Vorratsdatenspeicherung: Netzaktivisten als Bürgerrechtler

Der Protest gegen Vorratsdatenspeicherung vereint Netzaktivisten, FDP, Linke, Provider-Vertreter und viele andere. Eine Protestbewegung wie 1983 entsteht aber nicht, sagt ein Bewegungsforscher.

Der Protest gegen Vorratsdatenspeicherung treibt eine bunte Masse von Protestlern auf die Straße. Bild: ap

Flaggen von der FDP, Transparente der Linkspartei und auf der Bühne das grüne Urgestein Hans-Christian Ströbele - selten sah man die Oppositionsparteien so einig wie diese Woche in Berlin. Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung (AK) hatte zu bundesweiten Protesten aufgerufen, und über 10.000 Menschen kamen - "nach unserer letzten Rechnung in 43 Städten", sagt Ricardo Remmert-Fontes, Sprecher des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung. Ihr Protest richtet sich gegen den von Justizministerin Brigitte Zypries vorgelegten Gesetzentwurf zur Datenspeicherung, den CDU und SPD heute im Bundestag verabschieden wollen.

"Eine Gründung an sich gab es gar nicht", sagt Rena Tangens. Sie vergibt mit ihrer Datenschutzgruppe namens FoeBud jährlich die deutschen Big Brother Awards und zählt zu den Leuten der ersten Stunde des AK. Der Startschuss fiel 2005 auf einem internationalen Treffen des Chaos Computer Clubs, als Netzaktivisten, Hacker, Vertreter von Providern und Datenschützer eine erste Mailingliste verabredeten. Man wollte sich auf dem Laufenden halten in Sachen Überwachungsstaat. Bis heute ist der Arbeitskreis ein loses Netzwerk verschiedener Organisationen, ein parteiunabhängiges "Zweckbündnis" für gemeinsame Aktionen. "Das muss auch so sein, damit sich möglichst viele Leute engagieren", meint Tangens.

Dass der Staat in immer mehr private Bereiche vordringt, dass die private Kommunikation immer weiter eingeschränkt werden soll, sehen die Gegner der Vorratsdatenspeicherung als eine "Veränderung, die für die Demokratie schädlich ist". Jeder Bürger habe ein Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Um das Bewusstsein dafür bei der breiten Masse zu erwecken, werden Blogger und Netzaktivisten politisch aktiv und vernetzen sich mit Berufsverbänden. Insgesamt 55 Organisationen haben bis heute die gemeinsame Erklärung zum Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung unterzeichnet, darunter Journalistenverbände, Zeitungsverleger, Telefonseelsorger und Verbände von Psychologen und Anwälten. Zugleich organisieren sie bereits jetzt juristischen Einspruch, sollte das Gesetz vom Bundestag verabschiedet werden.

Inzwischen interessiert das auch die breite Bevölkerung. Blieben die Demonstrationen gegen den Überwachungsstaat im vergangenen Jahr noch weitgehend unbeachtet, waren es im April bereits 2.000 Teilnehmer in Frankfurt am Main. Dass es 15.000 Menschen werden sollten, die am 23. September in Berlin gegen die geplanten Onlinedurchsuchungen auf die Straße gingen, damit hatte niemand gerechnet. "3.000 waren angemeldet", so Tangens.

Mit der finanziellen Unterstützung tun sich die Verbände aber scheinbar etwas schwerer. Spenden kämen zwar von zahlreichen Privatpersonen, aber nur von wenigen Organisationen, sagt Werner Hülsmann, der sich um die Finanzen kümmert. "Üblich sind 5 bis 50 Euro." Die "Großspenden" bis zu 1.000 Euro fallen da schon richtig auf.

Dass sie im Vorfeld des Zypries-Gesetzentwurfs bundesweit wieder breiten Zuspruch erfahren haben, werten die Aktivisten als Grundsteinlegung für eine neue Bewegung. "Wir wollen anknüpfen an die Friedensbewegung, die damals auch die Volkszählung verhindert hat", sagt Remmert-Fontes.

Der Bewegungsforscher Dieter Rucht vom Wissenschaftszentrum Berlin sieht dagegen wenig Chancen für eine große Breitenwirkung. "Dass sich einzelne Gruppen an erfolgreiche Bewegungen anschließen mögen, um zu suggerieren, dass so ein beeindruckender Erfolg wie 1983 wieder möglich ist, überrascht nicht." Rucht vermisst eine gemeinsame Basis. Denn mit der Verbreitung von Computern in Privathaushalten habe auch das Misstrauen in der Bevölkerung gegenüber Datenerfassungen abgenommen.

Gestiegen seien jedoch Befürchtungen bei kleinen, gut informierten Gruppen. Die seien zwar "hoch alarmiert", würden aber ziemlich schnell an ihre Grenzen kommen, weil sie nur das hochgradig politisierte Publikum erreichen können.

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