WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Geld
  3. Verbraucher
  4. Riesige Datenspeicher: Wie Ihr Smartphone Sie überwacht und ausspioniert

Verbraucher Riesige Datenspeicher

Wie Ihr Smartphone Sie überwacht und ausspioniert

Korrespondent für Innovation, Netzwelt und IT
Facebook Ortungsdienst "Places" Facebook Ortungsdienst "Places"
Ortungsdienste auf dem Smartphone, wie etwa "Places" von Facebook, ziehen immer wieder Kritik von Datenschützern auf sich
Quelle: dpa
Was in George Orwells Roman "1984" noch Science-Fiction war, ist längst Realität: Mobilfunkanbieter speichern Kundendaten oft länger, als es das Gesetz verlangt. Denn sie sind bares Geld wert.

Wo war jetzt noch der Stau? Irgendwas hatte Lara G. doch in den Verkehrsinfos mitbekommen – hätte sie doch genau zugehört. Aber wozu gab es schließlich die entsprechende Anwendung für ihr Smartphone? Zwei Minuten später war der Fall geklärt, auf kleinen Umwegen hatte die Berlinerin freie Fahrt in die Stadt.

Wie Lara G. nutzen viele Menschen die Segnungen ihrer mobilen Kleinstcomputer mit Telefonfunktion ganz selbstverständlich – freilich ohne sich Gedanken zu machen, dass es zu diesem Segen komplementär auch einen Fluch gibt.

Denn die Verbindungsdaten zu ihrem Abruf der Stauinfos wurden fein säuberlich von ihrem Mobilfunkanbieter gespeichert. Und der hält sie vielfach länger vor, als es gesetzlich notwendig wäre. Auf Anfrage wiegeln die Netzbetreiber ab: Die Daten seien zur Rechnungslegung erforderlich. Doch klar ist auch: Wer von wo aus telefoniert oder das Internet nutzt, sind Informationen, die bares Geld wert sind. Willkommen in 1984, liebe Smartphone-Nutzer.

Lückenlose Bewegungsprofile

Bereits im September 2011 hatte ein Dokument mit dem Vermerk "Nur für den Dienstgebrauch" hohe Wellen geschlagen: Die Münchner Staatsanwaltschaft hatte in ihrem "Leitfaden für den Datenzugriff" aufgelistet, welche Daten Mobilfunk-Netzbetreiber speichern und wie Ermittler darauf zugreifen können.

Den Leitfaden hatte der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung (AK Vorrat) von unbekannter Quelle erhalten und online gestellt. Die Anleitung dokumentierte perfekt, dass die Anbieter nicht nur Abrechnungsdaten, sondern auch Standort der Telefone abspeichern und mitunter über ein halbes Jahr lang auf ihren Servern parat halten.

Besonders spannend für Ermittler: Die "Cell-ID", der Standort des Mobilfunksenders, über den das Telefon ins Netz eingebunden ist. Da moderne Smartphones ständig Datenverbindungen aufbauen, lassen sich so fast lückenlose Bewegungsprofile erstellen. Die "Welt am Sonntag" fragte bei Mobilfunkanbietern nach, wie sie es inzwischen mit der Datenspeicherung halten.

Rechtlich ist die Lage eindeutig. Sechs Monate ab Rechnungsstellung, so geben Telekommunikationsgesetz (TKG) und Bundesdatenschutzgesetz vor, dürfen Anbieter die Daten maximal speichern. Gespeichert werden sollen Daten, die zur Abrechnung nötig sind.

Von diesem Freiraum machen die vier Netzbetreiber Telekom, Eplus, Vodafone und O2 extrem unterschiedlich Gebrauch. Die Deutsche Telekom arbeite bereits an einer Verkürzung der Speicherdauer, so ein Sprecher. "Zum 1.Juli werden wir den Speicherzeitraum von Mobilfunkverkehrsdaten von 30 auf 7 Tage reduzieren."

Vodafone speichert Daten am längsten

Vodafone speichert Art und Dauer von ausgehenden Verbindungen, Gesprächspartner und den groben Standort des Telefons 210 Tage lang. Ausdrücklich schließt Vodafone auch Datenverbindungen ein. Damit speichert der Anbieter die Daten von allen Netzbetreibern am längsten. Auf Anfrage verweist Vodafone auf das TKG, auch auf Nachfrage der Bundesnetzagentur gibt der Konzern an, die Daten würden zur Abrechnung benötigt.

Anzeige

Eplus liegt mit seiner Speicherfrist von 80 Tagen zwischen Deutscher Telekom und Vodafone. Der Konzern speichere "die Daten genau bis zwei Monate nach Rechnungsstellung, denn so lange haben unsere Kunden Zeit, bei offenen Fragen zu widersprechen".

Die Cell-ID werde ebenso lange zu Abrechnungszwecken gespeichert, sie sei notwendig, um etwa Fragen zum Auslands-Roaming zu klären, wenn sich der Nutzer in einem Grenzgebiet zwischen deutschem und ausländischem Anbieter bewege.

Telefónica O2 speichert Verkehrsdaten bis zu sechs Monate und gibt als Grund neben Abrechnungszwecken auch die Bekämpfung von Missbrauch an. Die Position des Nutzers via Cell-ID werde immer gespeichert, auch um Tarife mit ortsgebundener "Home Zone"-Flatrate abrechnen zu können. Jedoch haben längst nicht alle O2-Tarife eine solche Funktion.

Keine Konsequenzen für Firmen

Der AK Vorrat reagiert ungehalten auf die Auskünfte: "Dass die Firmen bei der Speicherung des Telefonstandorts auf Abrechnungszwecke verweisen, ist unmöglich", ärgert sich Netzaktivist Padeluun vom AK Vorrat. "Die Speicherung der Cell-ID ist illegal, die Info wird nicht für die Rechnung benötigt."

Auch Auslands-Roaming oder Home-Zones ließen sich, so der AK Vorrat, direkt bei Zustandekommen der Verbindung intern abrechnen – die Speicherung des Standorts sei unnötig, zumal so lange. Auch die Bundesnetzagentur als Aufsichtsbehörde der Mobilfunker ist von deren Verteidigung nicht überzeugt, sie antwortete den Firmen: "Die Speicherung des Standorts ist nur bei standortabhängigen Tarifen zulässig."

Konsequenzen müssen die Firmen vorerst nicht fürchten: Die Behörde will zunächst mit dem Bundesdatenschutzbeauftragten einen Leitfaden zur Verbindungsdatenspeicherung erstellen – wann der fertig ist, ist unklar.

Auch Apps sammeln Daten

Nicht nur die Mobilfunkanbieter sammeln Daten über Aufenthaltsorte der Telefon-Kunden, auch Programmierer der "Apps" genannten Anwendungen sowie Smartphone-Hersteller gelüstet es nach Geodaten ihrer Nutzer: "Girls around me" hieß ein Programm, das bis vor Kurzem frei in Apples Appstore verfügbar war.

Anzeige

Es zeigte Nutzern, in welcher Location in ihrer Umgebung welche Single-Frauen zu finden waren. Das Programm kombinierte lediglich frei verfügbare Daten: Facebook lieferte Bilder und Beziehungsstatus der Mädels, das geolokale Netzwerk Foursquare ihren Aufenthaltsort – heraus kam jedes Datenschützers Albtraum. Foursquare sperrte den "Girls around me"-Machern schließlich den Zugang zu ihren Daten.

Über 30 Prozent beträgt der weltweite Marktanteil von Smartphones am Mobilfunk-Markt, jedes aktuell erhältliche Gerät ermittelt per GPS-Empfänger ständig seine Position. Die Zahl der Apps und Anwendungen, die diese Daten benötigen, steigt schnell – und mit ihr die Anzahl der User, die so ihren Aufenthaltsort zuverlässig verraten.

Spionageprogramme auf dem iPhone

iPhone-Kunden etwa müssen dafür nicht mal ein Programm installieren, ihr Telefon bringt von Haus aus Anwendungen mit, die die Position des Nutzers versenden – so etwa die Anwendung "Freunde finden" oder "Mein iPhone suchen". Beide Programme sind veritable Spionageprogramme, mit denen etwa eifersüchtige Nutzer ihren Lebenspartnern nachstellen können. Apple gibt an, diese Daten auch selbst anonymisiert für die "Verbesserung der eigenen Angebote" zu verwenden.

Zwar müssen die Apps, die Zugriff auf den GPS-Chip eines Smartphones haben wollen, beim ersten Programmstart den Nutzer um Zugang bitten. Doch oft wird einfach durchgewinkt, denn wofür die App den Zugang benötigt, muss nicht verraten werden.

Eine Studie des Pew Research Center zeigte: Knapp 30 Prozent aller Smartphone-Besitzer nutzen Programme, die den Aufenthaltsort des Nutzers versenden – etwa um ihm Sonderangebote und Restaurantempfehlungen in der Umgebung zu liefern.

Werbetreibende wollen dem Nutzer zu seinem Standort passende Anzeigen liefern. Netzbetreiber sammeln die Positionsdaten, um ihre Netze zu optimieren. Navigationsapps können am Aufenthaltsort ihrer Nutzer sehen, wo Staus sind.

"Die Nutzer wissen jedoch nie, wann welche Ortungsdaten erhoben, an wen sie übermittelt oder wie lange sie gespeichert werden", gibt der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar zu bedenken. Er fordert die Anbieter auf, ihre Nutzer besser zu informieren, welche Standortdaten für welchen Zweck erhoben werden und wie lange die Daten dann gespeichert werden.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema