Newsticker
Schlagzeilen, Meldungen und alles Wichtige
Die Nachrichten heute: Newsticker, Schlagzeilen und alles, was heute wichtig ist, im Überblick.
Zum Newsticker
  1. Home
  2. Politik
  3. Deutschland
  4. Elena und Datenschutz: Die Regierung zittert vor der Klage dieses Anwalts

Deutschland Elena und Datenschutz

Die Regierung zittert vor der Klage dieses Anwalts

Reporter Investigative Recherche
Starostik Starostik
Als Student wollte Meinhard Starostik den Kapitalismus abschaffen. Deshalb wurde ihm vorübergehend vom Verfassungsschutz der Weg in den öffentlichen Dienst versperrt
Quelle: dpa
Er bringt die Regierung bei den Bürgerrechten zur Weißglut: Heute reicht Meinhard Starostik beim Bundesverfassungsgericht eine Massenklage gegen den Elektronischen Entgeltnachweis Elena ein. Vor wenigen Wochen erst schrieb der Anwalt Rechtsgeschichte.

Der Mann, der die Bundesregierung das Fürchten lehrt, sitzt in einem schmucklosen Büro mit Blick auf den Berliner Lützowplatz. Meinhard Starostik verzichtet auf die Attribute eines erfolgreichen Anwalts. Statt teurer Anzüge trägt er Jacketts mit offenem Hemd. Sein Habitus erinnert mehr an Hans-Christian Ströbele als an Otto Schily, nur die grauen Haare fehlen. Der 60-jährige Starostik bringt die Regierung beim Datenschutz zur Weißglut: Heute reicht er beim Bundesverfassungsgericht eine Massenklage gegen Elena ein.

Starostik vertritt 22.000 Kläger und ist sich seiner Sache sehr sicher. Er geht davon aus, dass das 2009 vom Bundestag beschlossene Elena-Verfahrensgesetz der gerichtlichen Überprüfung nicht standhalten wird, weil es nach seiner Ansicht die Privatsphäre von Arbeitnehmern verletzt.

Das Konzept stammt von der Hartz-Kommission

Schon vor einigen Tagen hat er zu einer Pressekonferenz an diesem Mittwoch in ein Hotel der Marriott-Gruppe nach Karlsruhe eingeladen, zu einem Spektakel, das er zum Höhepunkt einer Kampagne gegen das Sammeln von Arbeitnehmerdaten machen will. Mit der Klage möchte er verhindern, dass der „gläserne Bürger“ vollends Wirklichkeit wird.

Für ihn ist der Ernstfall längst eingetreten: Seit 1. Januar sind die Arbeitgeber verpflichtet, sämtliche einkommensrelevanten Daten über ihre Beschäftigten an eine zentrale Speicherstelle bei der Deutschen Rentenversicherung zu übermitteln.

Das Konzept geht auf einen Vorschlag der Hartz-Kommission und auf Forderungen der Wirtschaft zurück, die mit der papierlosen Datenlieferung 85 Millionen Euro im Jahr spart. Der Staat, der eine „Anschubfinanzierung“ in Höhe von 55 Millionen Euro übernimmt und anschließend die Kosten übernimmt, will Arbeitnehmern damit Schummelmöglichkeiten bei den Nebenverdiensten nehmen.

„Die Lohndaten von 40 Millionen Arbeitnehmern dafür bis ins letzte Detail zu speichern, ist unverhältnismäßig und gefährlich“, sagt der Jurist und lehnt sich dabei lässig in seinen Stuhl zurück. „Anhand der Daten lässt sich nachvollziehen, wer welche Fehlzeiten hat. Ab Juli gilt dies auch für Abmahnungen und Kündigungsgründe.“

Die Namen der Kläger, darunter sind Beamte, Richter und Soldaten, wurden Starostik von Bürgerinitiativen zugeliefert. In den vergangenen Wochen hatten die Arbeitskreise „AK Zensur“ und „AK Vorratsdatenspeicherung“ Vollmachten von Bürgern für die Klage gesammelt.

Heimlicher Star der Bürgerinitiativen

Dabei machte der von Künstlern gegründete Bielefelder „Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs“ (FoeBuD) mit. Er verleiht jedes Jahr den „big brother award“, laut der französischen Tageszeitung „Le Monde“ ein „Oskar für Überwachung“. Die Initiativen fordern das Maximum: die vollständige Löschung der Elena-Daten.

Starostik ist kein Staranwalt, aber den Bürgerinitiativen für den Datenschutz gilt er gleichwohl als Star. Denn er ließ bereits die Vorratsspeicherung von Internet- und Telefonverbindungsdaten bei Telekom-Unternehmen sensationell vor dem Bundesverfassungsgericht scheitern. Damit hat Starostik Rechtsgeschichte geschrieben. Das Urteil erregte bundesweit Aufmerksamkeit.

Anzeige

Hinter der Masenklage, die damals von 35.000 Klägern getragen wurde, blieb er der Öffentlichkeit allerdings unbekannt. Für die neue Klage zitiert Starostik am liebsten einen Kernsatz der Karlsruher Richter, mit der sie die Vorratsdatenspeicherung am 2. März zu Fall brachten: „Dass die Freiheitswahrnehmung der Bürger nicht total erfasst und registriert werden darf, gehört zur verfassungsrechtlichen Identität der Bundesrepublik Deutschland.“

Jetzt will Starostik die Politik erneut vorführen. Und seine Gegner wissen, mit wem sie es zu tun haben. Schon über das Urteil gegen die Vorratsdaten war Innenminister Thomas de Maizière (CDU) „nicht erfreut“. Der Schäuble-Nachfolger befürchtet, dass als Folge des Karlsruher Spruchs die Internetkriminalität steigen könnte.

Er wollte den Kapitalismus abschaffen

Noch mehr würde sich der Minister ärgern, wenn er wüsste, welchen Hintergrund sein Kontrahent hat. Der im nordrhein-westfälischen Marl geborene Starostik spricht darüber nur zögerlich. Zunächst studierte er an der Freien Universität im damaligen West-Berlin zwei Semester Jura und engagierte sich im Sozialdemokratischen Hochschulbund (SHB). Der pflegte gute Kontakte nach Ost-Berlin, und Starostik war mittendrin: „Die FDJ hat mich 1969 zum 10. Jahrestag der Kubanischen Revolution nach Erfurt eingeladen.“

Die DDR sei ihm aber „spießig“ vorgekommen. Deshalb trat der Systemgegner in die Maoistische Sekte „Kommunistischer Stundentenbund Marxisten Lenisten“ (KSB/ML) ein, die ein Ableger der KPD/ML war.

Starostik wollte den Kapitalismus abschaffen. Aber das ließ sich der Staat nicht bieten. Die damals übliche Regelanfrage beim Verfassungsschutz versperrte ihm den Weg in den öffentlichen Dienst. Nach dem juristischem Staatsexamen 1973 an der Ruhruniverstät Bochum konnte er die nächsten acht Jahre nicht Rechtsrefendar werden.

Wäre es bei dem Berufsverbot geblieben, hätte er nicht Anwalt werden und somit auch nicht die Massenklage gegen Elena einreichen können. Dann würden die Politiker im Berliner Regierungsviertel jetzt wohl ruhiger schlafen. Doch der Direktor des Instituts für Sozialrecht an der Uni Bochum erbarmte sich Starostiks und stellte ihn als Assistenten ein. „Dabei war das ein Wertkonservativer“, wundert sich Starostik noch heute. Ihm verdankt er, dass es anschließend mit dem Refendariat und dem Anwaltsberuf doch noch geklappt hat. Das war ein Wendepunkt in seiner Karriere, aber kein Wendepunkt in seinem Weltbild.

Als junger Anwalt, der sich politisch links einstuft, vertritt Starostik ein Jahrzehnt lang Asylbewerber. Weil damit aber kaum Geld zu verdienen ist, kehrt er 1992 nach Berlin zurück und spezialisiert sich auf Wirtschafts- und Steuerrecht. Er bekommt Kontakt zu Bürgerrechtlern, die einen Anwalt für die Klage gegen die Vorratsdatenspeicherung suchen. Starostik übernimmt den Auftrag „pro bono“, wie er sagt. Zwar gibt es nur 3500 Euro Honorar, eher ein symbolischer Betrag, aber er kann politisch etwas bewirken.

Ein Verteidiger des Datenschutzes

Anzeige

Das zweite Standbein seiner Kanzlei, die Lohnbuchhaltung, ist einträglicher: Starostik wird durch diese Tätigkeit frühzeitig für die Gefahren und die Brisanz des elektronischen Entgeltverfahrens Elena sensibilisiert und warnt auch öffentlich davor.

Der Datenschutz, dessen Verteidigung sich wie ein roter Faden durch Staroskis Biografie zieht, wird für ihn erstmals mit dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1983 ein „brennendes Thema“. Scharfer Kritik war damals Innenminister Friedrich Zimmermann (CSU) ausgesetzt, der das Volk von April bis Mai zählen lassen wollte. Damit scheiterte er an 1300 Beschwerdeführern, die im geplanten Abgleich mit den Daten der Melderegister ein Symbol für den „Überwachungsstaat“ sahen.

Aufgrund des Gerichtsurteils durfte vier Jahr später nur ein eingeschränkter Zensus stattfinden. Die Fragebögen zum Familienstand, zu Wohnverhältnissen und Staatsangehörigkeit mussten überarbeitet und personenbezogene Angaben von den Bögen getrennt werden, um die Anonymität der Befragten zu gewährleisten.„Damals haben die Bürgerinitiativen ihren ersten Sieg verbucht“, sagt Starostik, der selbst den „Volkszählungsboykott“ unterstützte. Er ist begeistert.

Es ist die Zeit, in der alle unter dem Eindruck des Buches „1984“ von George Orwell standen und es hieß: „Big brother is watching you.“ Starostik war mit seinem Unbehagen nicht alleine – die Meinungsforscher des Instituts Emnid ermittelten 1987 in einer Umfrage, dass sich die Deutschen vor Datenmissbrauch sehr fürchteten – davor kamen nur Kriegsgefahr, Arbeitslosigkeit und Umweltzerstörung. Es ist eine Zeit die im Rückblick gemessen an den Möglichkeiten des Internets noch wie ein Datenschutzparadies erscheint.

Das Volkszählungsurteil hat grundsätzliche Bedeutung für die Gegenwart. Denn die Karlsruher Richter billigten dem Bürger ein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung zu. Sie hoben hervor, dass jeder einzelne über die Preisgabe und Verwendung seiner personenbezogenen Daten grundsätzlich selbst bestimmen darf. Damit hatte das Gericht den Bürgerprotest, der teilweise wie ein generelles Staatsmisstrauen anmutete, nachträglich geadelt.

Aktuell überlegt Starostik, ob er gegen die nächste Volkszählung, die 2011 innerhalb der gesamten Europäischen Union geplant wird, juristisch zu Felde zieht. In jedem Fall will er die Richter im Herbst bemühen, damit der elektronische Personalausweis nicht zur Datenfalle wird. Jetzt möchte er erst einmal Elena zu Fall bringen.

„Als zorniger junger Mann war ich ein Glaubenskrieger“, sagt Starostik. Jetzt sind für ihn die anderen die Glaubenskrieger, beispielsweise der frühere Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU). Ihm haben Kritiker im Internet das Etikett „Stasi 2.0“ verpasst. Das hält Starostik für überzogen. Die Gefahr kommt für ihn aus dem technischen Fortschritt: „Die Überwachungstechniken sind inzwischen doch viel besser als das, was die Stasi jemals aufbieten konnte.“

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema