Sichtbares Gerangel

Bürgerrechtler Selten waren die Chancen der Aktivisten für digitale Bürgerrechte größer als jetzt – aber nur, wenn die Digitalos aus den Erfahrungen der Ökos lernen

Der Vergleich lohnt sich: Zwei Großdemos in zwei Wochen, eine gegen Atomkraft, eine gegen elektronische Überwachung. Beide wenige Tage vor der Bundestagswahl. Wenn Aktivisten am 12. September in Berlin für „Freiheit statt Angst“ demonstrieren, werden sich viele davon wünschen, dass ihr Einsatz für digitale Bürgerrechte heute das ist, was die Initiativen für Frieden und Umweltschutz in den Achtzigern waren: der Nährboden einer Bewegung, die Gesellschaften veränderte. Selbst wer diese Hoffnung der Netzpiraten, Polit-Hacker und Datenschützer für übertrieben hält, kann doch einige aufschlussreiche Parallelen erkennen.

Ein Beispiel: Ähnlich wie der Umweltschutz damals erscheint vielen der Datenschutz heute als Splitterthema, das sich als Teil anderer Politikfelder abhandeln lässt, also etwa im Arbeitsrecht oder im Verbraucherschutz. Wer allerdings so denkt, verkennt, woher die Dynamik rührt, welche die Debatten um Internet-Zensur, Raubkopien und die Risiken digitaler Erfassung zuletzt gewonnen haben.

Es ist die Erkenntnis, dass es sich um ein vielleicht wahrgenommenes, aber politisch kaum vertretenes Thema handelt – selbst bei jenen Parteien, die sich als Bürgerrechtsparteien verstehen. Das mag sich durch mangelnde Sachkenntnis vieler Politiker erklären. Oder durch die ebenso verbreitete wie verharmlosende Vorstellung, digitale Daten ließen sich nicht anders verwenden als stapelbare Papierakten. In jedem Fall gilt: Ebenso wie die Ökos werden die Digitalos das Bewusstsein für das Ausmaß der Herausforderung erst schaffen müssen.

Ewig lockt die Eitelkeit

Nach vorsichtiger Schätzung haben die Atomgegner am 5. September 35.000 Menschen auf die Straße gebracht. Möglich, dass die Schäuble-Gegner da nicht herankommen. Dennoch waren die Chancen für die Wahrnehmung digitaler Bürgerrechte selten größer als jetzt. Das hat zum einen mit dem Wahlkampf zu tun. Vor allem aber sind Zahl und mediale Präsenz der Digital-Aktivisten derart angeschwollen, dass sie nicht mehr übersehen werden können.

Das birgt auch Gefahren. Denn umso sichtbarer die Initiativen werden, desto größer wird die Versuchung, sich auf Kosten der Mitstreiter zu profilieren. Ein Zeichen für diese Tendenz ist die Tatsache, dass es am Samstag in der Hauptstadt zwei Demos geben wird: die große des „AK Vorratsdatenspeicherung“ um 15 Uhr ab Potsdamer Platz, während ein Abspalter-Grüppchen zwei Stunden vorher beim Berliner Rathaus losläuft. Dabei ist die lehrreichste Erfahrung aus der Geschichte der Öko-Bewegung ja vielleicht, dass derjenige Einfluss gewinnt, der sich nicht in Rangeleien um die Wortführerschaft verkämpft, sondern sich verbündet – womöglich gar mit jenen, die einen früher enttäuscht haben.

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