bürgern Grundrechtseingriffe zuzumuten, nur um ein paar schwarze Schafe einzufangen, die sonst entwischt wären, sei "unverhältnismäßig". Hinzu komme, dass niemand die Hand dafür ins Feuer legen könne, "dass die gespeicherten Daten allzeit sicher vor unbefugtem Zugriff sind". Zu viele Skandale seien schon publik geworden, zu viele persönliche Daten schon verschwunden oder auf dem Schwarzmarkt verhökert worden, "als dass man glauben sollte, die Verbindungsdaten lagerten sicher", konstatiert das Blatt aus Baden-Baden.

Der Münchner Merkur hakt ein: "Wer meint, es schade auch nichts mehr, wenn der Staat den kompletten Telefon- und Internetverkehr seiner Bürger monatelang speichert, wie es das Vorratsdaten-Gesetz regelt, der irrt. Nicht nur, weil etwa Ärzte, Anwälte oder Journalisten fürchten müssen, dass hochsensible Informationen in falsche Hände gelangen, sondern vor allem deshalb, weil der Staat die gesamte Bevölkerung unter Generalverdacht stellt. Da geht einem das Wort Rechtsstaat nur noch zähneknirschend über die Lippen".

Auch die in Magdeburg erscheinende Volksstimme sieht keinen Grund, "diesen weitreichenden Eingriff in die Privatsphäre von Millionen unbescholtener Bürger gesetzlich zu erlauben". Es sei schlichtweg "unverhältnismäßig, ein ganzes Volk auf Vorrat zu Verdächtigen zu machen, um eine Handvoll Schwerkrimineller leichter zu fangen. Es ist auch nicht zweckmäßig, weil Ganoven andere Kommunikationswege nutzen würden". Zudem beschwöre eine gigantische Datensammlung zwangsläufig Missbrauchsgefahren herauf. Ein Rechtsstaat, so das Blatt, "zeichnet sich dadurch aus, dass er stets sorgfältig abwägt zwischen seinen polizeitechnischen Möglichkeiten und den Freiheits-Grundrechten des einzelnen Bürgers. Das ist der feine, aber entscheidende Unterschied zu einem Polizeistaat".

Die Märkische Oderzeitung wirft ein, dass sich der Staat in einer technisierten Welt, in der immer mehr über Telefon oder Computer abläuft, nicht blind stellen könne, wenn es um die Verbrechens- oder Terrorszene gehe. "Dass aber das 'Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung' gleich jeden Bürger pauschal ins Visier nimmt, dürfte mit dem Grundrecht auf informelle Selbstbestimmung kaum vereinbar sein. (…) Die Bundesregierung verteidigt sich damit, nur eine EU-Richtlinie umgesetzt zu haben. Sie ist aber über Brüsseler Vorgaben hinausgeschossen und hat eine großangelegte Nutzung - auch für Geheimdienste - beschlossen."

Letztlich, so die Leipziger Volkszeitung, ist die Klage vor dem Verfassungsgericht ein Erfolg, "selbst wenn sie erfolglos bleiben sollte": "Fast 35.000 Menschen melden vor dem Verfassungsgericht Bedenken gegen die Vorratsdatenspeicherung an. Als Bürger mischen sie sich in die Politik ein, demonstrieren dabei Vertrauen in den Rechtsstaat". Das allein sei bereits ein Sieg der Demokratie". Doch die Gründlichkeit, mit der das Thema in Karlsruhe behandelt werde, stehe in bizarrem Gegensatz zum Leichtsinn, mit dem viele Menschen tagtäglich ohne Not Informationen preisgeben. "Das beginnt beim Einkauf mit Kundenkarte und hört beim Einstellen privater Fotos ins Internet nicht auf. Wer im Alltag so blauäugig und oft hemmungslos handelt, hat wahrlich keinen Grund, sich über die exakt geregelte staatliche Kontrolle aufzuregen."

Quelle: ntv.de, Zusammengestellt von Susanne Niedorf

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