Zensus 2011:Bürgerrechtler klagen gegen Volkszählung

Die Deutschen sollen gezählt werden. Bürgerrechtler fürchten um die Sicherheit sensibler Daten - und klagen vor dem Bundesverfassungsgericht.

Florian Fuchs

1987, das ist schon lange her - zumindest im internationalen Vergleich. Es gibt laut UN-Statistik nur wenige Länder, die ähnlich lange wie Deutschland keine Volkszählung mehr organisiert haben: der Kongo zum Beispiel, Eritrea oder auch Myanmar.

Verfassungsbeschwerde gegen die Volkszaehlung 2011

Demonstration für die Privatsphäre: Bürgerrechtler protestieren vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gegen die geplante Volkszählung 2011.

(Foto: ddp)

2011 soll es wieder so weit sein, 24 Jahre nach dem letzten Zensus. Doch nun regt sich erster Protest: Bürgerrechtler haben am heutigen Freitag in Karlsruhe eine Verfassungsbeschwerde eingereicht, zusammen mit einer Liste von 13.000 Unterschriften von Unterstützern. "Ein großes Problem stellt der Datenschutz und dabei insbesondere die Datensicherheit dar", kritisiert die Bremer Rechtsanwältin Eva Dworschak, die die Beschwerdeschrift erstellt hat. Die Erfassung der persönlichen Daten ist ihrer Ansicht nach verfassungswidrig.

Bei einem Zensus wird unter anderem ermittelt, wie viele Menschen in einem Land leben, wie sie wohnen und wo sie arbeiten. So gehen Experten nach einer Testzählung 2001 davon aus, dass in Deutschland im Vergleich zur letzten Zählung nicht mehr 82,5 Millionen Menschen leben, sondern 1,3 Millionen weniger.

Die Zählung 2011 ist Teil einer EU-Initiative, im Zuge derer die europäische Bevölkerung statistisch erfasst werden soll. Deutschland hat sich verpflichtet, daran teilzunehmen.

Das ist aber nicht der einzige Grund, warum hiesige Politiker, Wissenschaftler und Statistiker es kaum erwarten können, die Zahlen in die Hände zu bekommen. Bis Mitte 2011 sollen die Daten erhoben und anschließend ausgewertet werden. Das Vorhaben kostet je nach Schätzung zwischen 450 und 700 Millionen Euro.

Politiker betrachten die Zahlen aus einem Zensus als wichtige Arbeitsgrundlage. So ist die Bevölkerungszahl die zentrale Größe beim Länderfinanzausgleich. Statistiken zu Wohnformen, Wohnorten und der Arbeitssituation der Bevölkerung sind Ausgangspunkt, die Infrastruktur des Landes zu planen. Wissenschaftler und Statistiker nutzen die Daten als Basis für Studienprojekte und weiterführende, detailliertere Statistiken.

Genau hier aber liegt das Problem für Datenschützer: Das Zensusgesetz, das die Volkszählung 2011 regelt, verletze das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Vor allem mit drei Punkten aus dem Gesetz sind die Datenschützer nicht einverstanden.

Zwang und Bußgeld

Erstens werden viele Daten aus bestehenden Datensätzen öffentlicher Behördern wie den Melde- oder Arbeitsämtern übernommen. "Man bekommt das gar nicht wirklich mit und kann sich deshalb nicht dagegen wehren" schimpft Werner Hülsmann. Er gehört dem "Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung" an, der als Dachverband der Kritiker die Verfassungsbeschwerde einreicht und auch schon erfolgreich gegen die Vorratsdatenspeicherung gekämpft hat.

Im Gegensatz zu 1987 werden diesmal nur etwa 7,2 Millionen Bürger direkt befragt, um stichprobenartig die Statistiken aus den Ämtern zu verifizieren. Dazu bekommen rund 17,5 Millionen Immobilienbesitzer einen Fragebogen. Zwar können sich die direkt Befragten auch nicht wehren, die Beantwortung ist Zwang. Bei Verweigerung drohen Bußgelder von bis zu 5000 Euro.

"Aber bei den Protesten in den achtziger Jahren konnte man das Bußgeld dann wenigstens zahlen und sich so der Befragung entziehen", sagt Hülsmann. Wer jetzt gar nicht befragt werde, wessen Daten also allein aufgrund bestehender Statistiken von Behörden erfasst würden, der habe gar keine Verweigerungsmöglichkeit.

Zweitens sollen - über die EU-Vorlage hinausgehend - auch Religion (freiwillige Angabe) und Migrationshintergrund erfasst werden. Im Gesetzestext heißt es, dass damit ein besseres Verständis für die Integration von Zuwanderern ermöglicht werden solle. Und drittens sind die sensiblen Daten laut Bürgerrechtlern nicht anonymisiert, sondern durch sogenannte Ordnungsnummern den einzelnen Bürgern direkt zuzuordnen.

"Es gibt vielleicht höhere Risiken für die Datensicherheit, zum Beispiel bei sozialen Netzwerken wie etwa Facebook. Aber da melde ich mich freiwillig an. Beim Zensus darf ich mich nicht verweigern", kritisiert Hülsmann.

Thomas Riede vom Statistischen Bundesamt hat naturgemäß weniger Probleme mit der Volkszählung. Er weist die Kritik zurück. Die Ordnungsnummern, mit denen die Daten einzelnen Bürgern zuzuordnen sind, verließen das Bundesamt nicht - somit sei die Datensicherheit kein Problem. "Wir geben die Daten nicht mehr zurück an die Behörden."

Dass diesmal im Gegensatz zu 1987 nicht alle Bürger befragt werden müssen, mache die Zählung billiger und effizienter. Und das Argument, die Volkszählung verletze das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, zähle ebenfalls nicht, argumentiert Riede. Der Mensch sei eingebunden in ein Sozialwesen und somit auch dem Allgemeinwohl verpflichtet. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung könne deshalb eingeschränkt werden.

Eine Volkszählung für das Allgemeinwohl, dieser Argumentation will sich Werner Hülsmann nicht anschließen. Er bewzweifelt zwar, dass das Bundesverfassungsgericht den Zensus stoppt. Wenigstens hofft er aber, dass es den Fragenkatalog einschränkt und das Statistische Bundesamt verpflichtet, die Speichererlaubnis der Ordnungsnummern von momentan vier Jahren kürzt. Außerdem hofft er auf größere Proteste als bisher: "Wenn das Thema vor den Befragungen nächstes Jahr richtig heiß wird, werden die Menschen auch mehr als bisher dagegen kämpfen."

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