Petitionsrecht komplett ad absurdum geführt

Der Deutsche Bundestag hat das Verfahren zur Petition gegen die Vorratsdatenspeicherung abgeschlossen. Sowohl die Begründung als auch das Verfahren an sich werfen viele Fragen auf

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Während die verschiedenen Petitionen gegen die Vorratsdatenspeicherung als sachgleich zusammengefasst wurden, geht die Begründung der Ablehnung lediglich auf eine Argumentation ein. Bug oder Feature im Petitionssystem? Telepolis sprach mit Ricardo-Cristof Remmert-Fontes, Kai-Uwe Steffens und Stefan Hermes

Der Deutsche Bundestag hat das Verfahren zur Petition gegen die Vorratsdatenspeicherung abgeschlossen. Insbesondere wird darauf Bezug genommen, dass es laut Petition "gerade im Bereich der Internetkommunikation ohne weiteres möglich sei, sich der Vorratsdatenspeicherung zu entziehen". Laut Petitionsausschuss hätte man auf diese Entziehungsmöglichkeiten jedoch bereits eine Lösung gefunden und umgesetzt: nämlich durch die Verpflichtung von Betreibern von Anonymisierungsdiensten, ebenfalls mitzuloggen.

Ricardo-Cristof Remmert-Fontes: Seien wir ehrlich: die Petition war etwas unglücklich formuliert. Tatsächlich ist für mich das Argument, dass man Überwachungsmaßnahmen umgehen könne, ein durchaus gültiges. Denn die wirklichen Kriminellen, aber auch einfach nur technisch versierte beziehungsweise begüterte Leute werden immer Möglichkeiten haben. Es ist eine Frage des Know-How und/oder der finanziellen Ressourcen.

Aber technische Fragen dürfen in Bezug auf grundlegende Werte und Normen oder den Bruch derer durch neue Gesetze keine Begründung sein. Die Frage, die wir stellen müssen, lautet, ob sich durch die Vorratsdatenspeicherung und dergleichen unsere demokratische Gemeinschaft verändert und ob diese Entwicklung gut oder schlecht ist.

Und tatsächlich: der Petitionsausschuss beantwortet ungefragt eine wichtige Frage, nämlich ob es (seiner Meinung nach) grundsätzlich ein Recht auf anonyme Kommunikation, also auf Vertraulichkeit schlechthin gäbe. Er verneint. Das ist sehr bedenklich.

Kai-Uwe Steffens: Diese Begründung zeugt von begrenztem Sachverstand bei gleichzeitig unzureichender Beratung durch Fachleute. Deutschland ist keine Insel im Internet, sondern Teil des globalen Netzes. Wer die Vorratsdatenspeicherung durch Anonymisierung umgehen will, kann das bei Umsetzung der genannten Verpflichtung zwar nicht mehr über einen deutschen Anbieter tun. Aber jeder Anonymisierungsserver, der außerhalb der durch die Vorratsdatenspeicherung überwachten Zone steht, bietet die Möglichkeit, die Vorratsdatenspeicherung auszuhebeln. Es ist schon bezeichnend, dass dieser Sachverhalt in den parlamentarischen Schriften nicht auftaucht.

Wieso verneint der Bundestag verneint ein Recht auf anonyme Kommunikation?

Ricardo-Cristof Remmert-Fontes: Die Aussage des Petitionsausschusses impliziert, dass Anonymisierungsdienste loggen müssen, weil man ansonsten über sie anonym kommunizieren könne. Man will also anonyme Kommunikation verhindern und sagt, das Gesetz würde eben anonyme Kommunikation verhindern.

Hier fehlt auch der Vergleich mit der Telefonzelle oder der Briefpost - dann hätte der Petitionsausschuss sicher nicht so argumentieren können.

Denn: der Terminus "Anonymisierungsdienste" ist nicht definiert, er ist erklärungsbedürftig und könnte so unerklärt streng genommen auch Briefpost oder Telefonzellen bedeuten. Ich bin sicher, der Petitionsausschuss hat daran nicht gedacht. Oder er denkt daran. Die Post speichert ja schon seit Jahren die "Verkehrsdaten".

In der Begründung des ablehnenden Beschlusses findet sich auf eine Passage zu den Kommunikationsinhalten. Hier wird darauf verwiesen, dass Inhalte nicht erfasst werden. Ist dem tatsächlich so oder kommt es auch zu einer Vermischung von Inhalten und Verbindungsdaten durch zum Beispiel spezielle Rufnummern und so weiter?

Ricardo-Cristof Remmert-Fontes: Ja, natürlich. Die Umstände der Kommunikation können eine Menge aussagen und genau deshalb zähle ich die Verkehrsdaten zum Kernbereich privater Lebensführung oder jedenfalls zu besonders sensiblen Daten, die eigentlich auch durch das Post- und Telekommunikationsgeheimnis geschützt werden müssten. Es sagt etwas aus, wenn ich bei der Telefonseelsorge anrufe - und genau das geht den Staat nichts an!

Kai-Uwe Steffens: Richtig. Hier liegt, auch und gerade in kritischen Fällen, das Beschlussgremium wieder falsch. Aus vielen Telefonnummern und Email-Adressen geht der Inhalt der Kommunikation mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit direkt hervor. Wer die Nummer eines Telefonerotik-Anbieters anwählt, wird kaum nach dem Wetteraussichten fragen. Wenn - möglicherweise gar gegen Bezahlung eines Systembetreuers - so ein Verbindungsnachweis für den Anschluss eines Prominenten in die Öffentlichkeit gelangt, hat dieser ein echtes Problem. Ähnlich sieht es für die jugendliche Tochter aus gutem Hause aus, die sich mit ihrer ungewollten Schwangerschaft an eine Beratungsstelle wendet. Eine Protokollierung von Verbindungen beinhaltet also sehr oft auch Hinweise auf die Kommunikationsinhalte. Die Beruhigungsstrategie des Gesetzgebers versucht, davon abzulenken und zu verharmlosen.

Warum die Begründung zur Ablehnung der Petition eklatante Mängel im Petitionsrecht offenbart

Andere Petitionen gegen die Vorratsdatenspeicherung wurden mit den negativen Auswirkungen auf die Privatsphäre, das freie Agieren von Menschen usw. begründet. Auch die Verhältnismäßigkeit, die Auswirkungen der Vorratsdatenspeicherung auf im GG festgelegte Grundrechte usw. fanden sich in den Petitionen, unter anderen der von Stefan Hermes, wieder. Diese Petitionen wurden als "sachgleich" bewertet und dementsprechend mit der von Herrn Fay zusammengelegt. In der Begründung des Bundestagsbeschlusses finden sich jedoch keine Antworten auf die Fragen beziehungsweise Kritikpunkte der anderen Petitionen.

Kai-Uwe Steffens: Dass diese anderen Petitionen als "sachgleich" in die abgelehnte Petition integriert, dann aber nicht beantwortet wurden, ist meines Erachtens unzulässig.

Der angesprochene Punkt der negativen Auswirkungen ist wohl der Wichtigste überhaupt. Denn der Grundrechtseingriff, also die Beschneidung der persönlichen Freiheit des Einzelnen, findet nicht erst statt, wenn die Überwachung praktisch durchgeführt wird. Die Verletzung der Grundrechte setzt bereits dann ein, wenn der Bürger befürchten muss, dass er überwacht wird. Denn schon dann wird er sich anders verhalten und – siehe zum Beispiel die Schwangerschaftsberatung nicht anrufen. Unserer Meinung nach sind diese Konsequenzen des Vorratsdatenspeicherungsgesetzes völlig unerträglich. Dass diese Argumentation vom Parlamentsgremium übergangen wurde, ist sehr beunruhigend.

Oder erhielten die anderen Petenten anders lautende Begründungen für eine Ablehnung?

Stefan Hermes: Nein. Der Petitionsausschuss hat mir ein wortgleiches Schreiben wie Herrn Fay zukommen lassen. In diesem wird um Verständnis dafür gebeten, dass nicht auf jeden einzelnen Gesichtspunkt der Petitionen eingegangen werden kann und die Petition wird auf Grundlage einer Stellungnahme des Justizministeriums zur Petition von Herrn Fay beantwortet. Meine grundrechtlichen Bedenken werden weder in der Forderung noch der Antwort des Petitionsausschusses gewürdigt.

Ricardo-Cristof Remmert-Fontes: Ja, da haben es sich wohl die Befürworter des Demokratieabbaus durch Massenüberwachung leicht gemacht - man kann getrost die demokratische Gesinnung der Verantwortlichen in Zweifel ziehen.

Stefan Hermes: Es ist erschreckend zu sehen, dass auf eine Lücke in der Überwachung eingegangen wird und wie die Regierung vorhat diese zu schließen, aber auf das Telekommunikationsgeheimnis nur bezüglich der Inhaltsspeicherung eingegangen wird, obgleich ich in meiner Begründung ausdrücklich die Schutzwürdigkeit der Umstände der Kommunikation nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes BVR 668/04 Absatz 81 Bezug genommen habe: "Der Schutz des Fernmeldegeheimnisses umfasst den Kommunikationsinhalt und die Kommunikationsumstände".

Ricardo-Cristof Remmert-Fontes: Diese Verfahrensweise macht es vor allem dem Petitionsausschuss, in dem ja Politiker aller Fraktionen sitzen, unnötig leicht, kritische Petitionen abzulehnen, weil der erste Petent vielleicht nicht über das notwendige Know-How verfügt oder einfach einige Aspekte nicht bedacht hat. Demokratisch ist das natürlich nicht. die Zusammenfassungen müssten eigentlich alle angesprochenen Punkte gebührend behandeln. Hier sollte es dringend eine Änderung des Petitionsrechtes geben.

Kai-Uwe Steffens: Richtig. Es drängt sich hier der Verdacht auf, dass man sich bei sachverwandten Petitionen jene aussucht, die am leichtesten juristisch ablehnbar ist, und alle anderen dann mit Hinweis auf diesen Vorgang verwirft. Diese Verstümmelung des Petitionsrechts mag für das Gremium bequem sein, wird aber unserem gemeinsamen Anspruch an unseren freiheitlichen Rechtsstaat nicht gerecht.

Stefan Hermes: Theoretisch wäre es so auch simpel, durch Strohmänner Petitionen gegen missliebige Gesetze quasi auszuschalten. Nimmt der Strohmann eine möglichst einfach entkräftbare Begründung für die Petition, so kann man diese ebenso leicht ablehnen und alle anderen Petitionen, die man als sachgleich zusammenfasst, werden dann komplett ignoriert. Damit wäre das Petitionsrecht komplett ad absurdum geführt und bestenfalls ein Placebo.