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Datenschützer kritisieren Sammelwut des Staates

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Interviewer müssen nicht in die Wohnung gelassen werden. Der Fragebogen kann auch allein ausgefüllt werden
Quelle: picture alliance / dpa Themendie/dpa Themendienst
Im Mai wird die deutsche Bevölkerung zum ersten Mal seit der Wiedervereinigung gezählt. Die Bürger werden auch nach Religion und Migrationshintergrund gefragt.

Unter deutschen Wohnungs- und Hauseigentümern herrscht derzeit große Ratlosigkeit. Zwei Drittel fühlen sich nicht genügend über ihre Rechte und Pflichten informiert, wenn zum Stichtag 9. Mai die erste große Volkszählung seit der Wiedervereinigung durchgeführt wird. 17,5 Millionen Eigenheimbesitzer müssen dann detaillierte Auskünfte über das Baujahr der Immobilie, die Zahl der Wohnungen, die Heizungsart und die Eigentumsverhältnisse geben.

Laut einer Umfrage des Online-Portals Immobilienscout24.de gab ein Drittel der 1044 Befragten an, dass ihnen die so genannte Gebäude- und Wohnungszählung komplett neu sei. Ein weiteres Drittel (35 Prozent) habe davon zwar schon gehört, wüsste aber nichts Genaues über die anstehende Befragung. Auch das Statistische Bundesamt in Wiesbaden gibt zu, dass noch Aufklärungsbedarf bestehe. "Bei einem Großteil der Betroffenen ist das Thema noch nicht präsent", sagt Daniela Hartmann vom Statistischen Bundesamt.

Ab dem 4. April soll eine groß angelegte Informationskampagne mit TV-Spots und Plakatwerbung die Bürger aufklären. Immerhin muss ein Drittel der Bevölkerung Rede und Antwort stehen. Wer die Auskunft verweigert, muss ein Zwangsgeld ab 200 Euro zahlen.

Zehnseitiger Fragebogen

Der "Zensus 2011"geht auf eine 2008 getroffene Verordnung der Europäischen Union zurück. Jedes EU-Land soll 2011 nicht nur seine Einwohner zählen, sondern gleichzeitig persönliche Daten erheben, etwa über Wohnraum, Beschäftigung und Familienverhältnisse. Künftig soll dies laut EU-Verordnung alle zehn Jahre stattfinden.

Etwa zehn Prozent der Haushalte bekommen einen zehnseitigen Fragebogen. Daneben werden die – noch etwas ratlosen – Wohnungs- und Hauseigentümer sowie Wohnungsunternehmen befragt. Auch Einrichtungen wie Notunterkünfte, Flüchtlingslager, psychiatrische Kliniken und Justizvollzugsanstalten müssen Auskunft geben.

Widerstand von Datenschützern

Das letzte Mal, als die Bundesrepublik ihre Bürger zählen wollte, gab es viel Widerstand. Erst kippte das Bundesverfassungsgericht 1983 die Fragebögen zur Volkszählung. Vier Jahre später boykottierten viele Bürger 1987 die Erhebung mit den überarbeiteten Fragen.

Und auch jetzt gibt es wieder Proteste. Kritikern sind die vielen Fragen zu persönlich, manche würden die Ergebnisse sogar verfälschen. So sollen Bürger etwa angeben, welcher Religion sie angehören – eine Frage, die von der EU nicht gefordert wird. "Diese Frage gehört nicht in eine Volkszählung", sagt Werner Hülsmann vom Arbeitskreis (AK) Zensus, der gegen die Befragung protestiert. Der AK Zensus ist ein Ableger des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung, einem Zusammenschluss von Datenschutz-Aktivisten und Bürgerrechtlern.

Zusätzlich enthält der Katalog eine ebenfalls nicht von der EU vorgegebene Frage nach dem persönlichen Glaubensbekenntnis, die allerdings freiwillig ist. Mit den Antworten könnten laut Hülsmann regelrechte Register über verschiedene religiöse Gruppen in Deutschland erstellt werden, sagt er. Bayerns Datenschutzbeauftragter Thomas Petri hatte sich sogar dafür eingesetzt, die Frage nach dem Glaubensbekenntnis zu streichen. Ohne Erfolg. "Ich frage mich, ob diese sensible Auskunft wirklich wichtig ist für Steuerungszwecke", sagt Petri. Er will nun zumindest darauf achten, dass die Interviewer deutlich sagen, dass die Frage freiwillig ist, wenn sie die Teilnehmer aufsuchen.

Der Berliner Datenschutzbeauftragte Alexander Dix sieht diese Frage ebenfalls kritisch, verweist aber darauf, dass die Frage auf Wunsch der Kirchen in den Katalog aufgenommen worden ist. Problematischer sieht er dagegen den Zwang zur Auskunft: "Ich hätte mir gewünscht, dass der Anteil an freiwilligen Fragen höher ist", sagt er. So seien Fragen zum höchsten beruflichen Bildungsabschluss und zum derzeit ausgeübten Beruf sehr persönlich. Der Eingriff in die Privatsphäre der Bürger sei ungleich höher, wenn die Bürger zur Auskunft verpflichtet würden, so Dix. Er betont, dass trotz der Auskunftspflicht kein Teilnehmer die Interviewer in die Wohnung lassen müsse. Der Fragebogen könne auch alleine ausgefüllt werden.

"Ein Problem, um das wir uns kümmern müssen"

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Der AK Zensus kritisiert zudem die Frage nach dem Migrationshintergrund. So müssen die Teilnehmer Auskunft darüber geben, ob die Eltern nach 1955 in das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zugezogen sind. "Das hieße dann auch, dass eine Person, deren Mutter 1956 aus dem grenznahen Elsass zugezogen ist, einen Migrationshintergrund besitzt", kritisiert Hülsmann. "Ob dieses Datum aussagekräftig ist, darf bezweifelt werden."

Auch dass Daten aus Verwaltungsregistern wie Einwohnermelde- oder Arbeitsämtern in die Datenerfassung mit einfließen, ist für Hülsmann mehr als problematisch. "Das ist Zweckentfremdung", sagt er. Dafür seien die Daten nicht erhoben worden. Die gewonnenen zentralen Datensammlungen würden zwangsläufig Begehrlichkeiten bei Politik, Unternehmen und auch Kriminellen wecken. Schließlich würden die personenbezogenen Daten mit einer Kennnummer versehen, die eine eindeutige Identifizierung der eigentlich anonymen Daten zuließen.

Der Datenschutzbeauftragte Dix verspricht, dass man das Verfahren genau überwachen werde, um zu verhindern, dass Daten in Hände Dritter gelangten. Zwar gebe es sensiblere Bereiche wie die Vorratsdatenspeicherung oder das Elena-Verfahren. Dennoch gibt er zu: "Die Volkszählung ist durchaus ein Problem, um das wir uns kümmern müssen."

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