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Interview Ralf Bendrath "Datenverarbeitung ist Risikotechnologie"

Datenschutzexperte und -aktivist Ralf Bendrath erklärt im stern.de-Interview, welche Gefahr durch das Aufhäufen von Datenbergen droht, warum wir zu "borg"-artigen Mensch-Maschinen werden - und weshalb ihn der jüngste Bankdaten-Skandal freut.

Vor rund 20 Jahren formierte sich in Deutschland eine riesige Protestbewegung gegen die Volkszählung - aus Angst vor dem "Gläsernen Bürger". So gläsern wie heute war der Bürger noch nie, doch das stört nur wenige. Was ist passiert?
Der Niedergang der Datenschutz-Bewegung der 80er Jahre hat zum einen mit dem Schrumpfen der damals prägenden sozialen Bewegungen - Friedensinitiativen, Atomkraftgegnern, Hausbesetzern - zu tun. Diese Gruppen hatten die Volkszählung als direkten Angriff des repressiven Atomstaates verstanden und sich dagegen verbündet. Ein zweiter wesentlicher Faktor ist das Aufkommen des Internets in den 90ern. Das brachte zunächst einmal eine Attitüde des "Informationen-sind-frei" mit sich. Inzwischen sehen wir aber wieder deutlich mehr Bewusstsein für die Gefahren großer Datenhalden.

Zur Person

Der 40-jährige Politikwissenschaftler Ralf Bendrath forscht am Fachbereich "Technologie und Politik" der Technischen Universität Delft in Südholland. Von 2003 bis 2005 war er Koordinator der Datenschutz-Arbeitsgruppe der Zivilgesellschaft beim "Weltgipfel Informationsgesellschaft" der Vereinten Nationen. Er ist Autor bei netzpolitik.org und Mitglied im Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung. Für den 11. Oktober 2008 plant der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung in Berlin eine Großdemonstration unter dem Motto "Freiheit statt Angst!".

Die Gegner der Volkszählung verstanden das Wahren ihrer Privatsphäre als Beitrag zur Demokratie. Hat die Phrase vom "Kampf gegen den Terror" dazu beigetragen, dass nun gerade das Aufgeben der Pri-vatsphäre als demokratiedienlich angesehen wird?
Diese Behauptung, die ja im Kern bedeutet, man müsse den Rechtsstaat zu seiner eigenen Rettung abschaffen, hat vielleicht nach dem 11. September 2001 für eine Weile funktioniert. Inzwischen wird sie von immer weniger Menschen ernst genommen. Denn gerade in den Diskussionen um Lauschangriff, Vorratsdatenspeicherung und Online-Durchsuchung ist immer wieder deutlich geworden, dass eine Demokratie überwachungsfreie Räume braucht wie die Luft zum Atmen.

Sind überwachungsfreie Räume und die Hoheit über die eigenen Daten im Computer- und Internetzeitalter nicht sowieso dahin?
Es ist schwerer geworden als früher, seine Daten unter Kontrolle zu behalten, das stimmt. Und das liegt nicht nur am Internet, sondern auch an den explosionsartig wachsenden Speicher- und Verarbeitungskapazitäten - von denen neben den staatlichen Datensammlern auch eine unüberschaubare Zahl privater Datenkraken profitiert.

Würden Sie sagen, dass Soziale Netzwerke wie Facebook oder StudiVZ zu einer Art Datenexhibitionismus verleitet haben?


Man sollte das nicht überdramatisieren. Es gab auch früher schon "private" Sachen in der Öffentlichkeit, die man lieber nicht mitbekommen hätte: betrunkene Jugendliche an der Bushaltestelle, der Jogginganzug aus Ballonseide oder Tatoos an unpassenden Stellen. Dass sich das Internet vom reinen Dokumentenserver hin zu einer Plattform für soziale Vernetzung und Vergesellschaftung entwickelt hat, ist im Prinzip eine tolle Entwicklung. Das eigentliche Problem ist eher der "Datenvoyeurismus", das "Online-Stalking".

Man kann aber doch nicht darauf hoffen, dass der andere freiwillig wegsieht.
Natürlich muss man stärker darauf achten, welche Informationen über sich man in welchen Kontexten mit welchen Leuten austauscht. Ein Problem sehe ich darin, dass der jungen Generation hier in vielen Fällen Vorbilder für vernünftiges und angemessenes Verhalten fehlen. Die Elterngeneration kennt Internet-Kontaktplattformen ja oft gar nicht. Aber da läuft gerade ein gesellschaftlicher Lernprozess ab. Die Leichtfertigkeit, mit der die Leute noch vor einer Weile ihre Daten auf jeder Webseite hinterlassen haben, ist gewichen.

Die EU verlangt eine Vorratsdatenspeicherung ungekannten Ausmaßes. Viele sagen: "Na und? Ich hab doch nichts zu verbergen."
Natürlich haben wir alle etwas zu verbergen. Und das wird übrigens gesellschaftlich auch so erwartet. Wir tragen Kleidung. Wir reden in der Öffentlichkeit nicht über bestimmte Themen. Wir veröffentlichen vielleicht unsere Email-Adresse auf einer Webseite, aber nicht den aktuellen Kontostand.

Welche Gefahr sehen Sie in den aufgehäuften Datenbergen?


Was mit den Datenbergen passieren kann, ist oft schwer vorherzusagen, weil das von dem abhängt, der sie nutzt, und davon, welche weiteren Daten er zur Verfügung hat. Daher ist die Verarbeitung persönlicher Daten im Grunde eine Risikotechnologie. Das bedrohlichste Potenzial hat dabei immer noch der Staat, da er über repressive Instrumente verfügt, die im Extremfall Menschen das Leben kosten können. Und ganz gefährlich werden Daten, wenn sie dazu benutzt werden, Menschen mit automatischen Computerentscheidungen zu diskriminieren.

Wie sieht eine solche automatische Diskriminierung aus?
Das kann im Einzelfall bedeuten, dass man höhere Kreditzinsen zahlt, kein Flugzeug in die USA mehr betreten darf oder einen Job oder eine Wohnung nicht bekommt. Bei der Vorratsdatenspeicherung geht es aber auch um etwas Grundsätzliches: Hier sollen die Provider gezwungen werden, sämtliche Kundendaten zu speichern, nur weil einzelne Datensätze vielleicht mal für die Aufklärung von Kriminalfällen nützlich sein könnten. Da wird ein gesellschaftlicher Bereich nach polizeilicher Logik strukturiert. Juristen sehen hier bereits den Beginn des Polizeistaates.

Im jüngsten Bankdaten-Skandal scheint die Menschen weniger der Umstand zu stören, dass ihre Daten im Umlauf sind, als vielmehr, dass man damit Geld von ihren Konten einziehen kann.


Das kann man so nicht trennen. Hier wird den Leuten endlich klar, dass mangelnder Datenschutz auch mal ganz konkret Geld kosten kann. Insofern freut mich der Bankdatenskandal auch irgendwie.

Einem Datenschutz-Experten bereitet ein solch immenses Datenleck Freude?
Ja, denn hierbei ist das Risiko von Datensammlungen für alle deutlich geworden. Andere, eher repressive und oft viel schlimmere Folgen staatlicher Datensammelei und digitaler Diskriminierung treffen meist nur Randgruppen: Asylbewerber, Ausländer, Arbeitslose. Da denkt der Normalbürger gern, ihn beträfe so etwas ja nicht. Aber jetzt verlangen sogar die Innenpolitiker einen besseren Datenschutz und schärfere Strafen bei Nichteinhaltung. Die hatten bisher immer behauptet: Datenschutz ist Täterschutz.

Schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten?


Eine Reihe von Datenschutz-Skandalen und die Schwemme immer neuer Überwachungsgesetze seit 2001 haben immerhin dazu geführt, dass man mittlerweile eine neue Datenschutz-Bewegung im Entstehen sieht. Vor einem Jahr fand in Berlin die größte Demonstration gegen Überwachung seit 20 Jahren statt. Und an der Verfassungsklage gegen die Vorratsdatenspeicherung hat sich eine Rekordzahl von mehr als 34.000 Mitklägern beteiligt.

In Ihrem Essay "Zur Zukunft des Datenschutzes" behaupten Sie, wir würden künftig ein Borg-Leben führen. Was meinen Sie damit?
Die Borg sind eine Spezies aus der Fernsehserie "Star Trek", deren Körper teils menschlich sind, teils aus Maschinen bestehen - ein extremer Fall von Mensch-Maschine-Koppelung. Das sehen wir auch immer mehr an uns selbst. Wir tragen ein Handy mit uns herum als Verlängerung von Mund und Ohr. Wir lagern unser Gedächtnis an unsere Festplatte aus. Und bald wird sich niemand mehr ohne GPS-Empfänger orientieren können.

Neben der Verschmelzung von Mensch und Maschine diagnostizieren Sie auch eine immer stärkere Verschmelzung der Menschen untereinander.
Auch hier funktioniert der "Star Trek"-Vergleich: Jede Borg-Drohne ist jederzeit mit den anderen Borg verbunden und hört deren Gedanken. Etwas ganz ähnliches finden wir inzwischen auch bei uns, besonders stark in der jüngeren Generation: die ständige virtuelle Anwesenheit der Clique per SMS, Chat oder neuerdings Twitter. Dieses stete Im-Kontakt-Sein wird durch die enge Mensch-Maschine-Koppelung möglich.

Sie selbst netzwerkeln im Internet auf "Xing", "Facebook" und Co. fröhlich mit. Dem Borg-Leben stehen Sie also durchaus positiv gegenüber?
Ich achte recht genau darauf, was ich auf diesen Vernetzungs-Plattformen veröffentliche oder anderswo über mich preisgebe. Über viele Aspekte meines Lebens wird man im Netz nie etwas finden. Wer bewusst mit den Möglichkeiten, aber auch Risiken der neuen Medien umgeht, kann unglaublich viel bekommen - Kontakte, Feedback, Ideen, Zusammenarbeit. Man muss sich aber immer wieder fragen: Wie will ich mich darstellen und wer soll was über mich wissen? Im Zweifelsfall gilt: Weniger ist mehr. Das entlastet übrigens auch mein Gegenüber. Der andere muss dann nicht mehr überlegen, was er nun weitererzählen kann und was er für sich behalten soll.

Interview: Markus Wanzeck

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